Heute ist der erste Tag seit dem Beginn meines Jakobswegs, dass ich komplett ohne Schmerzen aus dem Bett aufstehe. Klar, die Muskeln sind zu spüren, allerdings wäre es auch verwunderlich, wenn das nicht der Fall wäre. Aber weder die Schulter noch die Hüfte noch sonst irgendetwas tut weh, auch der Kopf nicht, obwohl gestern nicht wenig Wein in dieser wirklich tollen Runde geflossen ist. Die Nacht selbst war recht angenehm, was aber vor allem daran lag, dass ich am einzigen offenen Fenster schlafen konnte und daher auch die Macht darüber hatte.
Erwacht bin ich um 4 Uhr, da die Ohropax geschmerzt haben, die restliche Nacht wollte ich dann ohne sie versuchen. Rainer im Bett unter mir leidet aktuell unter starkem Husten und hat damit seinen Beitrag zum nächtlichen Orchester beigetragen. Ein Moskito hat das gesamte Zimmer unterhalten und ab 5 hatte der Hahn im Nachbarhahn das Bedürfnis, uns Pilger vom wohlverdienten Schlaf abzuhalten.
Die merkwürdigen Franzosen in unserem Zimmer fingen, wie von Gert vorhergesagt, gegen 5 mit dem Tütenrascheln an, sodass an richtigen Schlaf ohnehin nicht mehr zu denken war. Der Frühstücksvorbereitung durften wir am Vorabend schon beiwohnen, der Kaffee wurde tatsächlich da schon gekocht. Ich befürchtete Schlimmes. Cornflakes, Kekse, Kaffee und Saft – ein typisch spanisches Frühstück eben. Wir hatten aber zum Glück noch Käse und Joghurt vom Vorabend und haben das Beste daraus gemacht. Der Kaffee… ja, der Kaffee. Sagen wir mal: Schwarzes Wasser. Ein großartiger Start in den Tag! Mit Klarina habe ich also verabredet, dass wir uns in der ersten Bar auf dem Weg außerhalb der Stadt auf einen richtigen Kaffee treffen. Der Weg schlängelte sich durch die Stadt, vorbei an der berühmten uralten Eiche und bald schon kam der erste Wald in Sicht. Die nächste Schlammschlacht hat nicht lange auf sich warten lassen, der Aufstieg auch nicht. Also wieder wie jeden Morgen bisher: Erstmal den Berg hoch.
Ein Dackel, der es auf Pulger abgesehen hat, verfolgt mich lange und versucht mir in die Hacken zu beißen. Später erfahre ich, dass er bei Val die Hose erwischt hat. Auf altem Pflaster und rutschigem Boden kämpfe ich mir meinen Weg durch den Wald, treffe bald auf Hugo – in den folgenden Stunden werden wir uns ständig gegenseitig überholen. Er zieht die Anstiege schneller durch, ich die Abstiege und habe auch auf gerader Strecke einen schnelleren Schritt als er. Auf dem Kamm kündigt mein schlaues Büchlein ein Dorf an, ich hoffe hier die „erste Bar außerhalb der Stadt“ zu finden. Mehr als ein Geisterdorf ist es aber nicht, sodass ich resigniert weiterziehe. Direkt danach treffe ich auf Val und Richard, die wohl die selbe Hoffnung wie ich hatten und sich sehr nach einer Sitzgelegenheit zur Pause sehnen. Rund 10km haben wir bis hierhin geschafft. Und wieder geht es bergauf, der Schlamm wird schlimmer und auf einmal liegen 2 Bäume mitten über dem Weg. Darüber steigen ist mit Rucksack unmöglich, darunter komme ich nicht ohne Schlammbad hindurch. Ich versuche dennoch die zweite Möglichkeit und versinke mit dem Knie tief im Lehm. Auf der anderen Seite angekommen sehe ich, dass man um den Baum herum laufen kann – großartig! Und typisch!
