Tage, wie dieser

Was Andere sich von ihrem Smartphone sagen lassen, habe ich nicht nötig. Zum Beispiel, wann in Berlin die Sonne aufgeht. Dafür brauch ich keine App, denn der Große ist mindestens eine halbe Stunde vorher wach. Dem kann man natürlich viel Gutes abgewinnen: Man verpasst keinen einzigen Sonnenstrahl, nutzt das natürliche Licht voll aus, usw. Doch heute nicht. Ich schaffe es nur mit Mühe dem Energiewunder zu folgen, nachdem er mir die Decke geklaut hat, meine Augenlieder nach oben gezogen hat, und lauthals nachfragt:” Papa, bist du müde?”

Ja bin ich- aber keine Chance. Wenn ich nicht sofort hinter ihm herstürme, plündert dieses kleine Wunder den gesamten Kühlschrank und macht sich schon selbst Brot. Der Tag beginnt.

Meine ersten drei Worte: NEIN, NICHT, BITTE

Zu spät: Die Küche geplündert und der Tisch versaut, doch das ist jetzt auch egal.

Meine Liebste steht mit dem Kleinen in der Küchentür:” So, der ist auch wach, ich muss duschen. Hier!”

Gut, drei Männer, eine Küche, der Spaß beginnt. Mit einem Kind auf dem Arm lassen sich Brote nicht ganz so gut schmieren, was zu vernachlässigen wäre, wenn man nicht auch noch länger bräuchte. Der Große schreit nach Essen, der Kleine nur so und ich schreie nach ein wenig Liebe. Irgendwann ist der Große satt, der Kleine mit sich und der Umwelt zufrieden und meine Liebste aus dem Haus.

Ich muss noch schnell beim Kinderarzt anrufen, um einen Termin abzusprechen. Nach 15 Minuten in der Warteschleife ist dem Großen langweilig, er beginnt die Küchenschränke auszuräumen. Er nennt es aufräumen. Er ist dabei nicht ganz so leise wie ich es mir wünschen würde. Der Kleine wird wach und schreit. Ein Kind “räumt auf”, ein Kind weint und die freundliche Dame der Warteschleife bittet mich: “Please hold the line!”

Gerne!

Nach 30 Minuten Warteschleife, einem Kind im Arm, einem im Kinderzimmer halb unter Kontrolle, meldet sich endlich eine Artzhelferin:” Wie kann ich helfen?”

Mir fallen spontan nicht die Worte ein, die einem sonst nach einer halben Stunde in der Warteschleife einfallen würden und deshalb bleibt das Gespräch auch kurz. Spontan und schlagfertig ist man ja meist eh erst, wenn es zu spät ist. Ich atme durch, mache grob Ordnung und möchte den Großen mit dem Auto in die KiTa bringen. Ein Fehler, wie sich nach wenigen Augenblicken herausstellt. Die Stadt ist, dank eines Lokführerstreiks, mit Autos voll gestopft. Auch mit Fahrern, die schon lange nicht mehr mit dem Auto in der Stadt waren und nun mal wieder die Gelegenheit zum Kampf in der Großstadt bekommen. Nicht, dass hier schon genug Zweitereiheparker, Paketlieferanten und Taxis rumfahren, jetzt auch noch die.

Die Aggressionen beim Fahren in der Hauptstadt sind an normalen Tagen schon höher als andernorts. 20 Minuten später als sonst erreichen wir die KiTa und, da mir nun echt nicht nach Diskussion und Kompromissen ist, trage ich den Großen gleich bis in den zweiten Stock. Die Verabschiedung klappt ohne Zwischenfall und ich sitze nach weiteren 15 Minuten wieder mit dem Kleinen im Auto. Nach dreimal tief durchatmen und kurzem Grübeln stelle ich fest: Mit Ausnahme der Warteschleife und des Lockführerstreiks war das doch der Beginn eines ganz normalen Tages.


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