Sven Lehmann im Gespräch - Rassismus in unserer Gesellschaft, Friedensperspektive und die Entwicklung der Grünen

Erstellt am 23. Oktober 2010 von Freiheitsliebe
Die Freiheitsliebe hat ein Interview mit Sven Lehmann, dem Landesvorsitzenden der Grünen, geführt.Wir sprachen mit ihm über die Perspektiven der Grünen als Friedenspartei, Rassismus in unserer Gesellschaft, die Debatte um Thilo Sarrazin, die Teilhabe von Ausländern an der Gesellschaft, die Entwicklung der Grünen und Bildung in unserer Zeit.
Freiheitsliebe: Wir begrüßen dich im Café Alte Feuerwache und bedanken uns erstmal dafür, dass du dir für uns Zeit genommen hast! In den letzten Tagen haben wir uns natürlich darüber informiert, was du in der Vergangenheit gemacht
hast und auch was du vorhast. In deiner Bewerbung* benutzt du die drei Wörter zur Beschreibung der Grünen: „emanzipatorische linke Mitte“: Was verstehst du darunter und was nicht?
Sven: Erstmal verstehe ich unter „emanzipatorisch“, dass jeder Mensch gleichberechtigt und selbstbestimmt leben kann: Gleichberechtigt insofern, dass jeder Mensch die gleichen Rechte hat und selbstbestimmt, dass er auch frei ist, seinen Lebensentwurf frei zu wählen. Die Verbindung zu „linke“ soll den Bezug zu den anderen linken Parteien in Deutschland darstellen, die aber sehr staatsorientiert sind, zum Beispiel die Partei „Die Linke“ und auch die SPD haben eigentlich einen Politikansatz, der sehr den Staat als Ordner ansieht. Die Grünen sind auch eine linke Partei, die eben auch in der staatlichen Gemeinschaft einen wichtigen Garanten zur Gleichberechtigung sehen, die aber auch emanzipatorisch sind. Wir trauen dem einzelnen Menschen auch etwas zu, sehen auch soziale Sicherheit und Teilhabe nicht nur als Aufgabe des Staates, sondern auch in jedem einzelnen.
Für uns heißt „emanzipatorisch“, dass wir nicht die Erfüllung für alles im Staat sehen, sondern auch im einzelnen Menschen.
Freiheitsliebe: Du hattest es gerade kurz angeschnitten: Du sagtest, dass die Grünen eben nicht mit der SPD und der Partei „Die Linke“ auf einer Wellenlinie sind, was das „links sein“ angeht. Könntest du das genauer ausführen? Sieht du die Grünen im „linksliberalen Lager“, oder doch im „linken Lager“?
Sven: Die Grünen sind auf jeden Fall eine linke Partei und zwar „links“ in dem Sinne, dass es den Grünen um gleiche Rechte für Alle und Gleichberechtigung geht. Es geht uns auch um Umverteilung, also die Verteilung von Oben nach Unten und damit eben auch mehr Rechte für mehr Menschen. Das ist sicherlich ein grünes Ziel und damit sind die Grünen auch eine linke Partei. Wir definieren das aber nicht so, dass wir staatliche Bürokratie ausbauen wollen, sondern indem zum Beispiel durch gute Bildung jeder Mensch in die Lage versetzt wird, gleichberechtigt zu leben. Das heißt, dass es wirklich darum geht, dass die Chancen jedes einzelnen Menschen im Mittelpunkt steht und dazu gehört es eben, das ganze nicht nur durch staatliche Umverteilung regeln zu wollen.
Der Mensch steht ganz klar im Mittelpunkt.
Freiheitsliebe: Wenn ich mich an die Aussage „95 % erneuerbare Energien bis 2050“* entsinne, dann frage ich mich, wie man das umsetzen möchte, ohne, dass der Staat eingreift, so wie es eben die Linke machen würde?!
Sven: Der Staat muss sogar eingreifen! Er muss in die Energiepolitik eingreifen und zwar als Steuerer. Er muss massiv in erneuerbare Energien investieren, massiv Handwerk und kleine Unternehmen stärken: Der Staat muss dies fördern, aber er kann auch gleichzeitig die Gesetzgebung so gestalten, das fossile Energieträger an Bedeutung verlieren. Wir, in NRW, bereiten gerade ein Klimaschutzgesetz vor, mit dem in den nächsten 10 Jahren 25% der CO2-Emissionen eingespart werden sollen. Dadurch wird Fossil-Energie unattraktiv und erneuerbare Energie, Energieeinsparungen, Energieeffizienz wird attraktiv gemacht. Der Staat hat hierbei eine wichtige Funktion: Er kann erneuerbare Energie subventionieren und Energie durch Fossile Träger und Atomkraft stark zurückschrauben und unattraktiv machen.
