SVV – Ein Teil meiner Geschichte


SVV – Ein Teil meiner GeschichteAutoaggressives Verhalten ist eine psychische Krankheit, die überwiegend bei Jugendlichen unter 18 Jahren auftritt. Jedoch sind auch viele Erwachsene davon betroffen. Die Dunkelziffer hier liegt wesentlich höher – denn Erwachsene sind wesentlich besser darin, dieses Symptom gut zu verstecken.
Man sollte sich als Betroffener möglichst schnell in eine Psychotherapie begeben. Es handelt sich eigentlich um ein Symptom für eine andere psychische Krankheit, nicht um die Krankheit an sich. Durch Selbstverletzendes Verhalten wird sie nur zum Ausdruck gebracht.
Meine Leser wissen, dass auch ich oft mit SVV zu kämpfen habe. Ich bin kein Arzt oder Therapeut, aber ich habe Erfahrung und möchte helfen - mit Erklärung und Aufklärung. Natürlich kann das Lesen eines Artikels nicht den Gang zum Therapeuten ersetzen, aber in unserer Gesellschaft gibt es immer noch diverse Tabuthemen.
Mein Weg zur SVV begann mit ca. 12 Jahren durch das klassische Ritzen an den Unterarmen. Zunächst war es eher selten – mit 14 Jahren gehörte es zu meinem Alltag dazu wie das Frühstücken. Egal, was gerade schief lief, ich gab mir selbst die Schuld daran und musste mich „bestrafen“. Manchmal war es auch einfach der Druck oder das Gefühl, dass ich nichts kontrollieren konnte - außer den Schnitten. 
Natürlich blieb dieses Verhalten nicht unbemerkt. Die Folge war eine Ausgrenzung in der Schule und eine Mutter, die sich fragte, wie das nur „passieren konnte“ und „womit sie das verdiente“. Mir wurde gesagt, ich solle einfach damit aufhören. Wirklich hilfreich. Zu einem Krebspatienten könnte man auch sagen, er solle den bösen Tumor doch einfach besiegen. Anständige Hilfe bekam ich zu diesem Zeitpunkt nicht – aber das wollte ich auch gar nicht. Ich versteckte meine SVV einfach besser. Eine ganze Zeit ging das auch gut. Statt den Armen nutzte ich die eher verdeckten Stellen, wie die Innenseiten der Oberschenkel, den Intim-Bereich, die Füße oder den Bauch. Ich sorgte dafür, dass niemand in meinem Umkreis es bemerkte, setzte ein falsches Lächeln auf und versuchte möglichst „normal“ zu wirken.
Das Ganze ging genau so lange gut, bis der Druck zu groß wurde – ich hatte schlicht keine freien „versteckten“ Stellen am Körper mehr frei und griff zu einer Rasierklinge, mit der ich mir die Unterarme aufschlitzte. Leider etwas zu tief. Ich musste zu einem Arzt, der sich um die Wunde kümmerte.
Es folgte die Einweisung - mit 16 Jahren.
Die Klinik half mir eigentlich nur in einem Punkt: ich war vom Auslöser meiner „Anfälle“ befreit. Die nachfolgende Therapie zeigte mir Skills, mit denen ich das Verhalten immerhin zeitweise in den Griff bekam. Zumindest nach außen hin schien sich alles zu bessern. Meine Noten in der Schule wurden wieder besser, ich hatte mehr soziale Kontakte und wirkte „glücklicher“. Dennoch hatte ich Rückfälle. Ich nutzte jedoch nicht mehr nur Rasierklingen – sondern heißes Wasser oder Zigaretten. Die Verbrennungen konnte ich mit meinem ungeschickten Verhalten erklären und mein Umfeld glaubte es mir. Die Therapie endete, ich schloss die Schule ab und zog von Zuhause weg. Damals lebte ich mit meinem ersten wirklich festen Freund zusammen. Auch er gehörte zu den Menschen, die einem einen Vorwurf daraus machten, wenn man sich selbst verletzte. Bekam er mit, dass ich irgendwo einen Schnitt hatte, oder erwischte mich sogar auf frischer Tat dabei, brach ein gigantischer Streit aus.
