Susan – Kapitel 3

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Kapitel 3

Charlyn im Kinderwagen vor sich herschiebend, lief Susan an diesem Samstag Morgen durch die Stadt. Die Sonne schien ihr ins Gesicht und sie genoß diese freie Stunde, allein mit sich und ihren Gedanken. Fast fluchtartig hatte sie die Wohnung, nach einem heftigen Streit mit Andrew, verlassen. Es waren Kleinigkeiten, die sie beide immer öfter dazu brachten, sich erst Tage lang anzuschweigen, nur, um dann in einem heftigen Streit auseinander zu gehen. Warum schafften sie es nicht, wie so viele andere, voller Liebe zusammen zu sein und die Probleme gemeinsam zu lösen, die auf sie einstürmten?

Meist ging es darum, dass Susan erwartete, dass Andrew mehr Zeit mit ihr und der Kleinen verbrachte. Einfach mal alles stehen und liegen ließ und einen Nachmittag auf dem Spielplatz verbrachte. Viele Sorgen brachte er von Arbeit mit, die er jedoch nie mit ihr teilte. Oft saß er stundenlang an seinem Schreibtisch und grübelte, wollte allein sein. Doch: sie waren eine Familie und er musste erkennen, dass sie ihn brauchten und er sie. Wie so oft fragte Susan sich, ob da noch Liebe war zwischen ihnen, ob sie je existiert hatte. 

Als sie Andrew kennen lernte, waren sie beide noch jung und Susans Herz war gerade am heilen nach ihrer ersten großen – unglücklichen – Liebe. Andrew warb um sie: mit einer einzelnen Rose erschien er zu ihrem ersten Treffen. Schüchtern und zurückhaltend. Ihr verletztes Herz öffnete sich nur zu bereitwillig diesen strahlenden Augen, den zärtlichen Berührungen, dem ersten zarten Kuss.

Doch, wurde sie nicht damals schon von ihm getäuscht? Erfuhr sie doch Jahre später: die Idee mit der Rose entsprang nicht seinem Herzen, sondern dem Mund seiner Mutter?! 

Schnell und ohne dass es ihr bewusst wurde zog er in ihre Wohnung ein. Zu jedem Wochenende, dass er mit ihr erlebte, ließ er einige seiner Sachen zurück. Immer wieder fand sie etwas von ihm, das einen Platz finden musste. Lange hatte sie allein gelebt und es war ungewohnt: der Männergeruch, der Rasierer im Bad, den halben Kleiderschrank teilen zu müssen.

Susan genoß diese Zeit. Hatte das Gefühl, geliebt und gebraucht zu werden. Doch, brauchte er nicht nur ihre Wohnung, um aus dem Elternhaus endlich ausziehen zu können? War es wirklich Liebe, die ihn zu ihr trieb? Gesagt hatte er es nie. Sie schloß es aus seinen Bemerkungen, aus seinen leuchtenden Augen, wenn sie miteinander schliefen. Sie konnten leidenschaftliche Nächte zusammen verbringen und Susan fühlte sich geborgen, wie nie zuvor. Sah alles durch eine rosa Brille, schob negative, zweifelnde Gedanken einfach Beiseite, sicher der falsche Weg. 

Auf den Straßen waren Paare zu sehen, die küssend und lachend unterwegs waren: zum einkaufen, einfach nur zum glücklichen Spazieren gehen. Wann waren sie das Letzte Mal als Familie unterwegs? Viel zu oft war Charlyn nur mit ihrer Mama auf dem Spielplatz: genoß das wundervolle Sommerwetter am liebsten auf der Schaukel, oder auf der großen Rutsche – für die sie noch viel zu klein war und weshalb Susan immer weit hinauf klettern mußte, die Höhenangst tief in ihrem Innern verborgen. Oft fanden sich Mütter zusammen, die gemeinsam mit den Kindern spielten, rutschten und lachten. Selten war auch ein einsamer Papa mit seinem Nachwuchs anwesend. Wie auch heute. Vorsichtig beobachtete Susan, wie der ihr unbekannte Mann mit seinem Sohn umging. Der Kleine war ungefähr in Charlyns Alter und ein echter Wildfang. Nicht lange und die beiden Kinder saßen gemeinsam im Sandkasten umgeben von tausenden Schippchen und Förmchen, vertieft in ein Spiel, das den Großen unerklärt blieb. Zuerst still saßen die Erwachsenen nebeneinander auf einer Bank und beobachteten ihre Sprößlinge. “Ich hätte gern einen Sohn gehabt.” Erschreckt über ihren laut ausgesprochenen Wunsch schaute Susan den Mann neben sich an. Lächeln beugte er sich zu ihr und meinte: “Wir können ja mal tauschen. So groß ist der Unterschied sicher noch nicht!” Nun erschien auch auf Susans Gesicht ein Lächeln. “Stimmt. Außerdem würde der Kleine in dem Kleidchen sehr eigenartig aussehen.” 

