Davor habe ich mich immer gefürchtet - und heute ist es passiert. Bei einem Live-Einstieg am Broadway gleich neben der Touristenattraktion „The Bull" kommt ein Obdachloser auf mich zu. Ich bin live auf Sendung und der Mann steht knapp neben mir und streckt die Hand aus. Ich rücke ein wenig nach rechts, fast schon aus dem Bild, um den Abstand zu vergrößern. Doch jetzt steckt er seinen Kopf sogar vor die iPhone-Kamera - dann zieht er schließlich ab. Lieber hätte ich eine Maske getragen...
Apropos: In den kleinen Fußgängerzonen entlang des Broadways am Times Square oder dem Herald Square sitzen auf den Stühlen und Tischen jetzt hauptsächlich Obdachlose - und scheinen sich zu wundern, wo alle sind plötzlich...
45 Patienten hätten dort Covid-19, mehr als ein Dutzend liegt auf der Intensivstation. Er bestätigt, was immer mehr Mediziner in New York berichten: Es fehlt vor allem an Masken und Schutzkleidung. Er selbst reinigt seine N95-Atemschutzmaske mit einem Desinfektionsspray und verwendet die gleich immer wieder. Sonst werden sie nach der Visite jedes einzelnen Patienten weggeworfen. Einmal bastelte er einen Schutzanzug aus Plastiksäcken.
Den Aussagen des Büros von Gouverneur Andrew Cuomo, wonach jedes Spital genügend Schutzkleidung und Masken haben sollte, widerspricht er: „Das stimmt einfach nicht", schüttelt Paul den Kopf. Beatmungsgeräte gäbe es zwar noch genug, doch auch hier habe das Personal bereits getestet, wie man zwei Patienten an eine Maschine hängen könnte. Für den Ernstfall. Klar ist: Wenn die Geräte knapp werden, sterben Patenten, die gerettet werden könnten.
Davor hatte ich mit unserem Nachbarn und Freund Stephen gesprochen. Als der die jetzige Krise mit 9/11 vergleicht vor fast 20 Jahren, führt er einen wichtigen Punkt ins Treffen: Trotz der gewaltigen Zerstörung in Lower Manhattan damals, der Angst vor weiteren Attacken und der Trauer um die Toten, konnte man sich am Ende dieser traumatischen Tage zumindest mit Freunden treffen und in Bars oder Restaurants ausspannen.
Er gibt zu: „Ich habe Angst, jeder kleinste Husten, jedes Niesen, und ich denke: Das ist es jetzt! Aber ich bin älter, meine größte Sorge ist, wer sich dann um meinen Hund kümmert..."
Am späten Nachmittag ist es Zeit, ein wenig auszuspannen. Die Sonne scheint, die Bäume blühen, eine leichte Brise weht aus dem New Yorker Hafen. Ein traumhafter Frühlingstag. Das ist das Perverse an dieser Katastrophe: Alles sieht so normal, so friedlich aus. Und doch... Ich gehe zuerst Joggen und spiele dann im Wagner Park mit meiner Tochter Volleyball. Dort ist genug Platz, man fühlt sich sicher: Dieser Park ist wie eine Oase...
Herbert Bauernebel lebt mit seiner Familie in Lower Manhattan. In diesem Tagebuch wird der Alltag in New York während der schlimmsten Krise unseres Lebens in persönlichen Anekdoten beschrieben. Mittwoch, 25. März Dienstag, 24. März Montag, 23. März Sonntag, 22. März Freitag, 20. März Donnerstag, 19. März Mittwoch, 18. März Dienstag, 17. März