Tag 1: Zu viele Pläne sind nicht gut

Von Geradine @GeradineMcC

Die Überschrift dieses Beitrags ist bewusst gewählt: Mit meiner Rückkehr auf den Camino bin ich das fünfte Mal auf dem Weg und dabei nun zwei Mal in nur wenigen Wochen. Ich werde meine 1.500km auf diesem Weg insgesamt knacken und es hat nichts mit dem Camino de la Costa von vor wenigen Tagen zu tun. Es ist ein neuer Camino. Ein Camino in neuer und vor allem in wichtiger Konstellation. Es ist ein neuer Tag 1.

Drei Nächte mit einer minimalen Menge an Schlaf sind einfach zu wenig. Ich merke das leider, als endlich der Tag der Tage gekommen ist und ich mich auf den Rückweg nach Spanien zu meinen geliebten Fab2 machen darf. Die Nächte wach liegen und sich ausmalen, wie das Wiedersehen aussehen mag, dabei aber keinem von beiden wirklich offenbaren können, wie der Plan aussieht, den ich mir da ausgedacht habe. Zuhause sind alle heiß auf die Geschichte, freuen sich mit mir auf das Wiedersehen und sind genauso eingeweiht wie einige der gemochten Weggefährten meines Camino de la Costa: Irene und Lisa, die mittlerweile zusammen laufen, Nancy, die sich auf dem Camino Primitvo in der Zwischenzeit vor Gert gemogelt hat, dazu ein Bekannter aus Santiago de Compostela und Dienstleister, die besser Spanisch sprechen als ich und damit mehr klären können.

Im vergangenen Beitrag habe ich schon angekündigt, dass es einen Plan gibt, über den ich zu diesem Zeitpunkt nicht weiter sprechen konnte. Ich wußte, dass die beiden auch meinen Blog verfolgen und daher durfte ich leider nicht zu viel verraten. Der ursprüngliche Plan der Fab3 sah vor, dass ich am 15. Juli auf der Praza do Obradoiro vor der Kathedrale von Santiago de Compostela auf sie warte, wenn sie die 5km vom Monte de Gozo hinter sich haben und endlich am Ziel ihrer Pilgerreise ankommen. Dass ich sie in die Arme schließen und begrüßen kann. Dass die Fab3 wieder vereint sind.

Heute ist es aber endlich so weit und ich darf mehr verraten. Seit dem Zeitpunkt, da ich meine Flüge von Düsseldorf über Madrid nach Santiago de Compostela gebucht hatte, stand fest, dass ich mit Sicherheit keinen Abend alleine in einer Stadt verbringe, die ich nicht mag, an die ich keine schönen Erinnerungen habe, die mich 2010 nicht gut empfangen hat. Erst recht nicht in dem Wissen, dass die beiden nur 5km von mir entfernt in einer Herberge sitzen. Also wollte ich dort hin laufen, zumal ich gegen 17 Uhr landen sollte. Als ich dann aber sogar festgestellt habe, dass mein Airport-Shuttle nur wenige hundert Meter am Monte de Gozo vorbei fährt, war alles klar. Also musste ich sie nur hinhalten, ihnen erklären, dass ich spät in Santiago de Compostela ankomme, dass ich lange in Madrid auf meinen Anschlussflug warte und diese Zeit gerne mit einem FaceTime-Anruf verschönern würde. So gegen 18 Uhr. Also genau zu dem Zeitpunkt, da ich selbst am Monte de Gozo eintreffe. Und ihnen nur sagen muss „Dreht euch mal um!“.

Doch es sollte alles anders werden.

Meine tatsächliche Umsteigezeit in Madrid beträgt genau 65 Minuten. Im Grunde machbar. Allerdings nicht, wenn der aus Düsseldorf ankommende Flieger die Türen ganze 20 Minuten lang nicht öffnet und erst recht nicht, wenn der Spacken an der „Short Connection“ mich nicht durchlässt und an die lange Schlange schickt, obwohl für meinen Anschlussflug schon der „Last Call“ auf der Anzeigetafel steht. Also heißt es Anstellen, Bangen, ständig auf die Anzeigetafel schauen, die Haare raufen und kurz vor dem Heulflash stehen. Als endlich meine Boardkarte kontrolliert wird, erkläre ich in gebrochenem Spanisch, dass ich dringend irgendwie schneller hier durch muss und werde an eine kurze Schlange verwiesen. Die Tasche wird gescannt und dabei die Roller Pumpernickel für Klarina als potentieller Sprengstoff erkannt. Die Minuten streichen dahin, ich bin kurz davor vollkommen zu eskalieren. Ich schnappe meine Tasche und spurte los. Die Wegweiser zeigen an, dass ich 11 Minuten bis zu meinem Gate benötige. In 20 Minuten soll mein Flieger abheben. Ich renne wie noch nie zuvor in meinem Leben, mit Wanderschuhen und unförmiger Tasche, komme schwer atmend (Hallo Euphemismus!) am Gate an, röchle nur etwas von Santiago und werde tatsächlich noch in den Bus zum Flieger gelassen. Geschafft. Ohne Luft. Aber geschafft.

