Swantow

ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 484

Swantow – ein realer und zugleich fiktiver Ort?

Der Klappentext eines 1982 im Mitteldeutschen Verlag Halle-Leipzig erschienenen kleinen Büchleins des Dichters Hanns Cibulka (1920-2004) ließ nicht nur Rüganer aufhorchen. Das Buch bot für ostdeutsche Leser Sprengstoff in Hülle und Fülle. Viele wunderten sich, dass es in der DDR erscheinen durfte. Was aber war real und was fiktiv im Buch? Durfte manches nur verschlüsselt benannt werden?

Real besteht Swantow aus einer kleinen Ansammlung von Gehöften. Die Häuser sind schnell abgezählt. Bis auf einen gravierenden, das Dorfbild eklatant störenden Bau der jüngeren Geschichte, blieb Swantow immer überschaubar. Swantow – ein Ort, der mit einem Feldsteinkirchlein aufwartet, dessen Geschichte bis ins 15. Jahrhundert zurück reicht, das Christen wie Atheisten nun schon über Jahrzehnte gern aufsuchen und von dessen Ausstrahlung man immer wieder fasziniert ist. Ein Ort, der kulturaufgeschlossene Bürger zusammenfinden lässt z.B. zu Konzerten, die Saisonabende adeln und unvergessen machen.

Swantow ist nach Cibulkas gleichnamigen Buchtitel »der Ort, wo der Himmel hoch ist und das Meer ganz nahe«, wo »das Leben langsam in die Erde einsickert, bedächtig.«

Aber: Swantow war für Cibulka auch der Ort, der ihn bei aller Idylle das Gefahrenpotential des schräg gegenüber auf dem Festland liegenden Lubminer Atomkraftwerkes Nord ins Gedächtnis hämmerte, von »Atomschneisen« träumen ließ; wo er einen Satz von Paul Valéry las und für seine Leser festschrieb: »Der moderne Mensch hat sein Wissen in Taten umgesetzt, seit einem Jahrhundert unternimmt er in einer Welt, von der er nur ein winziges Teil, ein vergängliches Produkt ist, ein riesiges Werk der künstlichen Umgestaltung, dessen Grenzen und Folgen er nicht zu übersehen vermag.«

Cibulka war damals knapp über sechzig. Ein Seher und Mahner, der, lebte er noch, sein Swantow-Buch erst jüngst geschrieben haben könnte: Lagebericht III // Kein Hölderlin-Hymnus / auf die Natur, / die Herzwand verkarstet, / zauberkundig / die Polypenarme der Chemie, / vom Anblick der toten Fische / kaufen wir uns frei / durch Wachstumsraten der Wirtschaft, / zur Sage geworden / das Wasser / im Brunnen. // Eingesprengt in den Salzstock / die Stollen, / keine radioaktiven Pulks, / Partikeltod / im Grundwasser, / unterirdisch. // Wie die Pilze schießen sie hoch, / die tausend kleinen / Tode. // Es muß sehr dunkel sein / in den Lichterstädten der Welt, / dass wir so wenig sehen, / sehr laut, / dass wir so wenig hören. // Kein Landgewinn, / die Einäugigen lehren.«

Sie lehren uns bis heute die angebliche Notwendigkeit beschleunigten Wachstums, die Vergötzung des Atoms, so gesehen das Ende des Einklangs von Mensch und Natur oder noch anders gesagt: das Fürchten. ARTus

Swantow

Eine Swantow-Nachbetrachtung anlässlich des 90. Geburtstages des Dichters Hanns Cibulka am 20. September 2010. Zeichnung: ARTus

(Erscheint am Sonnabend in der Kolumne „So gesehen“ in der Ostsee-Zeitung Rügen)



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