Die in der Überschrift genannte Tatsache habe ich auf meinem Camino 2010 in der österreichischen Herberge in Los Arcos gelesen und auf den heutigen Tag passt sie einfach ziemlich gut.
Mit meiner finnischen Zimmernachbarin habe ich mehr oder weniger beschlossen, dass wir beide keinen Wecker stellen, sondern einfach mal sehen, wann wir aufwachen. Zu erwarten war ziemlich früh, da wir mit offener Tür geschlafen haben, um dem Erstickungstod vorzubeugen. Tatsächlich haben wir bis kurz vor 7 ausschlafen können, nach einer schnellen Dusche, einem Kaffee in der Bäckerei gegenüber des Konvents ging es dann los. Guido, den Italiener vom Vortag konnte ich schnell einholen, allerdings hatte ich schon am Vortag sein Angebot nach dem ‚Gemeinsam gehen‘ ausgeschlagen – er läuft mir zu langsam und ich mag es einfach nicht, wenn ich mich an ein anderes Lauftempo anpassen muss oder sich jemand mir anpassen muss. Dann bekomme ich schnell ein schlechtes Gewissen und hetze mich. Und sobald ich mich nicht mehr in meiner eigenen Wohlfühlgeschwindigkeit befinde, sperrt sich mein Körper und antwortet mit Schmerzen. Das beste Beispiel hierfür ist der gestrige Tag. Weil ich mich aus Angst vor dem Gewitter beeilt habe, um bis Zumaia zu kommen, kann ich heute keinen Schritt tun, ohne dass sich mein Schienbein meldet.
Also ziehe ich ziemlich bald an Guido vorbei, sehe auf die Stadt hinunter, die im Morgennebel ein zauberhaftes Bild ist. Bald entdecke ich vor mir auch den wunderbaren älteren Herrn aus Schottland, der laut Guido John heißt. Aufgrund eines Beinruchs vor einigen Jahren kann er nur sehr langsam laufen. Da es aber nicht sein erster Camino ist, wird er schon wissen, was er tut. Ich gelange über verschiedene Schotterpisten nach Elorriaga, folge den Pfeilen und…. verharre. Da stand doch was im schlauen Büchlein. Richtig. Am Ortseingang muss man sich entscheiden und laut dem Autor besser noch dreimal drüber nachdenken, welche Route man einschlägt. Der offizielle und gekennzeichnete Weg entfernt sich ein wenig von der Küste. Die Alternative geht genau an den Klippen entlang, bietet atemberaubende Blicke, ist 500m kürzer aber an Höhenmetern und schwierigen Passagen nicht zu unterschätzen.
Ich habe darüber nachgedacht. Und nochmal. Und ein weiteres Mal. Ich war zwar nicht 100% fit, fühlte mich aber trotzdem gut. Und da mir am ersten Tag der Super-Ausblick verwehrt wurde, wollte ich ihn heute unbedingt. Also los und weg von den gelben Pfeilen Durch einen Nadelwald, der für diese Gegend wirklich nicht üblich ist und dessen Duft ein paar Gefühle nach Heimat hervorkommen lässt. Der Boden ist über und über mit Farn bedeckt und wenn die Sonne durch die Äste fällt erwartet man fast, dass kleine Elfen aus dem Grün schweben und kichernd umherflattern.
Auf das, was mich kurz nach dieser magischen Stimmung erwartete, was ich nicht vorbereitet. Ich kannte die Kulisse, nicht zuletzt durch ein Bild im Reiseführer, aber das mit eigenen Augen zu sehen ist schon etwas anderes. Ich konnte mich gar nicht satt sehen und habe in diesem Moment wirklich bedauert, niemanden an meiner Seite zu haben, mit dem zusammen ich dort staunen stehen konnte. Nachdem ich mich wieder gefangen hatte, folgte ich einem steinigen Pfad abwärts, der in Wäldern und auf Feldern nicht selten rutschig war und das ein oder andere Mal war ich schon schwer angetan von der Belastungsfähigkeit meiner Knie, wenn der andere Fuß mal wieder weggerutscht ist, die Wanderstöcke keinen Halt finden und das komplette Gewicht nur auf dem Knie liegt. Ohne zu stürzen und weitere Schmerzen ging es bis zum Rand der Lippen, wo ein traumhafter Aussichtspunkt eine wundervolle Location für eine Frühstückspause bot.