Ich sitze also endlich im Flieger aber los geht es noch lange nicht. Ohne Klimaanlage und mit Dauerbeschallung eines Liedes des eigentlich von mir verehrten Michael Bublé in Endlosschleife sehe ich durch das Fenster Menschen diskutieren. Leichte Sorge bricht aus und nach dann doch mal 1 1/2 Stunden teilt uns der Pilot mit, dass irgendwas mit dem Treibstofftank ist und wir das Flugzeug wechseln müssen. Also werden wir umgeladen und heben mit über zwei Stunden Verspätung ab. Ich verfalle in Panik, da ich nicht weiß, wie ich die beiden hinhalten soll. Ich weiß schließlich, dass sie jetzt schon auf meinen Anruf warten. Nach einer Stunde Flugzeit versuche ich den Plan weiter aufrecht zu erhalten, als ich dann aber am Gepäckband stehe und mitgeteilt bekomme, dass zwar alle Passagiere ins neue Flugzeug verfrachtet wurden, nicht aber das Gepäck, stehe ich wirklich kurz vor dem Zusammenbruch. Ein Scheißhaufen jagt an diesem Tag den nächsten – wie zum Teufel soll ich denn ohne meinen Rucksack auf den Camino starten?

Während ich in einer Warteschlange von rund 30 Leuten stehe, rufe ich die beiden doch an, erzähle den Erschrockenen mittlerweile unter Schluchzen, wie der Plan eigentlich aussah und wie die aktuelle Situation aussieht. Dass ich noch länger brauche. Und dass ich keinen Schimmer habe, wie es weiter gehen soll. Ich schaffe es nicht lange, diese beiden Gesichter zu sehen, die doch nur so wenige Kilometer von mir entfernt sind und irgendwie doch so weit weg. Beide schreiben mir nach dem Telefonat, dass doch alles gut wird, dass wir eine Lösung finden und heute, als ich diesen Beitrag schreibe wird mir klar, dass nun ich an der Reihe bin mit dem „Hilfe annehmen“. Klarina hat unsere Unterstützung und Gerts Schuhe in Santander benötigt. Gert hat Klarina und mich als Krankenschwestern in Comillas gebraucht. Und nun musste, konnte und durfte ich auf diese beiden Herzensmenschen bauen.

Zwei Polizisten helfen mir wirklich sehr und ich bin schwer begeistert ob ihrer Fürsorglichkeit und Hilfe – die Iberia-Angestellte teilt mir zu meiner riesigen Erleichterung mit, dass mein Rucksack mit der 21 Uhr-Maschine eintrifft und morgen in meine Unterkunft in Santiago de Compostela transportiert wird. Also schnappe ich mir das erste Taxi, möchte nicht auf den Bus warten, sondern ganz schnell zu den beiden. Ich erreiche den Monte de Gozo und bin erschrocken über den Unterschied zu 2010, als ich das erste Mal hier war. Alles ist geschlossen, verlassen und wirkt wie eine fürchterliche Geisterstadt. Dort, wo ich die beiden vermutet hatte und überraschen wollte ist nichts und niemand. Ich versuche sie zu erreichen, es funktioniert nur schriftlich. Gert kommt mir entgegen und das Wiedersehen ist unglaublich emotional und herzberührend. Ich bin so unfassbar glücklich, diesen Mann in meine Arme schließen zu dürfen und bin froh, dass wir endlich wieder vereint sind. Der Camino gibt Dir, was Du brauchst. Für mich ist es der verrückte Belgier. Einen Menschen, den Mann fürs Leben. Ich habe es in den vergangen durch FaceTime und Nachrichten geprägten Wochen mehr als nur geahnt. Aber mit dieser Umarmung weiß ich es sicher.

Auf den Schock dieses Tages müssen ein paar Getränke her, das Wiedersehen wird ausgiebig gefeiert und die Nähe zu den beiden ist so unfassbar schön und intensiv, dass sie fast greifbar ist. Die Sehnsucht, beide in meine Arme zu schließen, sie zu herzen, anzufassen und ihnen zu zeigen, wie unfassbar stolz ich auf ihre Leistung bin, lässt sich nicht in Worten ausdrücken. Dank Gerts Zweitschlafsack muss ich auch nicht auf eine halbwegs annehmbare Nacht verzichten und so neigt sich das Ankommen, der erste Tag meines Caminos de Fisterra dem Ende zu.

Auch wenn an diesem Tag eine Katastrophe die nächste gejagt hat und der Plan nicht aufgangen ist wie er sollte, zeigt sich das Ende des Tages doch von seiner besten Seite: In höchsten Glücksgefühlen!

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