Super 8

Jahrzehntelang lagen sie in einer Schuhkiste, irgendwo und unbeachtet, diese Super 8 Filmrollen, jeweils drei Minuten kurz und dieses ohne Ton.
Ja, so filmte man Ende der 70er, Anfang der 80er des letzten Jahrhunderts.
Irgendwann wurden sie auf VHS, letztes Jahr auf DVD kopiert. Das Notebook wird für geballte drei Stunden zur Zeitmaschine. Vierzig Jahre zurück gereist zur Kindheit, zur Familie und zum eigenen Ich, als das Leben noch unendlich und die Zukunft verheißungsvoll war.
Pilot will ich werden oder Elektriker und heiraten werde ich eine attraktive und intelligente Frau. Sonntags backt sie mir Rhabarber Kuchen.
Die beste Freundin von allen ist neugierig auf meine auf Zelluloid gebannte Vergangenheit, möchte mehr erfahren über mich und diesen fremden Kontinent welcher Europa heißt, dessen Bewohner mit Messer und Gabel essen, wo alle schrecklich reich und übermäßig glücklich sind.
Und so liegen wir nebeneinander, die Aircon kühlt die 30 Grad, und wir reisen auf 12 Zoll durch meine Vergangenheit und schauen meiner Familie zu, wie sie im September durch herbstliche Landschaft wandelt.
Jung sieht er aus, der Großvater, der lächelt und an einer Zigarette zieht und man erkennt ihn durch und durch und es zieht sich in einem zusammen, man hat ihn geliebt.
Dann kommt man selbst ins Bild, ein kleiner, scheu wirkender Zweitklässler, die dunkelblonden Haare streng zum Seitenscheitel gekämmt.
"Is that really you?", fragt Binh und wird ganz aufgeregt.
"I think so", antworte ich, denn ich erkenne mich nicht und fühle nichts. Bin mir mit den Jahren wohl fremd geworden und so starre ich auf die Vergangenheit und versuche Zugang zu diesem zerbrechlich wirkenden Kind zu finden, das ich sein soll.
Momentaufnahmen der Kindheit ziehen komprimiert vorbei. Das Haus wird gebaut, die Mutter bügelt im Garten, sie ist jung und schön. Hundewelpen, Reiterhof und Arosa im Schnee.
Und endlich dann, passiert es doch, das mit dem Wiedererkennen.
Der Stiefvater hat mich mitgenommen, nach Westafrika. Viel zu jung, kaum Zwölf war ich, in dieses Negerdorf geschleppt, unweit von Ouagadougou in Obervolta, welches nun Burkina Faso heisst.
Warme Cola getrunken, umringt von nackten Negerkindern mit Hungerbäuchen, angstvoll im nicht hier-sein-wollen und unsere Blicke, 40 Jahre à part, begegnen und verstehen sich. Einig geworden mit dem vergangenen Ich, welches gezwungen ist hilflos in diese verdammte Kamera zu lächeln.
Durch den Tränenschleier hindurch erkennt man sich, das Leben ist endlich geworden und die Zukunft nicht verheißungsvoll. Die Haare sind weg, der Scheitel auch, nicht Pilot geworden und nicht Elektriker.
Durchs Leben gemogelt, allein, und sonntags, verdammt noch mal, gibt es nicht einmal Rhabarberkuchen.

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