Pure Symbolkraft in Bildern sollen die Wände meines neuen Büros schmücken. Das war jedenfalls mein Grundgedanke. Aber was ist Symbolkraft? Welche Bilder haben dies? Macht das Motiv die Symbolkraft aus oder ist es der Inhalt? In der Theorie lässt sich das gut abhandeln, in der Praxis fällt es schwer, aus einem Stapel Bilder die mit Symbolkraft heraus zu deuten. Wenn man es dann geschafft hat, steht die sorgenvolle Frage im Raum: Schmückt Symbolkraft die Wand oder erdrückt sie das Leben in den vier Wänden?
Symbolkraft versus Lebensraum
Gleich vorweg: Meine berufliche Neuentfaltung geht ab 1. Oktober in die Vollen. Jetzt ist Vorbereitungsphase. Ein Büro ist gemietet, der Schreibtisch aufgebaut, das Telefon freigeschaltet. Das Aufbauen des Schreibtischs war bisher die schweißtreibendste Arbeit. Das Ding ist ein echtes Monstrum.
Die restlichen Möbel werden in den nächsten Tagen besorgt und an ihren Platz gerückt. Was fehlt, sind die Bilder an der Wand. Den vergangenen Sonntag habe ich zur ersten Vorauswahl genutzt. Den klar strukturierten Grundgedanke zur Auswahl hatte ich ja:
Da in meinem Büro Klienten verkehren, braucht es Bilder mit Symbolkraft an der Wand!
Dieser Grundgedanke liegt ganz auf der Welle des altgedienten Werbefotografen:
… und für wen es sonst nicht reicht, Bilder gucken fällt ihm leicht.
Ein Hoch auf den Schöpfer dieser Weisheit, weil sie allen Fotografen der Welt Brot und Arbeit gibt.
Soll ich ehrlich sein? Wer in einer solchen Umgebung arbeiten und einen Großzeit seiner Zeit verleben soll, kann nichts öderes erleben. Zu viel ist zu viel.
Ein Brief an die Symbolkraft
Ich steige aus dem Kreislauf der Symbolkraft-Verfolgung aus. Hier meine Austrittserklärung, die ich der Symbolkraft persönlich übermittelt habe:
Liebe Symbolkraft,
seit langem bist Du der Mittelpunkt der Bildgestaltung für Werbung und Marketing. Du hast uns den Frischeschub der Seife namens Fa, die Freiheit des Malboro-Rauchs und den Kick der Afri Cola bildlich nahe gebracht. Mehr noch. Du hast uns vor dem Vergessen des Denkwürdigen bewahrt. Du alleine, liebe Symbolkraft, hast jeden Sonnenuntergang mit einer unverwechselbaren Botschaft belegt, so dass inzwischen jeder Urlaubsfotograf ohne Mühe und Können, alleine durch Anklang an Dich, zur gewünschten Bildaussage kommt.
Hochverehrte, bitte habe Verständnis dafür, dass ich mich mittlerweile von Dir bedrängt und erdrückt fühle. Meister Proper kuschelt mit dem Wollweich-Häschen und das Lenor-Gewissen badet seine Finger darin. Tilli, bis ans Ende meiner Tage ist mir bewusst, der Reis klebt nicht mehr und in anderen Haushalten gibt es schlichte, spartanische, ordinäre Nudeln (und keine Socke will sich an diesen Tisch setzen). Überall, hier, da und dort, erkennen wir Symbole und Du lässt uns ihre Kraft spüren und nie wieder vergessen. Das ist mir jetzt zuviel, ich steige aus.
Mach’s gut und viele Erfolge auch ohne mich, wünscht Dir Dein abtrünniger Sohn Michael
So, von der Symbolkraft habe ich mich verabschiedet. Jetzt ist mir wohler, weil es die Aktion „Bilder ins Büro“ deutlich erleichtert.
An die Wand gehören Bilder mit einer Geschichte
Ein Teil meiner Bürowände werde ich mit Bildern schmücken, die für mich eine Geschichte beinhalten. Für mich! Ob ein Bildbetrachter die Geschichte sieht, ist mir egal. Ich „brauche“ diese Bilder, weil sie mich an (wichtige) Begebenheiten erinnern. Zum Beispiel bei diesem Bild:
Unterwegs mit dem Fahrrad in Braunschweig hatte mich ein gewaltiges Gewitter erwischt. Mehrere Gewitterwellen rollten über mich hinweg und diese freundliche Dame hat mir Unterschlupf gewährt. Sie war auch gezwungen im Regen herum zu patschen, weil sie Rettungsaktionen im Biergarten eines Lokals zu vollbringen hatte.
Das war die Kurzversion der Geschichte. Die mittellange Version ergänzt sich noch um die Angabe, dass ich meine Polaroid SX-70 dabei hatte. Außerdem erwischte mich das Gewitter während eines wichtigen Telefongesprächs. Dank der hilfsbereiten Dame stand ich im Trocknen und zur Aufmunterung wurde mir noch ein Espresso serviert. Bei all diesen schönen Details ist die Vollversion der Geschichte nicht mehr nötig. Für mich hat das Bild Symbolkraft, weil es mich an einen sehr freundlichen Menschen erinnert, der mir eine missliche Situation erträglich machte.
Lächele, auch wenn Dich ein Gewitter überrascht!
Jetzt fehlen nur noch zwölfunddrölfzig Bilder
Wenn ich mir bei jedem Bild so viele Gedanken mache, wie bei diesem, wird das nix mit den Bildern im Büro. Egal. Das Bild ist ein Polaroid und nicht groß und repräsentativ. Also werde ich wohl auch noch an der Menge arbeiten, um zum Ziel zu kommen. Mal schaun, ob sich da noch andere Bilder finden, die Geschichten wach rufen. Ich bin fast sicher. Für heute ist es aber genug. Über meine weiteren Einrichtungsbemühungen werde ich Euch wieder berichten.