Nach einer wunderbar entspannten und durchschlafenen Nacht sind wir alle drei tatsächlich vor dem Notfall-Alarm erwacht, der für heute auf weitaus später als sonst gestellt war. Klarina und Gert wollten gerne mit mir frühstücken und dann nur eine kurze Etappe machen – die Verabschiedung war einfach wichtiger als alles andere. Lex, der uns am Vorabend noch geschrieben hatte, dass er in Llanes abgestiegen ist, wollte morgens zum „Hi und Bye“ sagen in unserer Herberge vorbei kommen, auch wenn diese einen kleinen Umweg für ihn bedeutete. Ein letztes Mal packen also, zusammen räumen, und sich mal wieder darüber wundern, dass der Rucksack leichter und kleiner ist als manch anderem Tag.
Das kleine Frühstück mitsamt Gehtso-Kaffee haben wir alle so weit wie möglich hinaus gezögert, irgendwann waren die Tassen dann aber eben leer, ich wollte spätestens 8:30 Uhr auf die 3 km zurück nach Llanes aufbrechen und auch wollte ich nicht, dass die beiden Herzchen noch länger wegen mir warten. Die Herberge, die sie anpeilen, bietet nur wenige Betten und reservieren lässt sich auch nicht. Besser kein noch größeres Risiko eingehen, es soll heute schließlich warm werden, da müssen ungeplante Kilometer nicht sein.
Also brechen wir ein letztes Mal auf diesem Camino de la Costa auf, satteln die Rucksäcke und verlassen die Herberge. Wir haben einen gemeinsamen Weg von rund 100m, bis ich in die andere Richtung aufbrechen muss. Die Verabschiedung so oft ausgemalt und dann doch anders als erwartet. Weder Klarina noch ich müssen weinen, auch wenn ich mir sicher bin, dass sie anschließend ein Tränchen verdrückt hat. Ich biege um die Ecke, und weg sind sie. Mir wird Bang ums Herz und ich stolpere ein wenig. Zwei Einheimische teilen meinen Weg, weshalb ich mich zusammenreiße, ich treffe auf die Landstraße und hatte eigentlich vor, diese entlang bis Llanes zu laufen, da es der kürzeste Weg ist. Ich entdecke aber den Abzweig zum Camino, den wir gestern entlang gekommen sind und möchte doch gerne diese 3 km in entgegengesetzter Richtung auf ihm laufen. Ich komme auf die nächste Straßenkreuzung und finde kein Zeichen, wo ich lang muss. Gestern war ich zu erschüttert, um auf etwas zu achten, bin Klarina und Gert ja nur hinterher gelaufen. Ich sehe einfach keine Symbole und sehe es als Zeichen: Der Camino möchte nicht, dass ich in dieser Stimmung, in entgegengesetzter Richtung und vor allem jetzt gerade ohne die Fab2 auf ihm laufe. Also gehe ich wieder in Richtung der Landstraße, muss sehr mit mir kämpfen, aber weigere mich, jetzt alles heraus kommen zu lassen. Sieht schließlich blöd aus, wenn ein Pilger total verheult in die falsche Richtung läuft.
Ich komme also in die Stadt, weiß von gestern ja, wo sich der Busbahnhof befindet und stapfe direkt dorthin. Das Glück scheint mir hold zu sein, ein Café hat geöffnet und ich kann mich in die Morgensonne setzen. Ich habe noch über eine Stunde Zeit, bin aber lieber zu früh hier als zu spät. Ich versuche mich so gut es geht abzulenken und bin froh, als endlich der Bus kommt. Eine zweistündige Busfahrt steht mir bevor, der Platz neben mir bleibt diesmal durchgängig unbesetzt und ich fahre oft am Camino vorbei. Ich sehe Städte und Dörfer, durch die ich in der vergangenen Woche mit Klarina und Gert gelaufen bin, schreibe meinen Blogbeitrag von gestern und bin gerade fertig, als wir in den Busbahnhof von Santander einfahren.
Ich stelle mit Erschrecken fest, wie nah der Bahnhof doch am Hafen und der Bucht ist und ärgere mich abermals über mich selbst, dass ich bei meiner Ankunft hier vor 2 1/2 Wochen nur im Bahnhof rumgegammelt habe, statt meinen Rucksack einzuschließen und ein bißchen rumzulaufen. Meine Pension finde ich schnell und freue mich, dass meine Reservierung von vor 2 Monaten noch bekannt ist. Ein kleines aber sauberes Zimmer mit Queensize-Bett und einem superduper Bad direkt über den Flur stimmt mich ein wenig glücklich.