Eine Hand streckte sich ihr entgegen. Sie ergriff sie nach einem kurzen Zögern und ihr Blick wanderte den Arm empor, auf dem sich leise dunkle Haare im Wind bewegten. Sein farbenfrohes Shirt wurde gespannt von einer breiten Brust an dessen Rand ebenfalls feine Haare zu erspähen waren. Ihre Augen begannen zu glänzen, als sie die seinen trafen. Tief eingebettet in ein Gesicht, daß ihr wie gemalt vor kam. Dunkel und geheimnisvoll. Beinahe verlor sie sich in diesem Blick, der genau die Sehnsucht widerspiegelte, die sie seit geraumer Zeit in sich verspürte. Gewaltsam riß sie sich los und nahm ihre Hand aus der seinen. Ein leichtes Bedauern machte sich in ihr breit, als sie seine Nähe, seine Wärme plötzlich nicht mehr spürte. 

Was tat sie hier? Alles war wie immer: sie war mit Charlyn auf dem Spielplatz und unterhielt sich angeregt mit einem netten Papa. Gar nichts war los. Sie versuchte ihr aufgebrachtes Inneres zu beruhigen, die Tatsache zu verdrängen, daß sich eine wild gewordene Gruppe Schmetterlinge in ihrem Bauch Platz zu schaffen schien. Die Gänsehaut auf ihrer Haut schob sie dem leichten Windhauch zu, der über den Spielplatz wehte. 

Da saßen sie, nebeneinander auf dieser Bank. Ein Mann und eine Frau, die sich zuvor nie begegnet waren. Und doch verspürten beide, daß sie etwas zueinander zog, sie sich kaum zurückhalten konnten, den anderen nicht einfach in die Arme zu schließen und die angewachsene Lust und Sehnsucht in einem einzigen langen Kuss zu erklären.

Susan hielt die Beine geschlossen und hatte ihre Hände rechts und links ihrer Knie auf der Bank platziert. Angeregt unterhielten sie sich über die unterschiedlichsten Dinge, ab und an war ein Lachen zu hören und Blicke, in denen Blitze zu sehen waren wurden getauscht.

Bis Susan plötzlich bemerkte, wie sich eine Hand leicht auf ihre legte. Zuerst verwirrt wollte sie ihre Hand zurückziehen, doch sein Griff wurde fester und es erschien ihr unmöglich, sich jemals wieder zu bewegen. Vorsichtig hob sie ihren Kopf um ihm in die Augen zu schauen. Augen, die so dunkel waren, daß man die Tiefe darin nur erahnen konnte. 

Diese wundervollen Augen, die ihr nun immer näher kamen, langsam, versprechend, fragend und fordernd. Jedes Denken war ausgeschaltet und sie spürte nur noch diesen Ruf in sich: “Ja, bitte, küss mich.” Ihr Körper begann zu reagieren, zu wünschen, zu flehen. Leicht beugte sie sich ihm entgegen. Als sich ihre Augen wie von selbst schlossen spürte sie die Weichheit seiner Lippen auf ihrem Mund, lehnte sich weiter nach vorn um ihm entgegen zu kommen, zu zeigen, wie sehr sie ihn wollte. 

Vorsichtig hob sie ihre Hand und begann an seinem Arm empor zu streicheln, seinen Oberkörper zu erkunden. Ihre Lippen öffneten sich leicht und ihre Zungen begannen, einen wundervollen zarten Tanz zu vollführen, spielend, genießend. Seine freie Hand fand den Weg zu ihrem Hals, wo sie zärtlich jede Stelle berührte, bis Susan leicht zusammenzuckte, ihre Augen öffnete, die Lippen von seinen nahm etwas zurückrutschte und ihn mit großen, fragenden Augen ansah. 

Leise strichen seine Finger über ihr Gesicht. In seine Augen war ein trauriger Blick getreten und die Worte, die seine Lippen verließen, verletzten ihn genau wie sie: “Du hast recht. Wir sollten das nicht tun!” 

Nur unter Anstrengung setzten sie sich zurück und wandten ihre Blicke wieder den beiden Kindern zu ihren Füßen zu. Doch ihre Hände fanden sich auf der Bank, hielten sich fest, umklammerten sich fast. Susan konnte spüren, daß Worte überflüssig waren: es würde nie wieder geschehen. Zu viel hatten beide zu verlieren. 


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