Tag 22: Nick Drake

Von Madication

Die Platte mit der kürzesten Spieldauer, die @catearcher besitzt: Nick Drake – Pink Moon (1972)

Ohne zu wissen, worauf ich mich damit einlasse, habe ich das Thema „Platte mit der kürzesten Spieldauer, die ich besitze“ gewählt. Ich entschied, mich auf LPs gemäß der Definition der britischen „Official Charts Company“ (die sagt: mindestens vier Tracks, oder 25 Minuten) zu beschränken. Die Musikverwaltungssoftware meines Vertrauens verriet mir schließlich, welches Album ich demnach besprechen darf: Pink Moon von Nick Drake.

Viele musikalische Genies wurden erst nach ihrem Tod als solche erkannt, waren zu Lebzeiten bloß mäßig erfolgreich, wurden belächelt oder völlig ignoriert; nicht wenige Künstler verzweifelten daran. Doch kaum einen traf dieses Schicksal so hart wie den in Burma geborenen Engländer Nick Drake.

Als Kind und Jugendlicher als talentiert, aber äußerst introvertiert (bis zur Isolierung) wahrgenommen, begann Drake als 18-jähriger mit Drogen zu experimentieren, und es dauerte gerade einmal drei Alben (oder acht Jahre) lang, bis ihn die Spirale aus Depression, Drogen und Armut schließlich in den Abgrund zog…

Drake steckte alles, was er war und zu bieten hatte, in seine Musik. Nachdem allerdings seine ersten beiden Alben von Kritikern insgesamt lauwarme Besprechungen erhalten hatten und ein finanzielles Desaster wurden (Bryter Layter, von welchem sein Produzent Joe Boyd sich großen Erfolg versprach, wurde nicht einmal 3000 Mal verkauft), verzweifelte er völlig und kapselte sich noch stärker von seiner Umwelt ab als zuvor; weder Freunde noch Familie bekamen ihn zu Gesicht. Mitten in dieser Phase der Isolation erschuf er, was viele als sein Meisterwerk ansehen: Pink Moon.

Anders als bei den ersten beiden Alben wurde er bei den Aufnahmen zu seinem dritten nicht von einer Band begleitet (an Bryter Layter wirkte unter anderem John Cale mit), sondern spielte es völlig alleine ein. Außer ihm war nur sein Produzent im Studio anwesend. Abgesehen vom Titelsong, bei welchem Drake auch einen Pianopart einspielte, ist auf den elf Tracks dieses 28 Minuten und 22 Sekunden langen Albums nichts außer seiner Stimme und seiner Gitarre zu hören. Die Aufnahmen dauerten nur wenige Stunden, verteilt über zwei Nächte.

Das gesamte Album lässt sich mit einem einzigen Wort beschreiben: trostlos. Trostlos, da sich Drakes Gefühl der Verlassenheit unüberhörbar in seiner Musik widerspiegelt, und das, obwohl sie eher vorsichtig optimistisch als traurig klingt. Trostlos auch im Sinne der sterilen Instrumentalisierung, welche aber, zugegeben, für ein Folkalbum nicht unbedingt ungewöhnlich ist. Genau diese Sterilität macht aber die Magie von Pink Moon aus: Dieses Album ist das, was in der Musik einem Selbstbildnis an nächsten kommt. Wir erleben den Künstler ungeschminkt. Es verwundert nicht, dass eine Textstelle aus dem letzten Song dieses letzten Albums den Grabstein Drakes ziert: „Now we rise / And we are everywhere“.

Obwohl Drakes letztes Album sowohl seine Plattenfirma begeisterte als auch positive Rezensionen enthielt, fielen die Verkäufe sogar noch schlechter aus als bei seinen ersten Werken. Drake verarmte kurz darauf, und seine Depression war stärker als je zuvor. Im November 1974 starb Nick Drake an einer Überdosis Antidepressiva.

Die Öffentlichkeit ließ der Tod des 26-jährigen Künstlers relativ kalt. In einem letzten, verzweifelten Anlauf veröffentlichte Island ein Boxset seiner Werke, doch auch dieses verkaufte sich schlecht.

Zehn Jahre nach seinem Tod passierte etwas Interessantes: Zahlreiche, teils weltberühmte Musiker gaben praktisch zeitgleich an, Drake habe ihre Musik beeinflusst wie kaum ein anderer. In den folgenden Jahren wurden seine Songs in Werbungen und Filmen verwendet, etliche Male gecovert und seine Alben erhielten endlich das Ansehen (und den Erfolg), das sie verdienten.

Drake hinterließ der Welt einige der schönsten Songs, die je geschrieben wurden. Wer noch nichts von ihm gehört hat, dem kann ich nur nahelegen, dies so bald als möglich zu ändern.

Über den Autor: @catearcher ist – im Gegensatz zu seiner Namenspatin – ein Mann und lebt, studiert und arbeitet als Softwareentwickler in Wien. Er hört Musik am liebsten digital, kauft aber seit einigen Jahren so viel Vinyl, wie er sich (nach Abzug der Kosten für Konzertkarten) leisten kann. Seine Pflicht als Social-Media-Möchtegern-Bobo erfüllt er in erster Linie auf Twitter. Wer ihn auf Konzerte diverser prätentiöser Indie-Bands begleiten will, darf ihn auf last.fm stalken.

Nick Drake: Website Myspace Amazon

Dieser Text entstand im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts „31 Tage – 31 Platten“. Mehr dazu gibt es an dieser Stelle.