Eine Platte, für deren Besitz sich bluetom schämt: Bon Jovi – Slippery When Wet (1986)
„Sex, Drugs & Rock’n'Roll!“ sind die drei Säulen, die das Leben männlicher Teenager bestimmen. Hat man seine Teenagerjahre in den 80er-Jahren in der niederösterreichischen Provinz – genauer gesagt im Traisental in der Stadt Herzogenburg – durchlebt, wurden die drei Bestandteile dieser Formel in etwa so ausgelebt:
Der Wunsch nach „Sex“ wurde durch heimliches Schauen der „Série Rose“ im Nachtprogramm des ORF abgedeckt. Das Verlangen nach „Drugs“ stillte man mit dem Konsum von Gerstensaft (Egger Bier in der Ein-Liter-Flasche!) oder Wein (bevorzugt Grüner Veltliner im Doppelliter-Format).
Aber es war für die Herzogenburger Jugend, die sonst in ihrer Freizeit entweder beim örtlichen Fußballverein oder der Freiwilligen Feuerwehr engagiert war, unmöglich, nicht mit „Rock’n'Roll“ in Berührung zu kommen. Wer einen älteren Bruder hatte, wurde von diesem von klein auf mit Rockmusik von Kiss, Electric Light Orchestra und Queen beschallt. Auch aus den von Jugendlichen frequentierten Lokalen tönte die Stromgitarre. Für diese Teenie-Generation galt die australische Hau-drauf-Rockband AC/DC als das Maß aller akustischen Dinge, deren Song T.N.T. zur inoffiziellen Hymne der Adoleszenten Herzogenburgs erhoben wurde. Geburtstage oder sonstige Feierlichkeiten in Heurigenlokalen, Weinkellern oder dem legendären „Disco-Stadl“ arteten zu wilden Headbanger-Partys aus.
Auch das optische Erscheinungsbild der Jugendlichen passte sich dem Rock’n'Roll-Lifestyle an: Der erste Flaum auf der Oberlippe der Burschen harmonierte mit dem sich zart kräuselndem Nackenhaar, das sich alsbald zum gestandenen Vokuhila (auf niederösterreichisch: „Beid’l-Matt’n“) auswachsen sollte. Der ortsansässige Juwelier schoss stündlich Flinserl in die Ohren verwegener Jünglinge. Lange bevor H&M erste Schritte in den österreichischen Textilienmarkt wagte, uniformierte sich bereits eine ganze Jugendbewegung mit schwarzen T-Shirts, „Stonewashed“-Stretchjeans und Jogging-High-Turnschuhen oder Cowboystiefeln der Marke Billigsdorfer. Nach hitzigen Diskussionen erklärten sich sogar die besorgten Mütter Herzogenburgs bereit, Aufnäher mit diversen Totenkopf-Motiven auf den Jeansjacken ihrer Sprösslinge anzubringen. Neben Selbstversuchen mit alkoholischen Getränken waren Moped fahren und Gespräche übers Moped fahren die beliebtesten Freizeitaktivitäten. Bald sollte sich auch die erste Hardrock-Band der Stadt formieren: Die Parasites. Kurz: Das Herzogenburg der 80er-Jahre lebte und atmete einen Rock’n'Roll der eher peinlichen Sorte.
Soviel zum Umfeld, das junge Menschen dazu gebracht hat, einige der schlechtesten Rockplatten der 80er-Jahre käuflich zu erwerben. Der Leser möge dem Autor die ausführliche Schilderung der Begleiterscheinungen dieser Ära verzeihen. Sie stellt lediglich den Versuch dar, den Besitz der Schallplatte Slippery When Wet von Bon Jovi, die hier im Folgenden kurz besprochen werden soll, zu rechtfertigen. Hier könnte zwar auch genau so gut ein Tonträger der fürchterlichen Scorpions oder der unsäglichen Poison stehen – die Achtziger waren wahrlich nicht arm an miesen Rockbands. Aber Bon Jovi gibt es bis heute, und sie sind unverständlicherweise bis heute erfolgreich.