Ich warte auf Richard und Val und gebe ihnen schnell noch den Tipp, bevor ich weiterziehe. Keine 500m stehe ich auf einer großen Schneise und bin fassungslos. Der Wald ist gerodet, großes Fuhrwerk hat seine Spuren auf dem Weg hinterlassen und nach den letzten Tagen steht das Wasser hier. Auch wenn es unmöglich scheint – ich muss ja weiter. Meine Stiefelschäfte kennen den Schlamm ja schon, ich versuche Steine und Äste als Trittfläche zu erreichen, bleibe oft stecken und kann den Fuß kaum herausziehen. Dieses Zeug klebt unfassbar und ich muss abermals an Niamh denken – wie soll sie es mit ihren Sandalen hier durch schaffen? Meine Stöcke verhaken sich in den Pfützen und ich wünsche mir an mancher Stelle fast schon Skier unter die Füße. Kontrolliert schlittern klappt immer nur kurz, bis der nächste Stein dazwischen kommt. Ich wanke oft und sehe mich schon lang ausgebreitet ein Schlammbad nehmen. Auch wenn der letzte Schritt noch einmal gefährlich ist, überstehe ich diese Passage und finde mich auf einem Asphaltweg wieder. Vor mir wankt eine einzelne Person mit pinkem Regenschutz, die ich nicht kenne. Als ich näher komme und ihn überhole kommen wir direkt ins Gespräch und er fragt mich auf Englisch, woher ich komme. Als ich „Germany“ antworte meint er, er hätte das schon aufgrund meiner Mütze vermutet, sie sehe so deutsch aus. Da er aus den Niederlanden kommt, unterhalten wir uns fortan auf Deutsch – leider weiß ich seinen Namen nicht. Seine Frau hat einen Fersensporn und hat den Zug bis Lezama genommen und er läuft daher alleine.
Das nächste Dorf nähert sich, laut schlauem Büchlein, soll hier eine Bar sein, wohl gemerkt mittlerweile 14km seit dem Start in der Hoffnung auf Kaffee! Die Bar hat – natürlich! – geschlossen, aber wir treffen auf Hugo auf einem Rastplatz. Ich setze mich kurz, möchte aber weiter, da das nächste Dorf nur einen Kilometer entfernt ist und auch hier eine Bar sein soll. Ich laufe die Landstraße erst mit Hugo, dann alleine entlang, erklimme die Stufen, entdecke Klarina und rufe nur noch „Beeeeeeer“!!! Meine Meinung bezüglich des Kaffees habe ich mittlerweile geändert, zumal Rainer, Gert und Klarina wirklich sehr adrett in der Sonne sitzen und das wahrlich eine Einladung zu Alkohol ist.
Da es da halb 1 ist und die Herberge in Lezama erst 15 Uhr öffnet, bleiben wir noch gemütlich setzen, schnell gesellen sich Hugo, 2 Spanier und sehr bald auch Val und Richard hinzu. Es fließen isotonische Getränke, bis wir halb 2 beschließen, die letzten 5km bis zur Herberge in Angriff zu nehmen. Ich mache mir Sorgen um Niamh und Miriam, die sehr spät gestartet sind und auch bis Lezama kommen wollten. Da die Herberge aber nur 20 Betten hat und ich von vielen gehört habe, dass sie dorthin wollten, befürchte ich, dass sie zu spät kommen und noch weiter bis Bilbao müssen. Klarina, Gert, Rainer, Hugo und ich ziehen wie die 7 Zwerge die Landstraße entlang, verlaufen uns ein wenig in Lezama und treffen schlussendlich aber doch auf die Herberge, wo schon vier Leute warten und ihre Rucksäcke in Reih und Glied stehen. Wir stellen unsere dazu, haben damit unsere Betten gesichert, entledigen uns unserer Schuhe, relaxen in der Sonne und freuen uns einfach, dass wir da sind. Keine 15 Minuten später kommen Miriam, Niamh, Val und Richard an – das Hallo ist ziemlich groß und wir freuen uns, dass alle, die ankommen sollten auch angekommen sind.
Die Herberge öffnet, wir bekommen unsere Betten. Klarina und sind die ersten Damen, die eingelassen werden – die Rucksäcke haben noch nicht den Boden berührt als wir schon unter der Dusche stehen. Klein ist für diese Duschen wahrlich eine Übertreibung, die Duschvorhänge sind kuschelbedürftig, Drehen ist fast unmöglich. Trotzdem sind wir die ersten, die duftend in den großen Schlafsaal kommen, die anderen wollen direkt erst einmal ans Glas.
Also zack, ziehen die 7 Zwerge wieder los in die erste Kneipe. 2 Spanierinnen, die kein Bett mehr bekommen haben und auf den Bus nach Bilbao warten, gesellen sich zu uns – dass sie uns nicht verstehen und wir sie nicht, ist vollkommen egal – man spricht einfach lauter. Hugo lädt sie in sein Bett ein, sie verstehen das Angebot tatsächlich und das Gelächter ist groß, sie steigen in den Bus und wir werden sie wohl nicht mehr wieder sehen.
Nach einer kurzen Dusch-Pause ziehen wir alle (!) in das einzige Lokal am Ort, die Inhaber freuen sich wie Bolle über den Ansturm. Das Essen ist mäßig aber für 8,50€ vollkommen OK, zumal der zum Menü gehörige Wein in Mengen fließt und spanischer Schnaps auch noch folgt. Wir fallen alle ins Bett und sind froh um den Schlafplatz für unsere Camino-Family.
Tag 7: Wenn der Körper weiß, es er tun muss is a post from: Jakobswege, Rezepte und tolle Orte