„Wie kannst du nur so einen Scheiß machen?“
Man kann sich denken, wohin das führte – ich sprach gar nicht mehr darüber, wenn ich den Drang verspürte mich zu verletzten. Ich machte es inzwischen hauptsächlich an den Fußsohlen. Dort spürte ich den Schmerzen den gesamten Tag lang und niemand – nicht einmal mein Freund – sah es. So boxte ich mich durch eine Ausbildung durch. Nach außen hin schien ich erwachsen, glücklich und in meinem Inneren tobte ein Kampf. Inzwischen war ich 21 Jahre alt. 
Obwohl mir bewusst war, dass ich so nicht ewig weitermachen konnte, fehlte mir der Mut wieder in Therapie zu gehen. Immerhin wusste nur ich von meinen inneren Dämonen und ich wollte, dass es auch so bleibt. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, was passierte, wenn mein Umfeld herausfand, dass ich mich immer noch ritzte oder mir auf eine andere Art weh tat. 
Dann folgte eine neue Liebe. 
Jemand, bei dem ich dachte, er würde mein Verhalten verstehen, da er selbst dazu neigte. Endlich hatte ich das Gefühl, mit jemanden über all die dunklen Gedanken in meinem Kopf reden zu können – dabei bemerkte ich nicht, wie sehr mich das zu einem neuen Abgrund brachte. Obwohl ich eigentlich recht zielstrebig bin, verlor ich mich komplett zwischen Drogen, Partys und psychischer Selbstverletzung. Nach außen sah noch immer alles danach aus, als würde es funktionieren. Ich hatte einen Job und begann auf die Abendschule zu gehen …Doch hinter verschlossenen Türen weinte ich jeden Abend, hungerte, um mir vorzumachen, die Kontrolle über mich zu haben und ritzte mich, sobald ich das Gefühl bekam, den ganzen Druck nicht mehr auszuhalten. Der Strudel hatte mich gefangen und ich sah eine ganze Weile den Ausweg nicht – bis ich mich schließlich trennte, den Job schmiss, den ich gerade ausübte und mir wieder eine Therapeutin suchte. Der Knall kam in dem Moment, an dem ich merkte, dass ich mich krampfhaft an alles klammerte, was mir schadete. Einfach war dieser Schritt nicht – ich verletzte viele in meinem Umfeld, die nicht verstanden, warum ich plötzlich so „anders“ auf ihren Konsum und ihre Art zu leben reagierte und verlor zwischendrin oftmals den Mut.
In der Therapie nahm ich eine Weile Medikamente und bekam meine Diagnose: 
Manische Depression. 
Das ist inzwischen ein Jahr her. Ich bin 25 Jahre alt und habe mich zuletzt vor ziemlich genau einem Jahr geritzt. Ich bin immer noch in Therapie und lehne es aktuell ab, Medikamente zu schlucken. Es ist mir wichtig, mit mir selbst und meiner psychischen Krankheit selbst zurechtzukommen. Dennoch lehnte ich Medikamente in besonders schlimmen Phasen nicht ab. 
Warum ich diesen Seelenstrip auf meinem Blog hinlege?
Weil ich nicht alleine bin. Und du bist es auch nicht.
Such dir Hilfe. Hör auf dich zu verstecken und finde heraus, was dir gut tut und was nicht. Dein Leben ändert sich nicht von alleine. Das schaffst nur du selbst – und ich will dich nicht anlügen: Es wird lang und hart, aber es lohnt sich.
Versprochen. 
Hier sind ein paar Anlaufstellen:
http://www.beratung4kids.de/http://www.frnd.de/https://www.gme-ev.de/gegenkummer/startseite.html

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