Mit Erschrecken musste ich gestern Abend feststellen, dass ich meine Ohropax wohl in San Sebastian vergessen hatte und ich mit Guido mindestens einen heftigen Schnarcher im Raum hatte. Die gute Irene, mein finnischer Engel hat mir aber ausgeholfen, sodass ich einer entspannenden Nacht entgehen sehen konnte.
So nett der italienische Mitpilger vielleicht ist, ich habe gestern Abend entschieden, dass ich mich ein wenig von ihm distanzieren werde. Die Aussage „Wenn ich Alkohol trinke, werde ich aggressiv. Aber das ist ja normal.“ fand ich jetzt eher unprickelnd und nicht sehr sympathisch. Zumal er sich in diesem Moment Wein einschenkte.
Die Herberge in Arnope kann ich noch immer aus vollem Herzen empfehlen: Unterkunft, Sanitäranlagen und Abendessen waren ausgezeichnet, das Frühstück und die Preise um Wein und Kaffee eher dem absoluten Monopol geschuldet, dass das Pärchen da oben in den Bergen hat. Aber was solls, der Wein war lecker, die Gesellschaft ausgezeichnet und wo lässt es sich besser versacken als vor einem warmen Kamin, während der Regen auf das Dach prasselt.
Dank der Ohrstöpsel und hochgelegter Beine habe ich eine ausgezeichnete Nacht verbracht und in kurioserweise ohne Wecker gleichzeitig mit den anderen aufgewacht. Ein spärliches Frühstück, jedoch ungewohnter Weise nicht aus harte Brot, sondern aus Müsli bestehend später zog es mich schnell auf den Weg. Irene war schon gestartet, Niamh und Miriam machten sich noch fertig, doch würden sie mich ja ohnehin bald einholen. Der Weg zog sich durch eine wundervolle Landschaft, das Meer war in der Ferne zu sehen und im Vordergrund hörte man die Glocken der grasenden Kühe – ein absoluter Kontrast! Wäre das Meer nicht, hätte ich mich auch in der Schweiz oder in Österreich befinden können.
Schnell zog der Weg aber an, es ging über steinige Strecken langsam ziemlich steil bergauf, 300 Höhenmeter wollten auf den nächsten 4km überbrückt werden. Belohnt wurden wir mit abermals sagenhaften Ausblicken, der Zustand der Wege mit großen Pfützen bereitete uns schon ein wenig auf das Kommende vor.
An mir vorbei zieht der Pilger mit dem grünen Zelt, den ich nun schon zweimal habe nächtigen sehen. Der Rucksack sieht riesig aus und es ist unfassbar, wie der Typ an mir vorbei zieht. OK, ich bin, vor allem bergauf, nicht die Schnellste. Das ist auch gar nicht schlimm. Aber wenn da einer mit scheinbar einem kompletten Hausstand links an Dir vorbei zieht, zweifelst Du halt schon ein wenig. An seiner Seite eine junge Dame, ich vermute sie gehören zusammen. Nachdem ich aber beide wieder überholt habe und sich bei einer kurzen Pause besagte Dame mir nähert, stellt sich heraus, dass sie Klarina heißt, aus Deutschland kommt und gar nicht zum Camper gehört. Sie erzählt mir aber weiter, dass er rund 30kg auf dem Rücken trägt, in Tschechien gestartet ist und bis Jerusalem laufen möchte. Ich bin sprachlos und bin es noch, während ich da gerade drüber nachdenke.
Klarina zieht weiter, ich halte mich an gelbe Pfeile und bin bedacht, auf dem Kamm die lange Strecke zu wählen und mich nicht aus Versehen für die kurze zu entscheiden. Diese ist zwar 2,6km länger, führt aber nunmehr eher eben und bergab, während die andere schnell hinabführt und darauf ein weiterer, laut Buch mörderischer Anstieg bevorsteht. Also genieße ich den Weg, weiß die drei Damen vor mir, und treffe bei einer Wasserstelle wieder auf Klarine, mit der ich eine kleine Verpflegungspause einlege. Vor einem Bauernhaus hat ein kleiner Junge einen Klapptisch aufgebaut und verkauft gekühlte Getränke und Snacks an die Vorbeiziehenden.
