Wilhelm Busch
Ihr Lieben,
meine heutigen Tagebuchnotizen möchte ich mit einem Gedicht von Wilhelm Busch beginnen:Fink und Frosch von Wilhelm Busch
Im Apfelbaume pfeift der Fink
Sein: Pinkepink!
Ein Laubfrosch klettert mühsam nach
Bis auf des Baumes Blätterdach
Und bläht sich auf und quackt: »Ja, ja!
Herr Nachbar, ick bin och noch da!«
Und wie der Vogel frisch und süß
Sein Frühlingslied erklingen ließ,
Gleich muss der Frosch in rauhen Tönen
Den Schusterbaß dazwischen dröhnen.
»Juchheija, heija!« spricht der Fink.
»Fort flieg ich flink!«
Und schwingt sich in die Lüfte hoch.
»Wat!« ruft der Frosch, »dat kann ick och!«
Macht einen ungeschickten Satz,
Fällt auf den harten Gartenplatz,
Ist platt, wie man die Kuchen backt,
Und hat für ewig ausgequackt.
Wenn einer, der mit Mühe kaum
Geklettert ist auf einen Baum,
Schon meint, daß er ein Vogel wär,
So irrt sich der.
Ihr Lieben,
mit diesem Gedicht verbinde ich eine bestimmte Erinnerung.
Wie ich Euch ja bereits erzählt habe, wurde ich in meiner Kindheit und Jugend in einer Klasse eines feinen Bremer Gymnasiums vier Jahre lang gedemütigt, geschlagen und gefoltert und dies alles nur, weil ich körperlich weit hinter der Klasse hinterherhinkte und aufgrund meiner Herkunft.
Eine meiner ersten Erinnerungen an diese Klasse stammt aus dem 7. Schuljahr, als ich bei einer Deutschlehrerin das obige Gedicht, das wir als Hausaufgabe lernen mussten, vor der ganzen Klasdse aufsagen musste.
Ich schaffte das auch ohne Probleme, konnte mich dann aber vor Lachen nicht mehr halten, wodurch ich mir den Zorn der Deutschlehrerin zuzog.
Diese Lehrerin, die mit Vornamen "Anna" hieß, wurde in der gesamten Schule nur "Atom-Anni" genannt, weil sie sehr schnell explodierte.
"Stillstand ist Rückschritt" und "Rasten wir, so rosten wir" - das waren ihre Paradesprüche.
Aber - und das möchte ich hier ausdrücklich betonen - sie wurde nie handgreiflich, sie hat mich als Schüler niemals mit Worten gedemütigt und ich habe unendlich viel bei ihr gelernt.
Ohne die Grundlaagen dieser Lehrerin könnte ich heute meinen Beruf als Lektor gar nicht ausüben. Später in der Oberstufe, als ich der schlimmen Klasse entronnen war, habe ich sie auf einer Klassenfahrt auch als einen sehr feinen Menschen kennenlernen dürfen.
Im völligen Gegensatz dazu stand zum Beispiel unser Lateinlehrer, der sinnigerweise den Spitznamen "Schlachtermeister Beppo" trug, was über seine Art, mit Schülern umzugehen, fast alles aussagt.
Seine besondere Spezialität waren brutale Ohrfeigen, die er mit Vorliebe austeilte. Er schlug dabei derartig heftig zu, dass ich mehrfach aus der Bank gefallen bin, wenn es mich erwischte.
Wenn er sich gestört fühlte und der Ansicht war, das sei ein bestimmter Schüler gewesen, dann nutzte es diesem Schüler gar nichts, wenn dieser leugnete, weil er wirklich unschuldig war und nichts getan hatte.
Das machte die Sache nur noch schlimmer und der jeweilige Schüler bekam dann zu den Ohrfeigen noch Nachsitzstunden aufgebrummt.
Ich erzähle das hier so deutlich, um aufzuzeigen, wie auf diese Weise ein fatales Bündnis entstehen konnte. Da war auf der einen Seite eine Klasse, die mich gerne schlug und demütigte, und auf der anderen Seite ein Lehrer, der ebenfalls sadistische Züge in sich trug.
In der Folgezeit entwickelte die Klasse ein ganz teuflisches Spiel:
Während der Lehrer etwas an die Tafel schrieb, störte ein Schüler mit Absicht und wenn dann dieser Lehrer fragte, wer das gewesen sei, antworteten gleich mehrere, dass der Forneberg das gewesen sei, was die besagten Ohrfeigen nach sich zog, worüber die Klasse dann in höhnisches Gelächter ausbrauch und sich köstlich amüsierte.
Einmal riss diesem Lehrer nach einer solchen Aktion der Geduldsfaden und er forderte die Klasse auf, mich doch einmal gemeinschaftlich zu bestrafen, damit ich in Zukunft nicht mehr stören würde.
Etwas "Besseres" konnte dieser Klasse nicht passieren: Sie konnten mich verprügeln und waren dazu auch noch vom Lehrer aufgefordert worden.
So hatte ich in meiner Schulzeit eine ganze Reihe sehr guter Lehrer, vor allem in der Oberstufe, und ich musste unter einigen sadistischen Lehrern leiden, besonders in der Mittelstufe.
All das - und das ist das Erschütternste für mich - war nur möglich, weil die große Masse der Lehrer mitbekommen hat, was mir angetan wurde, aber die Augen davor verschloss und schwieg.
Sehr ausführlich berichte ich darüber in dem Kapitel "Bitte, bitte tut mir nichts!" in meinem Buch DAS ESELSKIND.
Ich wünsche Euch nun einen fröhlichen Start in die neue Woche und grüße Euch ganz herzlich
Euer niemals aufgebender Werner
Das Foto wurde von Karin Heringshausen zur Verfügung gestellt