Freiheitsliebe: Ein weiterer Punkt, den wir mit der Energiepolitik verbinden ist deine Aussage in deiner Bewerbung, dass Du in den „Grünen nicht nur parlamentarische Partei, sondern auch eine gesellschaftliche aktive Kraft“ siehst. Wir würden nun die Frage stellen, ob du eine neue Anti-Atombewegung kommen siehst, wobei sich das aufgrund der aktuellen Demonstrationen erübrigen würde….
Sven: Die neue Qualität an dieser neuen Bewegung ist, dass das eben nicht nur eine Anti-AKW und eine Umweltbewegung ist, sondern auch eine Mittelstandsbewegung, also ganz viele kleine und mittlere Unternehmen und vor allem die Stadtwerke mitmachen, denn diese werden große Verluste haben, da sie 800 Mio Euro in erneuerbare Energien investiert haben.
Diese Stadtwerke haben damit kalkuliert, dass 2021 die Laufwerke abgeschaltet werden und wollten daher Gewinne aus erneuerbaren Energien schöpfen. Genau aus diesen Gründen ist die neue Anti-AKW-Bewegung nicht mehr das, was sie damals war: Es ist auch eine Bewegung der kommunalen Unternehmen und das ist ein wichtiges Zeichen! Die Grünen sind auch immer schon dafür gewesen, Ökologie und Ökonomie zusammen zu denken.
Freiheitsliebe: Die aktive Kraft bei der Anti-AKW-Bewegung setzt sich aus den verschiedensten sozialen Gruppen, Organisationen und Parteien zusammen. Die Grünen waren in dieser Thematik stets die Vorreiter! In welche beliebige Richtung könnten sich die Grünen deiner Meinung nach öffnen?
Sven: Ich glaube, dass die Grünen in der ersten Bundesregierung von 1998 bis 2005 teilweise den Kontakt zu den Bewegungen und Organisationen verloren haben:
Sie haben sich sehr stark auf das Regieren konzentriert und haben sozusagen gedacht, dass das was die tun, schon im Sinne der Bewegung, bzw. Verbände sein würde.
Das war zwar auch so, aber eben nicht immer. Das wichtigste ist, dass man immer den Kontakt hält, unabhängig davon, ob man regiert, oder nicht! Den Kontakt zu Umwelt- und Anti-Rassismus-Verbänden gibt es, es ist aber auch wichtig, den Kontakt zur Friedensbewegung wieder aufzubauen! Da ist durch die Einsätze im Kosovo und in Afghanistan viel Porzellan zerschlagen worden. Die Präsenz bei den Ostermärschen hat mit der Zeit abgenommen und ich sehe es als eine große Herausforderung an, dort den Schulterschluss wieder zu suchen. Die Grünen kommen nun mal auch aus der „Eine Welt-Bewegung“ und der Friedensbewegung.
Freiheitsliebe: Siehst du denn eine Chance, dass die Grünen wieder zu ihren Wurzeln zurückkehren können? Kann so was wie der Afghanistan-Einsatz erneut zustande kommen?
Sven: Ich persönlich war gegen den Afghanistan-Einsatz im Jahr 2001 und habe auch dagegen gestimmt auf dem Parteitag. Mittlerweile hat sich die Grüne Außenpolitik so entwickelt, dass wir nicht wieder eine radikal-pazifistische Partei sein werden.
Die Zeiten, wo die Grünen radikal-pazifistisch waren, sind vorbei, aber was die Grünen machen können ist eine präventive Friedenspolitik.
Es sollte uns darum gehen, ein ganz starkes Bein in der Entwicklungspolitik zu haben und auch ganz stark in der globalisierungskritischen Bewegung aktiv zu sein. Wenn wir diese Ziele erreichen, dann sind wir auch schon eine Friedenspartei. „Weg vom Öl“ zum Beispiel ist eine zentrale Aussage von uns und diese Aussage kann man klar mit einer friedenspolitischen Botschaft verbinden, nämlich damit, dass es keine Ressourcen-Kriege mehr geben darf.

Schließlich ging es bei den Kriegen im Mittleren Osten um Öl und das müssen wir beenden.
Freiheitsliebe: Du hast gerade die „heutigen“ Grünen mit den „damaligen“ Grünen, bzw. die Grünen vor der Regierungsbeteiligung auf Bundesebene und danach verglichen. Die Grünen haben die Hartz-Gesetze mitgetragen und deine Kritik daran kennen wir. Ist es eine Kritik an Hartz IV selbst, oder am ganzen System?
Sven: Den Ansatz bei den Hartz-Gesetzen fand ich richtig, denn damals gab es einmal die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe und die Menschen wurden zwischen beiden Systemen hin und her gezogen, wodurch sie nicht richtig gefördert werden konnten. Diese beiden Systeme zu einer Grundversicherung zu verbinden, war ein richtiger und wichtiger Ansatz. Das Problem war einfach nur, dass man damals gedacht hat, dass man jeden Menschen in Arbeit bringen kann, aber man hätte wissen müssen, dass es nicht genügend Erwerbsarbeit für jeden gibt. Man geht weiterhin davon aus, dass Vollerwerbstätigkeit möglich ist und dass jeder Mensch eine Lohnarbeit bekommen kann, diese Annahme halte ich grundsätzlich für falsch.
Aus diesen Gründen finde ich auch Hartz IV falsch, denn wir müssen perspektivisch neu denken und darauf aufmerksam machen, dass jeder Mensch ein Recht auf soziale Sicherheit und Teilhabe hat, egal ob er in Erwerbsarbeit ist oder nicht.
Als erste Maßnahme müssen wir natürlich die Regelsätze erhöhen, aber wir brauchen langfristig ein ganz anderes Sozialsystem.
Die Grünen und das BGE
Freiheitsliebe: Dass Vollerwerbstätigkeit nicht mehr zustande kommen kann, hast du gerade angesprochen. Im Weiteren sagtest du, dass ein Mensch auch ohne Erwerbstätigkeit an der Gesellschaft teilhaben sollte, zum Beispiel durch kulturelle Aktivitätenoder soziales Engagement. Worin siehst du denn eine Lösung des Problems? Im Bedingungslosen Grundeinankommen?
Sven: Ja, denn ich sehe jeden Mensch als arbeitenden Mensch innerhalb einer Gesellschaft.
Der Mensch arbeitet, indem er Kinder erzieht, ältere Menschen pflegt, sich in Sportvereinen engagiert, indem er sich künstlerisch betätigt, Jugendliche betreut und und und. Es wird sehr viel Arbeit innerhalb einer Gesellschaft geleistet, aber diese Menschen bekommen dafür kein Geld. Sie bekommen nur Geld, wenn sie Lohnarbeit nachgehen. < Wenn jeder Mensch eine „Existenzsicherung“, oder ein „Bedingungsloses Einkommen“ hätte, wäre er frei sich zu entscheiden, welcher Arbeit er nachgehen möchte. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass Menschen arbeiten möchten und ich gehöre nicht zu denen, die denken, dass die Menschen nur auf der faulen Haut liegen würden. Sie wollen entweder Arbeit nachgehen, um mehr Geld zu haben und sich so auch mehr leisten zu können, oder sie wollen sich mehr engagieren, um ihren Kindern etwas Gutes zu tun, sich im Sportverein zu engagieren, etc.
Wenn der Mensch freier ist in seinen Entscheidungen, dann wird sich auch unsere Gesellschaft positiv verändern. Zum Beispiel würden Menschen nicht mehr genötigt, bloß wegen des Geldes Jobs zu Dumpinglöhnen anzunehmen oder sittenwidrige Arbeitsbedingungen zu schlucken.
Freiheitsliebe: Unter den Grünen ist das BGE umstritten und die Vorstellung eines BGE hat sich bei den Grünen noch nicht durchgesetzt. Bist du optimistisch was die Aufnahme des BGE in das Grundsatzprogramm angeht?
Sven: Die Idee des Grundeinkommenswird in allen Parteien diskutiert, das sollte man vorweg sagen. Es gibt Arbeitsgemeinschaften und bedeutende Vertreter dieser Idee. Es gibt aber keine Partei, die diese Idee auf Bundesebene durchgesetzt hat. 2007 gab es diese Diskussion auf dem Bundesparteitag der Grünen zum Thema Sozialpolitik: Mit 42% scheiterte der Antrag zum BGE.
Das heißt, dass es fast schon gelungen wäre, das BGE als Forderung innerhalb der Grünen zu etablieren. Ich glaube aber auch, dass danach höchstens eine Pause bei diesem Thema eingelegt wurde. Die Grünen diskutieren schließlich weiterhin über das BGE.
Wir sollten uns in Zukunft damit auseinandersetzen, wie wir solch ein Modell finanzieren und umsetzen würden.
Mit dieser Vorgehensweise könnten wir in den nächsten Jahren als erste deutsche Partei das BGE beschließen.
Schwarz-Grün ist undenkbar
Freiheitsliebe: Solche Projekte scheitern ja auch an einer fehlenden Zusammenarbeit zwischen den linken Parteien in Deutschland. In NRW scheiterte Rot-Grün-Rot, müssen wir uns in Zukunft darauf einstellen, dass aufgrund der Medien keine Rot-Grün-Rote Koalition zustande kommen kann?
Sven: Wir brauchen keine Rot-Grün-Rote Koalition im Jahr 2013 ausschließen, wenn die Inhalte stimmen. Es bewegt sich ja einiges im Parteiensystem. Die Zeit der „Volksparteien“ und der „kleinen Parteien“ ist meiner Einschätzung nach vorbei: Wir werden in Zukunft „etwas größere“ und „etwas kleinere“ Parteien haben, was eben dazu führen wird, dass wir nicht mehr der geborene Juniorpartner der SPD sind..
Schwarz-Grün ist derzeit auch aufgrund der aktuellen Atom-Politik der CDU undenkbar.
Freiheitsliebe: In NRW sind die Grünen zu einer „sehr demokratische Lösung“ gelangt: Eine Rot-Grüne Minderheitsregierung. Eines der wichtigsten Themen für die nächste Legislaturperiode wird die Bildungspolitik sein. Darauf würden wir gerne als nächstes eingehen: Schülerinnen und Schüler haben weiterhin ihre Bedenken, was die anstehenden Reformen der Rot-Grünen Koalition angeht. Vor den Wahlen sprachen wir von dem Konzept „Eine Schule für Alle“ und dies wird nach den Wahlen den Kommunen und Eltern überlassen, ob sie solch eine Schulform annehmen möchten. Abitur in 8 und 9 Jahren wird auch den Schulen frei zur Auswahl gestellt. Auf Grundlage dieser Reformen, frage ich mich, wann wir in Köln mit „einer Schule für Alle“ rechnen können, die zugleich sich auch nicht von der Wirtschaft beeinflussen lässt und das Turbo-Abitur in 8 Jahren den Schülerinnen und Schülern aufzwingt?
Sven:
Erstens: Die Grünen wollen unbedingt eine Gemeinschaftsschule und das längerr gemeinsame Lernen fördern. Was nur dabei wichtig ist, ist der Weg. Wie kommen wir dahin?
Wir haben aus dem Volksentscheid in Hamburg gelernt, dass bereits minimale Veränderungen im Schulsystem, die von Oben verordnet werden, auf großen Widerstand stoßen. Das heißt, dass das Land anders vorgehen muss: Ein klares Ziel definieren und dafür werben, dass durch Schüler- und Elternwillen das längere gemeinsame Lernen sich durchsetzen wird.
Wir haben jetzt schon die ersten Anträge von Gemeinden in NRW, die die Schulformen zusammenlegen möchten.
Zu der Frage wie es in großen Städten sein wird, möchte ich darauf hinweisen, dass wir viele Initiativen haben, die längeres gemeinsames Lernen auch in ihrer Stadt haben möchten. Zum Beispiel haben wir Anträge aus Köln-Nippes und Bonn, die eine weitere Gesamtschule wollen.
Schulchaos?
Freiheitsliebe: Wie wertest du denn die These, dass es zu einem Schulchaos kommen wird? In Köln werden doch sicherlich nicht so leicht Gymnasien schließen!
Sven: Wir versprechen uns sukzessive Änderungen, die im Zuge der Schulreformen in gang kommen wird. Wir wissen zum Beispiel, dass wir miserable Anmeldezahlen für die Hauptschulen haben: Das Modell der Hauptschule wird sich mittelfristig erledigen, da die Eltern ihre Kinder nicht mehr dort anmelden. Wenn aber die Eltern die Möglichkeit haben, ihre Kinder an einer Schule anzumelden, wo es einen Hauptschul-, Realschul- und Gymnasialzweig gibt, werden die Eltern davon überzeugt sein, dass die Kinder voneinander lernen können und dass die Zukunft eines Kindes nicht im Alter von 9 Jahren entschieden werden kann.