Uns entgegen kommt eine französische Pilgerin, die uns vor dem bevorstehenden Matsch warnt. Sie sagt, es sei nicht gefährlich aber schon heftig und zeigt uns Bilder auf der Kamera. Für den morgigen Tag stehe ähnliches bevor, da aber schon um einiges schlimmer uns auch gefählicher. Ich bin gespannt und nehme mir vor, die anderen zu warnen. Klarina zeige ich im schlauen Büchlein, welche Herberge ich mir für das Etappenziel ausgesucht habe und sie ist von der Beschreibung schwer begeistert. Da wir beide der gleichen Meinung sind und alleine laufen möchten, verabschieden wir uns und sind sicher, dass wir uns in der Stadt wieder treffen.
Kurz nach der wohl verdienten Pause kommt, wovor uns die Französin gewarnt hat: Eine Schlammschlacht allererster Sahne! Die Bilder dürften für sich sprechen, ich bin abermals dankbar für meine Wanderstöcke und weiß, dass ich nicht ohne sie über diesen Weg gekommen wäre. Sie haben mir bisher jeden Tag mindestens einen Bärendienst erwiesen und ich kann mich nicht wirklich vorstellen, wie Niamh und Miriam ohne Stäbe und Stöcke, vor allem Niamh aber mit offenen Schuhen diese Strecke überwunden hat. Ich versinke teilweise bis zum Stiefelschaft im Schlamm und bekomme die Stöcke an mancher Stelle auch nur schwer herausgezogen. Aber auch dieses Wegstück geht vorüber und ich sehe mich wieder auf schönen Waldwegen, mit Nadelbäumen und wilden Erdbeeren und ich habe irgendwie überhaupt nicht das Gefühl, in Spanien zu sein.
Der Aufstieg und die Schlammschlacht haben definitiv an den Kräften gezerrt, das ledierte Schienbein funktioniert, macht sich auf Dauer aber ebenso wie der rechte Hüftknochen bemerkbar. Das Ende des Lauftages ist aber nah, also frohen Mutes weiter. Der Abstieg ist ähnlich steil wie der morgendliche Aufstieg, diesmal jedoch ausschließlich auf Aphalt – nicht nur die Knie leiden auf diesen 1 1/2 Kilometern sehr.
Bald taucht ein Fußallplatz auf, an dem man sich von der Hospitalera der von mir angedachten Herberge abholen lassen kann – die Albergue ist etwas abseits vom Stadtkern. Ich gehe aber nach einer kurzen Pause auf einer Bank und einem schnellen Energieschub weiter, möchte ja die Chance nicht verpassen, Irene, Niamh und Miriam wieder zu treffen. Aus Spaß haben wir gesagt, wir entscheiden in deser Stadt bei einem Bier, wie es weiter geht. Also laufe ich an einer interessanten Kirche vorbei, die um einen riesigen megalithischen Altar herum gebaut wurde und ins Zentrum, lasse auch die Abzweigung zur Herberge rechts liegen und biege auf den Marktplatz ein: Die drei Damen relaxen unter einem großen Schirm bei einem Bier. Wie schön. Und was für ein Glück, das ich versucht habe, sie zu finden!
Schnell ein Bier her, die von Schlamm verkrusteten Schuhe aus. Die Herberge gegenüber des Platzes öffnet um 15 Uhr, ich habe eine Stunde zum Relaxen. Zu uns gesellt sich Hugo aus Belgien, der seinen ersten Camino vor seiner Haustür gestartet st und nunmehr seit über 40 Tagen unterwegs ist. Gesehen hatte ich ihn schon auf der Strecke zwischen Irun und San Sebastian, gesprochen hatten wir aber bisher nicht wirklich miteinander. Bemerkenswerter Mann!
Als die Uhr 3 schlägt, ziehen wir in einer kleinen Prozession in die Herberge, vor der schon die 4 leicht verrückten jungen Franzosen warten, von denen einer seit dem 2. Tag auf Krücken läuft. Als hätte ich es geahnt, als sie sich in Pasaia ein Wettrennen in voller Montur geliefert haben. Die Herberge ist eine kirchliche auf Spendenbasis und befindet sich in einem Kloster. Sie ist sehr einfach gehalten, es gibt aber Betten für uns, eine warme Dusche und zum Abendessen müssen wir nur um die Ecke. Niamh hat schon ein Lokal entdeckt. Irene möchte noch eine Siesta machen, also bleibt Zeit für diesen Beitrag, obwohl sch der Magen schon meldet.
Morgen stehen uns 25km bis Gernika bevor, es soll den ganzen Tag regnen. Yippieh!!!!
Tag 5: Manchmal ist die lange Route die bessere Entscheidung is a post from: Jakobswege, Rezepte und tolle Orte