Böse Zungen behaupten, die Band aus New Jersey habe im Lauf ihrer Karriere zwei Lieder geschrieben: Einen „fetzigen“ Rocksong mit Pop-Appeal und eine schmalzige Ballade. Diese beiden Songs werden von John Bon Jovi, Richie Sambora & Co bis zum St. Nimmerleinstag immer wieder aufs Neue reproduziert. Das Grundmuster dafür findet man in zehnfacher Form auf dem Album Slippery When Wet, mit dem ihnen im Jahr 1986 der große Durchbruch gelang. Einfach gestrickte Nummern mit banalen Texten sind seither das Markenzeichen und Erfolgsrezept Bon Jovis.
Muss man sich schämen, wenn man ein Album von Bon Jovi besitzt? Die Antwort ist: Ja. Sogar dann, wenn man es, so wie ich, im Jahr 1987 als Geschenk zum 14. Geburtstag bekommen hat. Bis zum 15. Geburtstag hat sie mir auch gefallen. Nach meiner Sozialisation in Herzogenburg (siehe oben) wusste ich es ja nicht besser. 16 Jahre später, beim Umzug nach Wien, war die Aversion gegen Bon Jovi bereits so groß, dass ich mich weigerte, bei der Übersiedelung meiner stattlichen Plattensammlung Slippery When Wet mitzunehmen. Jahrelang lag die Platte im Kinderzimmer und wurde erst anlässlich dieser „Rezension“ wieder auf den Plattenteller gelegt. Was soll ich sagen? Es war grauenhaft.
Seite A beginnt mit einem einminütigen Keyboard-Intro, dann geht’s ab: „Let it rock, let it go..!“ Mehr muss über den ersten Song mit dem Titel – no na – Let it Rock nicht gesagt werden. Danach folgen die Superhits der Band. Die ersten beiden Singleauskopplungen, eine musikalische Abrechnung mit der Ex (You Give Love A Bad Name) und eine Durchhalteparole eines Workingclass-Pärchens in der Reagan-Ära (Livin’ On A Prayer), bestechen durch seichte Klischees und banale Eingängigkeit in Wort und Ton. Dann Social Disease, ein klassischer Füller. Als nächstes die dritte Single Wanted Dead Or Alive, eine Cowboyballade über das harte Tourleben der Herren Rockstars. *Gähn* – Nicht ganz so schrecklich wie das Jahre später erschienene Bed Of Roses, aber grauenvoll genug, um das Experiment hier abzubrechen. Für den Besitz der B-Seite dieser Schallplatte schäme ich mich zwar auch, aber für eine weitere Besprechung haben mich Kraft und Mut verlassen. Ich will eigentlich überhaupt nie wieder Bon Jovi hören! Schließlich trag’ ich heute auch keine Stonewashed-Stretchjeans mehr.
Über den Autor: bluetom lebt und arbeitet als Online-Redakteur in Wien, sammelt leidenschaftlich LPs, CDs, DVDs und MP3s und ist des öfteren bei Konzerten in der Arena, im WUK oder im Chelsea anzutreffen. Erster selbstgekaufter Tonträger: D.Ö.F. auf Musikkassette (1983). Letzter selbstgekaufter Tonträger: Midlake – The Courage Of Others auf CD (2010). Erster Konzertbesuch: Alice Cooper, Kurhalle Oberlaa (1989). Letzter Konzertbesuch: Kasabian, Arena Open Air (2010). Nächste Konzerte: New Model Army, „Jubiläumstour“ in der Szene Wien am 12. und 13. November 2010.
Bon Jovi: Website Myspace Amazon
Dieser Text entstand im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts „31 Tage – 31 Platten“. Mehr dazu gibt es an dieser Stelle.