Was is hierher Konzentration verlangte und schon nicht ohne war, sollte von dem Kommenden aber noch getoppt werden. Laut dem schlauen Büchlein wusste ich in etwa, wie ich laufen musste, Hinweise wie „schräg über die Weide Richtung Bergkiefer“ waren da keine Seltenheit. Schusselig wie ich bin, habe ich auf dem Trampelpfad natürlich die falsche Abzweigung genommen und sah besagten Baum nur vom Klippenrand aus. Zurück gehen kommt aber nicht in Frage, also gehe ich weiter – irgendwann müssen die Wege ja auch wieder zusammenführen. Als sich in ihrer gesamten Pracht eine Betonpiste zeigt mir vor Augen führt, dass sie stärker ist als ich, verzweifle ich fast beim Aufstieg. Erst recht, als mich ein spanischer älterer Herr überholt und kein bißchen aus der Puste ist.
Es geht bergauf und bergab, bis ich einen blauen Rucksack vor mir entdecke, den ich erkenne. Das ist doch die Finnin aus der letzten Herberge. Ich versuche aufzuschließen und erreiche sie an der nächsten Wegkreuzung – genau da, wo es links in einen Tunnel geht, den man eigentlich nicht betreten darf. Dank eines Tipps möchte ich ihn aber gehen und dem Umweg vermeiden und gebe diesen natürlich gerne weiter. So laufen wir eide hindurch – alleine hätte ich es mich wirklich nicht getraut. Dunkel und sehr lang würde ich Schissbuxe hier die volle Panik schieben. Als hinter uns zwei Gestalten auftauchen murmeln wir beide (spaßhaft) unser Mantra „Please no rapists, please no rapists“. Am Ende angekommen stellen die beiden sich als Helfer heraus, die uns den richtigen Weg zeigen. Wieder geht es über Weiden und Felder, bis auf einmal zwei mir bekannte Rucksäcke auftauchen und ich nur laut „The Irish!“ rufen kann. Tatsächlich tauchen da Miriam und Niamh auf und es ist ein sehr freudiges Wiedersehen. Wir schlurfen zusammen bis in die Stadt, die Beiden möchten eigentlich hier unterkommen, sind aber schnell angetan von der Idee, meine angedachte Herberge 5km weiter anzusteuern. Nach einem kurzen Stop in der Touri-Info und einer Bier-Pause entscheiden wir uns gegen die Möglichkeit, uns von der Herbergsmutter mit dem Auto einsammeln zu lassen (bei mir sind Bein und Hüfte böse, Niamh hat immer noch Probleme mit dem Fuß) und so brechen wir bei Nieselregen auf. Dieser wandelt sich schnell in strömenden Regen, is sogar 900m vor der Herberge sich die ersten Blitze zeigen und der Donner böse über uns grollt.
Doch endlich erreichen wir die Herberge, alle vier komplett durchnässt, werden mit einem Glas Sidra empfangen und rennen unter die Dusche. Nach einer kurzen Schaffenspause in den Betten landen wir gemeinsam mit Guido, der es auch bis hierher geschafft hat, sowie mit Richard und Val an einem Tisch zum feudalen Abendessen. Es fließt Wein, es stellt sich wunderbare Camino-Stimmung ein und der Abend endet vor dem warmen Kamin.
Entgegen der Bedenken des Outdoor-Autors kann und muss ich diese Herberge absolut empfehlen. Bequeme Betten, absolut tolle Sanitär-Anlagen und ein ausgezeichnetes Pilger-Menü – wer die 5km über Deba hinaus schafft, sollte auf jeden Fall hier einchecken!
Dass sich mir der Camino heute offenbart hat und dabei gezeigt hat, was er diesmal für mich bedeutet, schreibe ich vielleicht in den nächsten Tagen. Ich muss noch ein wenig darüber nachdenken.
Tag 4: Der Schmerz ist auch ein Begleiter is a post from: Jakobswege, Rezepte und tolle Orte