Tag 3: Eigentlich zu viel und trotzdem gut

Tag 3: Eigentlich zu viel und trotzdem gut

Der Camino ist definitiv eine Lektion zum Thema „Höre auf Deinen Körper“! Wenn man meint, es gehen sicherlich noch 5km bis zur nächsten Albergue, sollte man mal in sich gehen und mit sich selbst ausgiebig ausdiskutieren, ob das auch wirklich der Fall ist. So heute erlebt!

Aber mal von Beginn an: Nachdem ich mich gestern in die Jugendherberge in San Sebastian geschleppt hatte, musste ich unbedingt Verpflegung für den Folgetag einkaufen: Mein Pilgerbüchlein riet mir dazu, da es für die nächsten 13 Kilometer keinerlei Stationen geben würde. Auch wollte ich schnell irgendwo für das Abendessen einkehren. Ich bewundere die Pilger, die es nach einem langen Lauftag noch schaffen, in der Herbergsküche etwas zu kochen. Ich koche wirklich gerne und selbst Nudeln sind schnell gezaubert. Aber ich komme so fertig in den Unterkünften an, da pack ich das einfach nicht. Mal abgesehen davon, dass es schwierig ist, für eine Person zu kochen – wegwerfen ist halt auch irgendwie doof. Also habe ich auf dem Rückweg vom Supermarkt ein Lokal aufgetan, mir einen mehr als nur fragwürdigen Cheeseburger gegönnt und dabei den letzten Beitrag geschrieben. Zurück in der Herberge durfte ich feststellen, dass ich nicht mehr allein im Zimmer war. 2, wie sich später herausstellte, mittelalte Irinnen und 2 ältere Französinnen, die nicht mit mir sprechen wollten, obwohl ich sie 2x auf Französisch angesprochen habe. Nun gut, wer nicht will, der hat schon.

Da es in der Jugendherberge verboten ist, auf den Zimmern zu essen und zu trinken, habe ich mich mit der soeben erstandenen Flasche Wein in den Aufenthaltsraum begeben und bin dort wieder auf die beiden Irinnen gestoßen. Die Frage „Do you want to share a glass of wine with me?“ ist irgendwie immer ein guter Aufhänger für ein Gespräch, sodass wir einen geselligen und überaus netten und gesprächigen Abend miteinander verbracht haben.

Nach einer den Umtänden entsprechenden Nacht (um Mitternacht stieß eine weitere Zimmergenossin hinzu und hatte keine Skrupel, die Festtagsbeleuchtung zu nutzen) klingelten 2 Wecker fast synchron und nach schneller Packerei, einem gemeinsamen Kaffee im Aufenthaltsraum ging es auch schnell los.

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Miriam und Niamh, die beiden Irinnen, zogen schnell von dannen mit dem Hinweis, sie müssten zu Beginn schneller gehen, ich würde sie aber sicherlich bald keuchend im Straßengraben finden. So begann ein weiterer Tag, der von regelmäßigen aber keinesfalls andauernden Begegnungen geprägt war, an dem ich leider mein Knie während eines Abstiegs böse merkte und dachte, ich müsste aufgeben. Das hat sich aber schnell wieder gelegt und die Aussichten, die sich mir boten, waren mehr als nur atemberaubend. Geplant war, auf jeden Fall bis Getaria zu kommen, was rund 25km bedeutet hätte. In Zarautz, dem Ort vor Geratia angekommen, musste erst einmal eine lange Pause her, um mich auf den folgenden Anstieg vorzubereiten. Wohl bemerkt: Das Knieproblem war kurz vorher aufgetreten und hatte mir echt Sorgen bereitet. Dazu kam meine übelst verkrampfte Schulter, die am Vortrag ihr Bestmögliches getan hatte, um so viel Gewicht wie nur möglich von den schmerzenden Hüftknochen zu nehmen. Auch diese hatten über Nacht leider keine Wunderheilung erfahren, allerdings wusste ich nun um die Ursache. Das Funktionsshirt, das sich am ersten Tag zwischen Hose und Haut befunden hat, hat scheinbar auf der Haut gescheuert. Sehr unspaßig, aber was soll man machen? Cremen, cremen, cremen und ein bißchen hoffen. Am heutigen Morgen habe ich den Rucksack aufgesattelt und dachte, ich darf noch einen Tag in San Sebastian verbringen. Der erste Schmerz hat mir Tränen in die Augen getrieben, aber genauso schnell war er auch wieder weg. Die Hüfte ist zwar nicht wirklich geheilt, hat den Tag aber nun sehr gut überstanden. 

