Tag 1: Der Camino beginnt

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Nach einer für den aktuellen Gefühlsstatus erschreckend erholsamen und durchschlafenen Nacht erwachte das Pilger-Herzchen vor Freude hüpfend, so dass fast kein Espresso nötig war, um den Körper auf den Tag vorzubereiten. Irgendwie habe ich gerade die Befürchtung, dass ich ganz schön viele Erinnerungen an Schmerzen und Camino-Wehwehchen vergessen habe – es ist ausschließlich die Vorfreude auf alles Gute, das der Jakobsweg bereithält, was mir in den Kopf kommt.
Aber sei’s drum. Dieser Camino wird großartig. Ich weiß es!
Während ich diese Zeilen schreibe und den ersten Beitrag beginne, sitze ich im Flieger, unter mir noch die deutsche Landschaft bei schönstem Sonnenschein. Die Wetter-App hat mir leider angekündigt, dass mich Regen, vielleicht sogar Gewitter nicht nur in Santander und Irún für heute, sondern an der gesamten Küste erwarten. Vermutlich sogar für die nächsten Tage. Ich ärgere mich einen Moment darüber, schiebe den Gedanken aber schnell beiseite. Ich kann es ja nicht ändern. Ein weiterer negativer Gedanke der letzten 24 Stunden, der mir aber trotzdem meine Reise nicht verleiden wird. Fakt ist, dass das Wetter den Weg meines ersten Lauftages morgen bestimmen wird. Hinter Irún geht es direkt auf einen Berg, der zwei verschiedene Routen bietet: Die „Alpinista” führt über den Berg, bietet wohl einen wunderbaren Ausblick auf die baskische Küste, die zweite, etwas weniger anstrengende Route führt um den Berg herum. In den Foren wird die erste Route auf jeden Fall all jenen empfohlen, die mindestens ein wenig fit sind und sie sich zutrauen – der Blick würde für jede Anstrengung entschädigen. Wenn das Wetter allerdings genau so wird, wie es aktuell angekündigt ist, kann ich mir das auch schenken, denn sehen werde ich nichts. Das wäre schade, ich hatte mich für den ersten Tag sehr auf diesen Ausblick gefreut, aber auch hier: Ich kann es ja nicht ändern. Ich stresse mich jetzt nicht zu sehr, entscheide morgen und nehme es, wie es kommt.

Dieser Ryanair-Flug ist schon eine kleine Vorbereitung auf das, was mich in den kommenden Tagen erwartet. Ich erinnere mich meiner vergangenen Caminos und jedes Mal waren es die spanischen Pilger, die hinsichtlich Lautstärke und Silben-pro-Tag-Anzahl ungeschlagen waren. Die spanische Crew ist hier gerade nicht anders, was zwar meine Lautstärke nicht so gut ertragende Ohren etwas quält, mir aber dennoch ein Schmunzeln ins Gesicht treibt. Es scheint noch nicht jedem klar zu sein, dass die Kombination aus Mikrofon und Lautsprecher nur bedingt eine Steigerung der eigenen Lautstärke bedarf. Vollkommen gegensätzlich die Begrüßung des Piloten: Nach einer gefühlten Ewigkeit voller Verwirrung und dem Versuch, die gesprochene Sprache zu identifizieren konnte ich die Sorge, eventuell doch im falschen Flieger zu sitzen beiseite schieben, da ich ein / zwei Mal „Santander” erkannt habe.

Die Erkenntnis dieses Flugs lautet: Knoblauchbrot im Flieger ist wie früher Bifi im Minibus. Es ist eigentlich unfassbar, welche Gerichte Ryanair da austeilt. Die Knoblauchbrote haben den gesamten Flieger unterhalten und neben mir wurde süß-saures Hühnchen verzehrt. Für die Nichtesser eher unangenehm, von Ryanair aber nicht so dumm, da der Getränkekonsum nach einem solchen Mahl sicherlich in die Höhe schnellt.
Neben mich hat sich eine junge Familie gesellt. So nicht schlimm, zumal die kleine Prinzessin echt Zucker war. Aber ein Vater, der zwei Stunden lang versucht, durch rhythmisches „Cha Cha Cha” Aufsagen sein Kind vom Weinen abzuhalten ist jetzt nicht gerade die Idealvorstellung eines Sitznachbarn. Ich bin mir nicht sicher, was das üblere Los gewesen wäre: der Singsang des Vaters, der mir nach 1.000 Wiederholungen im Ohr wurmt oder ein weinendes Kind.

— Szenenwechsel —

Nun sitze ich im Busbahnhof von Santander, bin gut gelandet und habe ohne Probleme hier her gefunden. Nervig ist die Warterei: Aufgrund nicht gerade optimaler Verbindungen warte ich insgesamt 4 1/2 Stunden hier auf meinen Bus, der mich um 17 Uhr nach Irún bringt, wo ich kurz nach 8 ankommen und hoffentlich noch ein freies Bett in der Pilger-Herberge ergattern werde. Im schlimmsten Fall wird es eine Pension, aber ich wollte es gerne riskieren, um direkt ab dem ersten Abend unter Pilgern zu sein. Leider konnte man hier nicht im Vorfeld reservieren. Eine schöne Überraschung ist aber das Wetter: Entgegen der Vorhersage ist es zwar bedeckt, es sieht aber kein Stück nach Regen aus.

Schon in Weeze habe ich Menschen in Funktionskleidung gesichtet, in Santander angekommen konnten sie dank der Rucksäcke und Pilgermuscheln schnell identifiziert werden. Es hat sich allerdings ein wenig zerschlagen, die meisten der Deutschen hatten den Outdoor Reiseführer für den Camino Primitivo in der Hand – mit denen werde ich wohl nicht gehen. Ein paar wenige sitzen aber nun hier im Gebäude, mal sehen, in welchen Bus sie steigen.

Ich freue mich, wieder zurück zu sein, auch wenn ich noch keine Muschel, Pfeile oder anderen Wegweiser entdeckt habe.

Aber ich bin zurück!

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