Ich stelle meine Sachen ab und möchte mich bei dem strahlendblauen Himmel da draußen gar nicht lange im Zimmer aufhalten, sondern raus. Es zieht mich auf die Uferpromenade, von der aus ich über die Bucht schauen kann und den Strand entdecke, an dem Klarina vor genau einer Woche die Befürchtung geäußert hat, nicht mehr weiter zu können. Dort drüben hat alles angefangen: der Pakt, die tiefe Freundschaft. Ohne Stadtplan laufe ich einfach weiter und habe das Gefühl, indem ich besagtem Strand näher komme, auch den beiden näher zu sein. Ich merke, dass ich heute bisher ja nur etwas mehr als 3 km auf der Uhr habe und ein paar Schritte gehen muss. Jetzt schon fehlt mir das Laufen und auch wenn ich ohne Rucksack und in Crocs unterwegs in, tut es mir gut. Außerdem merke ich, dass das Laufen meine Stimmung beeinflusst. Das Drücken im Hals und Herzen lässt nach und ich muss grinsen. Ich bin glücklich über diesen Camino, so unfassbar glücklich.
Ich habe die wirre Idee, bis zum Königspalast zu laufen, obwohl mir so richtig nach Sightseeing nicht der Sinn steht. Als ich an einem Strand ankomme und mich die Menschenmassen hier nur noch stören, drehe ich um. Ich merke die Sonne auf dem Kopf, habe aber auch Durst und Hunger. Ich schlendere zurück, sehe Pilger von der Fähre steigen, wie uns vor einer Woche, stapfe in die City und suche mir eine hübsche Bar für einen Vino Tinto. Der Burger King gegenüber bringt mich lauthals zum Lachen, dass sich Passanten umdrehen. Letzten Sonntag waren wir hier auf der Suche nach Fleisch und haben scherzhaft gesagt, dass wir hier doch fündig würden. Heute giert es mich nach einem Burger, mehr aber aus dem Grund, da ich keine Boccadillos und Tortillas mehr sehen kann. Und alleine mag ich mich in kein Restaurant setzen.
Ich schaffe meine Einkäufe schnell heim und laufe wieder die Uferpromenade entlang bis zum Yachthafen. Auf der Brüstung lässt es sich wunderbar sonnen und diesen Blogbeitrag schreiben, hinter mir planschen Kinder im Hafenbecken und vor mir erstreckt sich die Bucht in ihrer ganzen Pracht. Auch ein kaltes Bier ist in der Tasche für später.
Morgen Mittag geht mein Flieger heim, ich kann ausschlafen und mich in aller Ruhe auf zum Flughafen machen.
Aber Neuigkeiten habe ich euch versprochen:
Wer ein bißchen zwischen den Zeilen lesen konnte, bei mancher Bildüberschrift auf Facebook aufgepasst hat oder sich durch die letzten Beiträge auf Gerts Blog gewühlt hat, weiß ohnehin schon Bescheid. In knapp drei Wochen komme ich zurück auf den Camino. Ich bin mit der Idee schon drei Tage schwanger gegangen, bevor ich den beiden davon erzählt habe – und sie waren direkt Feuer und Flamme. Klarina und Gert trennen sich in vermutlich 2 Tagen, da Klarina den Camino del Norte weiter geht, Gert aber auf den Camino Primitivo abbiegen wird. Alle drei bleiben wir dank WhatsApp in Kontakt und passen die Etappen ab. Laut aktueller Planung und sofern nichts dazwischen kommt, treffen sich beide schon vor Santiago de Compostela wieder, um gemeinsam anzukommen. Und ich werde dort auf sie warten, auf der Plaza de Obradoiro und sie damit bald wieder sehen. Eine Woche vor ihrer Ankunft machen wie die Planung dann fest. Gemeinsam laufen wir dann bis ans Ende der Welt, nach Finisterra. Eine Reunion der ganz besonderen Art, da ich den Camino de Finisterra ja schon 2010 laufen und die Planung kurzfristig umgeworfen hatte, um noch ein paar Tage mit meinen Freunden zu laufen.
Dieser wunderbare Plan hat den heutigen Abschied auch nicht ganz so schwer gemacht – wir werden uns noch auf dem Camino wieder sehen!
Dies ist also nicht der letzte Blogbeitrag vom Camino dieses Jahr.
Tag 18: Der Weg ist noch nicht zu Ende is a post from: Jakobswege, Rezepte und tolle Orte