Freiheitsliebe: Kurze und stachelige Frage: Schulchaos durch G8 und G9?
Sven: Die letzte Landesregierung hat einen völlig falschen Weg beschritten, indem sie in der Sekundarstufe I ein Jahr gestrichen haben und nicht wie wir es mal überlegt hatten, in der Oberstufe ein Jahr zu kürzen. Mit der Streichung in der Sekundarstufe I hat man die Schüler der Gymnasien noch mehr unter Druck gesetzt, gleichzeitig die Durchlässigkeit zwischen Gymnasien, Gesamtschulen, Realschulen und Hauptschulen quasi unmöglich gemacht. Das Problem ist nur, dass sich die Gymnasien sich jetzt auf G8 eingestellt haben:
Lehrpläne wurden verändert, man hat neue Schulbücher entwickelt, usw. Würden wir das Rad jetzt pauschal wieder zurückdrehen, müsste man mit erneuten Kosten und Verwirrungen rechnen.
Wir wollen den Schulen die Entscheidung lassen, ob sie diesen Weg gehen möchten oder ob sie zu G9 zurück möchten..
Rassistische Politik
Freiheitsliebe: Wir sehen in unserer Demokratie klare Defizite: EinwanderInnen, die eine andere Bildungspolitik möchten, dürfen aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht wählen.
Wir kennen viele Jugendliche, die sich mit der deutschen Politik auseinandersetzen, jedoch aus der Demokratie ausgeschlossen werden! Ist das eigentlich akzeptabel?
Sven:
Das ist ein Skandal! Für jeden Menschen, egal welcher Herkunft, gilt, dass er Entscheidungen mittreffen dürfen muss, die ihn betreffen!
Bei jeder Volksentscheidung, bei jedem Bürgerbegehren, bei jedem Bürgerentscheid, die alle Menschen betreffen, sollten auch alle mitentscheiden dürfen. Punkt! Eine ganz einfache Grundregel. Dafür werden wir als Grüne auch weiterhin uns einsetzen und daran arbeiten.
Freiheitsliebe: Das demokratische Miteinander fehlt in gewissen Maßen auch an Schulen: Wir sehen ein Problem darin, wie die heutige Jugend miteinander umgeht! Rassistische und homophobe Aussagen sind längst im Alltagswortschatz verankert. Gibt es von der jetzigen Bildungsministerin klare Vorstellungen, um dieses Problem zu bekämpfen?
Sven: Zunächst möchte ich auf die Shell-Studie hinweisen: Beim ersten Lesen sieht man, dass die Jugend optimistischer in die Zukunft blickt, als vor vier Jahren. Jedoch die Zahl der Jugendlichen, die pessimistisch in die Zukunft blicken, ist auch angestiegen. Das ist erstmal ein alarmierendes Signal.
Was ich auch gelesen habe, dass fünfzehn Prozent aller befragten Jugendlichen nicht möchten, dass in ihrer Nachbarschaft entweder ein Jude, ein homosexuelles Paar, oder ein russischer Einwanderer wohnt. Schlimm!
Wir müssen in der Tat an Schulen ansetzen mit Projekten wie „Schlau NRW“ (Schwul-Lesbische Aufklärung NRW).
Diese Aufklärungsarbeit, wurde von der Schwarz-Gelben Regierung vernachlässigt, bzw. platt gemacht. Dieses Projekt wird jetzt wieder gestärkt und wir möchten auch diese Problematik stärker angehen, indem wir es flächendeckend an möglichst allen Schulen umsetzen.
Freiheitsliebe: Das Thema „Rassismus“ hat in den letzten Wochen dank Herrn Sarrazin die Medien beherrscht. Die Thesen von Sarrazin haben sehr viele Menschen in Deutschland beschäftigt, wozu ich auch noch hinzufügen kann, dass sein Buch ausverkauft ist. Bist du der Meinung, dass wir mehr gegen Islamophobie machen können, wenn wir es z.B. mit der Arbeit gegen Antisemitismus vergleichen?
Sven:
Zuerst möchte ich etwas betonen: Thilo Sarrazin ist ein Rassist!

Seine Thesen zur Abstammungslehre erinnern sehr stark an die Nationalsozialistische Zeit in Deutschland. Mich stört der Hype, der um Sarrazin gemacht wird. Würde er die eigentlichen Probleme der Integrationspolitik ansprechen, dann könnte man das diskutieren, aber alle stürzen sich auf seine Person und seine kruden Thesen. Mein Vorwurf lautet, dass er gezielt über ethnische Abstammung und über Fremdsein spricht, aber nicht über soziale Probleme.
