Die ganze Nacht habe ich unruhig geschlafen und viel wirres Zeugs geträumt, aber vor allem habe ich mich riesig auf den neuen Tag gefreut, denn
heute geht es in den Wald. In meiner Phantasie male ich mir den schon mal detailreich aus: dicht bewachsen mit haushohen Nadelbäumen, frischem Tannenduft und weich gepolstertem, moosigem Boden. Doch wie das Leben so spielt, bin ich nicht Rotkäppchen und der Pennine Way kein Wunschkonzert. Dazu aber gleich mehr.
Jetzt steige ich erst mal insTaxi Richtung Hadrians Wall, um meine gestern begonnene Wanderung fortzusetzen. Der Taxifahrer versprüht trotz der frühen Stunde eine erquickende Brise nordenglische Fröhlichkeit. Und so wird aus der Fahrt zum Pennine Way ein lustiges Schwätzchen über die englische Landschaft, die witzigen Eigenschaften von Schafen und meinen deutschen Akzent.
Nach einer Viertelstunde stehe ich wieder einmal schlaftrunken vor dem ersten Monsterhügel des Tages. Ein paar von denen gilt es heute morgen noch in Kauf zu nehmen, bevor ich mich auf der Barbarenseite weiter durchschlage. Nach Atem ringend erreiche ich Rapishaw Gap, verabschiede mich von der Zivilisation und bewege mich zielstrebig weiter nach Norden, in die dunklen Wälder.
Kurz vor Wark Forest gehe ich über eine ziemlich schlammige Wiese, die übersät ist mit Kühen. Und während ich mir meinen Schlachtplan gegen die massigen Tiere auf dem Pfad zurechtlege, bin ich einen Moment lang unaufmerksam. Ein fataler Fehler. Mein rechter Fuß tapst in weiche Erde und sinkt und sinkt. Plötzlich stecke ich bis zur Hüfte in einem Moorloch. Ich greife nach einem nahestehenden Zaunpfahl und ziehe mich langsam heraus. Hätte ich keine Gamaschen getragen, ich hätte aller Wahrscheinlichkeit nach meinen kompletten Schuh verloren. Ich bin über und über mit Schlamm bedeckt. Und direkt vor mir glotzen mich mehrere Kühe verständnislos aus großen Kulleraugen an. Eigentlich ist mir gar nicht zum Lachen zumute, aber die dumm aus der Wäsche schauenden Rinder geben einen urkomischen Anblick. Vermutlich denken sie gerade: “Oh Mann, wieder so ein bekloppter Idiot auf unserer Wiese unterwegs.” Und eh ich realisiere, was hier gerade passiert ist, bekomme ich einen riesigen Lachanfall.
Als ich mich wieder beruhigt habe, versuche ich mich vom gröbsten Modder zu befreien. Mit mäßigem Erfolg. Was soll’s, der Pennine Way ist schließlich kein Beauty Trail. Ich sehe das Ganze gelassen und betrachte es sozusagen als meine Taufe. Ich bin jetzt auch äußerlich ein echter Pennine Way Veteran.
Und dann geht es ab in den Wald. Und natürlich führt der Pennine Way nicht auf den trockenen, ebenmäßigen Waldstraßen lang, sondern mitten durchs Unterholz. Und das ist so moddrig, dass ich Ewigkeiten brauche, um dem Pfad zu folgen. Die Dunkelheit im mich umgebenden Gebüsch und der dichte, undurchdringliche Baumbewuchs flößen mir ein ungutes Gefühl ein. Ich bin ganz allein hier und fühle mich überhaupt nicht wohl auf den überfluteten, engen, verschlungenen Pfaden. Und ich atme erleichtert auf, als ich wieder offenes Land vor mir habe.
Da ich mich bald auch noch ein wenig verfranse und Zeit vertrödele, haben mich meine viel später gestarteten Hikerkollegen bald eingeholt. Wir laufen zusammen weiter und gelangen an eine seltsame Farm, die in einem kleinen Verschlag allerlei Snacks und Getränke für vorbeikommende Wanderer bereitgestellt hat. Sogar Toilette und Dusche gibt es hier. Alles ein wenig schmuddelig, aber durchaus eine menschliche Geste, die berührt. Doch niemand scheint hier zu sein und das Ganze wirkt dann doch etwas unheimlich. Ich nutze zumindest den Wasserhahn, um nochmal etwas Modder von meinen Klamotten zu kriegen.
Den steilen Aufstieg auf Shitlington Crag wage ich wieder allein. Und dann ist es nicht mehr weit bis Bellingham. Für heute Nacht habe ich ein Bett im Riverdale Hotel gebucht. Als ich davorstehe und merke, dass das ein eher noblerer Schuppen zu sein scheint, blicke ich an mir runter und bezweifle, dass man mich in dieser Modderkluft überhaupt reinlässt. Nicht nur dass meine Klamotten mit einer dicken braunen Schlammschicht übersät sind, auch meine Arme und Hände sind mit Dreckschlieren verziert. Doch was soll ich machen, ich kann mich ja schlecht im Vorgarten umziehen.
Also stehe ich etwas unbehaglich an der Rezeption. Doch der hagere, leicht gestresst wirkende Angestellte checkt eh nichts. Die Überforderung steht ihm ins Gesicht geschrieben als ich ihn nach einem Wäschereiservice frage. Er bringt mich im Schnelldurchlauf ins Zimmer, knallt den Schlüssel auf den Nachttisch und verschwindet im Hotelflur. So viel dazu.
Da muss ich mir wohl selbst aushelfen und bastle mir aus der Badewanne mal eben eine Waschmaschine. So ist das eben als Pennine Way Hiker. Den Modder hast du dir selbst zuzuschreiben, also sieh zu, wie du deinen Kram wieder sauberpolierst.
Die Highlights des Tages entschädigen eh für alles: