Im Buddhismus gibt es zwei Arten von Lehren: Lehren, die auf die Ursache gründen, eben jene des Sutrayana oder die dialektische Annäherung und Lehren, die auf das Resultat gründen, eben jene des Vajrayana. Die auf Ursachen gründenden Lehren des Sutrayana führen zur Erleuchtung, nachdem man drei unermessliche Zeitalter lang hindurch die Ansammlungen kultiviert hat und die Unreinheiten und Verschleierungen bereinigt hat. Es geschieht nur nach dieser langen Zeit, dass man Erleuchtung erlangt, die auf den Ursachen gründet. Andererseits gründet das Vajrayana auf dem Ergebnis und als solches führt es in diesem gegenwärtigen Leben und in diesem Körper zur Erleuchtung. Durch das Vajrayana erreichen wir relativ rasch den Zustand des Buddha Vajradhara und aus diesem Grund wird gesagt, dass das Vajrayana höher und tiefer als das Sutrayana ist.
Wenn man sagt, dass der tiefgründige Pfad des Vajrayana dem Sutrayana überlegen ist, dann ist das keine Legende oder irgendeine Geschichte, sondern dafür gibt es eine rationale Basis. Sowohl Sutrayana als auch Vajrayana haben denselben Zweck, nämlich zur vollständigen und vollkommenen Erleuchtung zu führen. Allerdings geschieht dies im Sutrayana nur nach einer sehr langen Zeitspanne. Warum dauert dies so lange? Weil es da etwas gibt, das im Sutrayana nicht verstanden wird, wohl aber im Vajrayana. Im Sutrayana ist man damit beschäftigt, die Ursachen für die Erleuchtung anzusammeln, wohingegen man im Vajrayana auf das Ergebnis (das eben die Erleuchtung ist) meditiert. Es ist diese Annäherung des Vajrayana und seine große Vielfalt an Meditationstechniken, die es vom Sutrayana unterscheiden. Ferner verlangen die Techniken des Vajrayana keine großen Entbehrungen, wohingegen im Sutrayana die Idee besteht, dass man große Härten ertragen muss, um auf dem Pfad zur Erleuchtung voranzukommen. Und schließlich wird gesagt, dass das Vajrayana für auf jene abgestimmt ist, die mit einer hohen oder buchstäblich scharfen Ebene an Fähigkeit geschmückt sind.
Um es einfach zu machen, die Ziele von Sutrayana und Vajrayana sind dieselben. Beide streben dasselbe Ergebnis an. Die Idee des Sutrayana ist, wenn man Reis haben will, dann muss man ein Reiskorn in die Hand nehmen und dann muss man es in den Boden pflanzen und dann bewässern, Licht dazu usw. Man muss sich darum kümmern und die entsprechenden Umstände bereitstellen. Wenn man das macht, dann wird es wachsen und an gewissen Punkt wird man dann Reis haben. Man kann also Reis bekommen, indem man sich auf die Ursache oder den Samen ausrichtet. Aber das Ergebnis orientierte Fahrzeug des Vajrayana betrachtet das nicht auf diese Weise. Das Vajrayana sagt, wenn man den Samen in der Hand hält, dann ist das im wesentlichen dasselbe, als ob man die Frucht hat. Da gibt es keinen wesentlichen Unterschied. Wenn man den Samen in der Hand hat, dann hat man das Wesen der Frucht. Daher ist es nicht notwendig, den Samen einzupflanzen und zu kultivieren.
Erleuchtung ist nicht etwas, das man durch Bemühen erzeugen kann. Gemäß dem Vajrayana ist es einfach eine Sache vom Erkennen des Samens in der Hand. Der Unterschied zwischen Buddhas und unerleuchteten Wesen ist, dass Buddhas sich immerzu selbst erkennen und daher sind sie seit anfangloser Zeit erleuchtet. Für Buddhas besteht keine Täuschung. Obwohl wir als fühlende Wesen getäuscht sind, so ist unsere Essenz dennoch genau dieselbe wie die Essenz der Buddhas. Buddhaschaft wird nicht durch etwas außerhalb von uns erzeugt. Sie muss erkannt werden und diese Erkenntnis muss zu einer stabilen Gewohnheit werden. Weil wir schon Buddhas sind, müssen wir nicht erst Buddhas werden, darum ist die Sicht des Vajrayana tiefgründiger als die Sichtweise des Sutrayana.
Dies ist ein Auszug aus Belehrungen zu den grundlegenden Übungen des Khandro Thugthig – der Herzessenz der Dakinis – gegeben von Lama Tharchin Rinpoche. Die gesamten Belehrungen sind bei Jnanasukha erhältlich.