„Sunny side up“ ist (fast) kinderleicht

Es gibt Tage, da streife ich durch Buchhandlungen, zuerst besuche ich meist die Abteilung mit den Kochbüchern, obwohl ich gar nicht koche. Kochbücher werden immer zahlreicher, hübscher und spezieller und ich vermute mal, dass sie auch – ohne je benutzt zu werden - als Angeber-Ausstellungsstücke in ebenso hübschen Küchen dienen. Kochbücher sind beim Smalltalk mittlerweile ähnlich relevant wie Serien-Dropping, in etwa: „Hast du schon die dritte Staffel von „The Affair“ geguckt? Noah fängt echt an durchzudrehen.“ „Nein, die ewige Vögelei ist mir auf den Geist gegangen, echt unglaubwürdig, aber hast du schon das neue Buch von Yotam Ottolenghi geblättert?“

Aber ich schweife ab, Kochen ist ja nicht meine Kernkompetenz. Selbstverständlich studiere ich auch die Klappentexte einiger Bestseller (gibt es eigentlich nur noch Bestseller?). Während einer dieser Streifzüge also, in der Psycho-Ratgeber und Spiri-Ecke, hörte ich eine junge Frau zu einem älteren Mann sagen: guck mal, das soll echt gut sein, das kaufen wir jetzt! Sie reichte ihm den Nr.1-Spiegel-Bestseller „Das Kind in dir muss Heimat finden“ von Stefanie Stahl. Bereits vor wenigen Monaten war mir eben dieser Titel empfohlen worden und ich nahm diese Situation zum Anlass es endlich zu kaufen und auch zu lesen.

Das Kind in dir muss Heimat finden Buchrezension

Und nun möchte ich sagen, ach was, missionierend rufen: Liebe Leute, liebe Freunde, liebe Alle – schaltet eure Serien aus, hört mit dem Streiten, mit dem Befindlichkeits-Gejammer und dem Selbstoptimierungs-Terror, mit Tinder und Tinnef auf und lest, mit wachem Geist, diesen 275-Seiten-Ratgeber! Er ist spannend und gefährlich. Er kann euer Leben verändern.

Zu meiner Person sei verraten, hier schreibt eine 54-Jährige, eine „Austherapierte“, die meterweise spirituelle und psychologische Sachbücher inhaliert, jahrelang beim Therapeuten geweint und eine ansehnliche Reihe von Selbstfindungs-Workshops absolviert hat. War das alles für die Katz? Schwer zu sagen und nun auch nicht mehr zu ändern. Aber wer die Abkürzung nehmen möchte und mutig genug ist für den CrossFit-Kurs namens Selbsterkenntnis, ist mit der Diplom-Psychologin Stefanie Stahl gut beraten.

Ihr psychologisch fundiertes Schema ist für Fachpersonal absolut keine Raketenwissenschaft, aber in der Simplizität ihrer Praxis bei der „Arbeit mit dem inneren Kind“ ist sie kaum zu übertreffen. Sonnenkind, Schattenkind – kinderleicht. Und doch auch eine große Herausforderung, wenn man erfährt, dass die eigene Persönlichkeit (und auch die vom Rest der Menschheit) einzig auf vier psychischen Grundbedürfnissen basiert (die ständig wackeln):

 Autorin Stefanie Wilke

Autorin Stefanie Wilke

I. Das Bedürfnis nach Bindung. II. Das Bedürfnis nach Autonomie und Kontrolle. III. Das Bedürfnis nach Lustbefriedigung bzw. Unlustvermeidung. IV. Das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung bzw. Anerkennung. 
Die Wahrhaftigkeit und gleichzeitige Schlichtheit dieser Kategorisierung hat mich restlos gepackt. Seither mache ich mir ein kleines Spiel daraus, mich selbst zu beobachten, welches der vier Bedürfnisse grad am Drücker ist. Und ob mein Sonnenkind oder mein Schattenkind an meinem Rockzipfel zieht und seine Aufmerksamkeit einfordert, spielen will oder auf den Arm genommen werden möchte.
Mein von Natur aus narzisstisches Ego ist mit der Schlichtheit dieser Kategorisierung selbstverständlich nicht einverstanden, ja restlos empört! Aber trotzdem gehört dieses kostbare Buch in die gymnasiale Oberstufe, an Universitäten, auf die Schreibtische sämtlicher CEOs, Politiker, Mütter und Väter.

Für mich bleibt die Einsicht, dass ich mir meine vergangene, immerhin 5 Jahre andauernde, überwiegend unglückliche Liebesbeziehung hätte sparen können. Denn unsere beiden Schattenkinder haben sich in der Sandkiste bei Nieselregen permanent die Schaufeln auf die Köpfe gehauen. Wenn sich nur die „Richtigen“ treffen, kann so etwas sogar das halbe Leben andauern.

Also, Achtung, der Stahl-Stoff ist auch Sprengstoff, denn vielleicht erkennt der ein oder andere, dass es Zeit ist auf die Sonnenseite zu ziehen. Und dieser „Life-changing“-Umzug ist eventuell mit einer Kündigung und Koffer- und Kistenpacken verbunden. Gut, wenn da ein paar Freunde mithelfen.


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