Faktisch sind die Probleme, die wir in Deutschland haben, soziale Probleme und keine ethnischen Probleme: Wir wissen zum Beispiel, dass Menschen mit Migrationshintergrund nicht die gleichen Chancen im Bildungssystem haben, wie es Deutschstämmige haben. Das sind Probleme, über die er diskutieren könnte und jeder hätte direkt gesagt, dass das stimmt. Er macht es aber nicht!
Das zweite ist, dass in unserer Gesellschaft Ängste existieren, denn sonst wären nicht alle auf sein Buch, eingestiegen.
Ängste sollte man aber auch nicht vom Tisch wischen: Wenn jemand Angst hat, dass eine Moschee gebaut wird, ist das nicht unbedingt rechtsradikal oder rassistisch, sondern es ist eine Angst vor etwas Fremdem. Angst ist erstmal nicht strafbar Man muss dann darüber aufklären und Begegnungen ermöglichen, um Ängste abzubauen.
Die Grünen haben eine hohe Glaubwürdigkeit in der Integrationspolitik und wir stehen seit jeher für gleiche Rechte für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Wir Grünen können deswegen auch darüber sprechen, dass es Ängste in der Bevölkerung gibt. Wir können auch darüber diskutieren, dass in einigen muslimischen Familien keine gleichen Rechte unter Frauen und Männern gelten – übrigens genauso wie in einigen christlichen Familien. Darüber muss man sprechen, auch mit Migrantenverbänden.
Wir organisieren bei uns im Landesverband gerade ein Forum für Integration, damit wir über solche Probleme diskutieren können. Es wird nicht nur um Chancengleichheit gehen oder um die Einbürgerung des Islam, sondern auch um die Herausforderungen, die die islamischen Verbände haben.
Freiheitsliebe: Werden solche Vorurteile nicht auch durch die Medien aufgeheizt? Kriminalität unter Ausländern wird häufiger in den Medien debattiert, dabei hat doch diese Kriminalität nichts mit der Herkunft zu tun…Kriminalität hat keine Nation!
Sven: Das stimmt absolut! Ich finde es auch nicht akzeptabel, dass bei Steckbriefen der Polizei in der Beschreibung steht „türkisch aussehender Täter“, oder „ein arabisch aussehender Täter wird gesucht“.
Wir wissen doch, dass Kriminaldelikte, die mit Geld zu tun haben, auch immer mit der sozialen Herkunft zu tun haben. Bei Deutschen gibt es diese Probleme genauso wie bei Migranten.
Freiheitsliebe: Endspurt! Während des Interviews sind mir noch stachelige Fragen eingefallen. Wir machen jetzt die professionellen Talk-Shows nach und bitten dich auf unsere letzen Fragen kurz zu antworten.
Sven: Gerne! Ich habe mich schon immer gefragt, wie sich die jeweilige Person fühlt, wenn er bei Frank Plasberg sitzt…
Freiheitsliebe: Der erste Satz lautet: Die Grünen sind….
Sven: ….die einzige Partei, die Hoffnung für die Zukunft bieten kann!
Freiheitsliebe: Die Integration der MigrantInnen heißt/ist…
Sven: …eine wichtige Aufgabe aller Parteien und ist in unser aller gesellschaftlichem Interesse!
Freiheitsliebe: Neo-liberal sein heißt….
Sven: …. nur seine eigenen Interessen zu verfolgen!
Freiheitsliebe: Jamaika in NRW ist….
Sven: …. undenkbar!
Freiheitsliebe: KölnerIn sein heißt…
Sven: …. in der schönsten Stadt Europas zu leben!
Freiheitsliebe: Wir bedanken uns bei dir, für das sehr interessante Interview und die aufschlussreichen Antworten! Wir wünschen dir weiterhin viel Erfolg als Vorsitzender der Grünen NRW!
Sven: Ich fand es sehr spannend und bedanke mich auch bei euch!
Liebe Leserinnen und Leser, ein riesen Dank gilt Sven Lehmann, der sich trotz der aufregenden politischen Tage für uns Zeit genommen hat!
Die Autoren der Freiheitsliebe möchten auch in Zukunft Interviews mit Politikerinnen und Politikern führen! Wir freuen uns auf eure Vorschläge...
-Die Freiheitsliebe-