Zurück nach Zarautz: Den Pfeilen folgend und dabei extrem begeistert vom Anblick der Küste und Bucht habe ich (zum Glück) die Abzweigung zum Camino übersehen und damit den Anstieg umgangen und bin einfach der Küste entlang de Alternativroute bis Geratia gestapft. Keine falsche Entscheidung. Eine ziemlich gute sogar. Dort angekommen fühlte ich mich so fit, dass ich mir die nächsten 5km bis Zumaia zugetraut habe. Miriam und Niamh habe ich tatsächlich noch kurz getroffen, sie wollten lieber in der neuen Herberge des Ortes bleiben. Ich bin mir aber sicher, dass sie mich morgen bei ihrem Tempo einholen werden und wir uns noch einmal wieder sehen.

Nun denn. Also los, an besagter Herberge vorbei, den Pfeilen folgend und einem gelben Punkt auf dem Schotterweg. Nach einem Anstieg stelle ich fest, dass ich mir vor Weinreben befinde und in keiner Richtung ein Weg zu sehen ist. Ich wage mich den Schotterweg zurück und sehe: Der gelbe Punkt war wohl ein X, also falscher Weg. Und eigentlich gerade aus geht der Richtige. Na toll. Und das bei nunmehr endlich Sonnenschein. Also heißt es, die Ärmel hochkrempeln und weiter. Das Weiter besteht aber aus ganz schön viel Auf und Ab und zwischenzeitlich frage ich mich, welcher Teufel mich geritten hat, nicht einfach im Ort vorher zu bleiben. Nur zurück gehen geht ja auch nicht. Also weiter steil bergauf und erst einmal im Schatten einer Kirche verschnaufen. Es ist 15 Uhr. Mit Blick in die Wetter-App sehe ich, dass es ab 16 Uhr gewittern soll. Eine Stunde bleibt mir für einen Weg, für den ich 1 1/2 Stunden benötige. Mist, ich muss mein Tempo anziehen, was der Erfahrung nach gar nicht gut ist. Aber wieder überwältigt mich die Aussicht und schnell sehe ich auch Zumaia. Ab dem ersten Blick auf die Stadt sind es aber immer noch gefühlte 3 Kilometer. 

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Mein Plan war eigentlich, in die private Herberge hinter der Stadt zu gelangen – die Beschreibung klang einfach zu gut. Aber noch einen Kilometer dran hängen? Also ab zur Touri-Info, die sollten doch bitte abchecken, ob ein Bett frei ist. Nur so würde ich den weiteren Weg überstehen. Aber dann stehe ich vor verschlossenen Türen, habe keine Lust länger zu warten, da Beine, Hüften und Schulter mich einfach umbringen. Eine weitere private Herberge soll nur 700m entfernt sein. Also hin da. Ich treffe ein, trete durch die offene Tür, rufe laut, aber keiner antwortet. Also setze ich mich auf die Terrasse, entledige mich meiner Schuhe und warte. Irgendwann stoße ich auf die Facebook-Seite der Albergue und muss feststellen, dass sie im vergangenen September bekannt gegebenen haben, dass sie auf unbestimmte Zeit schließen.

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So, jetzt wird mir schlecht. Schuhe wieder an, Rucksack wieder aufsatteln. Ich muss also mein Glück in der öffentlichen Herberge versuchen, die laut meinem schlauen Büchlein nur im Sommer, also ab Juli geöffnet hat. In der Stadt hängen aber Wegweiser – ein gutes Zeichen! Ich trete durch das kleine Tor in einen schönen Garten, werde sprichwörtlich an die Hand genommen, man nimmt meine Daten auf, erklärt mir schnell die Albergue und ich werde in ein Doppelzimmer gelotst, wo schon eine Finnin einquartiert ist. Ich bin begeistert. Sicher, die Sanitäranlagen haben schon bessere Tage gesehen, aber sie sind sauber, ich zahle nur 8€ und nächtige in einem ziemlich urigen alten Konvent. Ich freue mich sehr, genieße die Dusche ohne Zeitdruck, denn außer mir sind nur 5 weitere Pilger da und die haben ohnehin vor mir eingecheckt. 

Ein schneller Ausflug durch die Stadt und in einen Supermarkt sichert die Verpflegung für den Abend und den Folgetag. Die Frage nach dem Teilen der Weinflasche bringt mich ins Gespräch mich einem etwas schusseligen Italiener, der mich dreimal fragt, wo ich denn heute gestartet sei. Er und ein sympathischer, älterer Herr aus Schottland sind meine Gesprächspartner des Abends und alle sind wir angetan von der Idee, morgen nur 17km bis Arnope zu einer schmucken privaten Herberge zu laufen.

Ein heftiger Tag endet mit Gesprächen im verregneten Garten und im Schlafsack auf meinem urigen Doppelzimmer.

Gehabt euch wohl, ich freue mich sehr, von euch zu lesen!

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