Sufitum als Brücke zwischen Christen und Muslimen

Sufitum als Brücke zwischen Christen und Muslimen

21.08.2009Kultur Hintergrund erstellt von Dr. Seyed M. Azmayesh

Prophet und Walî(Valî)

Jesus gilt bei den Christen als letzter Prophet, der von Gott auf die Erde gesandt wurde. In den Lehren des Islam gilt Mohammed als ‚das Siegel der Propheten‘.

Sufitum als Brücke zwischen Christen und Muslimen

Die Zeitspanne zwischen Jesus und Mohammed wird ‚Periode der Unterbrechung‘ oder ‚Periode der Fetrat‘ genannt. Im Zeitraum von 500 Jahren treten keine Propheten auf. Und weil Mohammed das ‚Siegel der Propheten‘ ist, gab es nach Mohammed auch keine weiteren Propheten.
Ein Prophet verfügt über besondere geistige Fähigkeiten, die man ‚Welâyat‘ (Velâyat) nennt. Welâyat bezeichnet einen Zustand, den ein sehr fortgeschrittener Geistsucher erreichen kann. Gott hat dem Propheten erlaubt diesen Zustand der Welt zu offenbaren. Darin liegt auch der Unterschied zwischen einem Propheten und einem Walî. Walî bedeutet ‚ Gottesfreund‘ und ‚Heiliger‘. Ein Walî ist ein Lehrer des Geists, der genauso wie ein Prophet die Fähigkeit des Welâyat hat, doch er hat nicht die Erlaubnis diese Fähigkeit zu zeigen. Ein Walî ist ein Lehrer des Geists. Ein Prophet ist immer ein Walî, aber ein Walî ist kein Prophet. Ein Prophet zieht durch die Welt, um die Menschen zu erreichen. Ein Walî wartet in seinem Haus auf seine Schüler, die nach ihm suchen. Nur diesen lässt der Walî die geistige Erziehung angedeihen. Dies ist der wesentliche Unterschied zwischen einem Walî und einem Propheten. In der Periode zwischen Jesus und Mohammed leben keine Propheten, aber es leben Walîs. Sie sorgen dafür, dass das Welâyat an die Nachfolger weitergereicht wird. Dadurch wird das Welâyat von Generation zu Generation weitergereicht.

Jesus im Koran

Jesus ist sowohl ein Walî als auch ein Prophet. Gott hat ihm erlaubt das Welâyat zu offenbaren. Im Koran wird Jesus als Geschöpf mit der Fähigkeit zur Schöpfung gezeigt. Aber er ist und bleibt ein Prophet. Im Gegensatz zu den Evangelien, wird er nicht als ‚der Sohn Gottes‘ dargestellt. Seine Fähigkeit zu schöpfen zeigt sich bereits bei seiner Geburt. Maria ist zur Zeit seiner Geburt in der Wüste und sie sitzt unter einem verdorrten Baum, von Hunger und Durst geplagt. Im Augenblick der Geburt von Jesus, bringt auch der Baum Früchte hervor, die neben Maria herabfallen. Jesus spricht zu Maria bei seiner Geburt:
‚Doch sprach er zu ihr: „Sei nicht traurig. Dein Herr lässt eine Quelle bei dir sprudeln. Rüttle an dem Baum, so werden frische Früchte fallen. Iss und trink und sei beruhigt.“‘ (Sure 19:24-25)
Im Koran wird Jesus mit der Ankunft des Frühlings verglichen. Der Frühling beschert dem Garten neues Leben. Was wie tot erschien, wird wieder lebendig. Issa ist die erste Frühlingsbrise, die neues Leben ankündigt. Jesus lässt die Toten auferstehen und haucht Leben in die Vögel aus Lehm.
‚Also sagte Gott: „O Issa, Sohn Marias, denke an meine Güte dir und deiner Mutter gegenüber, als ich dir Kraft verlieh durch den Heiligen Geist, so dass du wie ein Erwachsener aus der Wiege zu den Menschen sprechen konntest und als ich dich das Buch lehrte und die Weisheit und die Torah und das Indjiel(Neues Testament) und als du mit meiner Erlaubnis einen Vogel aus Lehm geformt hast und ihm Leben eingehaucht hast. Sodann wurde daraus mit meiner Erlaubnis ein Vogel und als du die Krüppel und die Blinden mit meiner Erlaubnis heiltest und als du mit meiner Erlaubnis den Toten aus dem Grab erstehen ließest.“‘ ( Sure 5:110)
Jesus ist also fähig Menschen zu heilen. Er kann Vögeln aus Lehm Leben einhauchen und er kann sogar die Toten wiedererwecken. Auch aus dem Neuen Testament erfahren wir, dass er Lazarus erweckt hat. Im Koran werden Jesus die gleichen Schöpferfähigkeiten wie Gott zugesprochen. Der Koran erwähnt auch, dass Jesus sehen kann was ein Mensch, der sich an einem anderen Ort aufhält, tut und auch, dass er sehen kann, was jemand in seinem Haus aufbewahrt. Er kann sehen, was einer gegessen und getan hat. Ohne mit den Menschen gesprochen zu haben, weiß er sehr viel von ihnen. Seine außersinnliche Wahrnehmung ist sehr weit entwickelt. In seinem ganzen Leben wird er durch den Heiligen Geist getragen: ‚Ich habe dich durch den Heiligen Geist gestärkt‘. Mit dem ‚Heiligen Geist‘ meint der Koran auch ‚Christus‘. ‚Christus‘ wird in der Exegese des Koran als nichts anders als der Heilige Geist betrachtet. Jesus Christus wird ‚Issa Massi‘ im Koran genannt (Massi Issa, Sohn Marias 3:45) Christus ist der ewige, unsterbliche, geistige Aspekt. Es ist der Heilige Geist. Diese beiden Bezeichnungen werden im Koran verwendet um Jesus zu bezeichnen.

Die Bahira

Im Koran steht geschrieben, dass die Christen zu weinen beginnen, wenn Menschen untereinander über Gott sprechen. Ihre Augen sind voller Tränen. Das ist so, weil ihr Herz  der Ort ihrer Liebe und ihrer Zuwendung zu Gott ist. Sie folgen den Lehren von Jesus.
‚Wenn sie zu Gehör bekommen, was dem Boten Gottes offenbart wurde, sieht man ihre Augen vor Tränen überquellen, während sie sagen: „Unser Herr, wir glauben…“‘ ( Sure 5: 83)
Die Christen erkennen die ‚Wahrheit‘, wie sie von Mohammed(der Bote Gottes) berichtet wird. Dies bedeutet, dass die geistigen Lehren von Jesus weitergelebt haben, nachdem er gestorben ist. Dafür haben die Walî gesorgt. In Syrien haben die sogenannten Bahira von Generation zu Generation das Welâyat weitergegeben. Bahira ist kein persönlicher Name, sondern deutet auf eine Schule des Geistes hin, in welcher die Lehren Jesu unterrichtet wurden. Bahira stammt von dem Wort ‚Bahr‘, das man mit Ozean übersetzen kann. Die Aussage dahinter deutet auf den geistigen Aspekt eines Bahira, dessen Geist so groß wie ein Ozean ist. Die Bahira sind die Nachfolger der geistigen Linie von Jesus. Sie unterrichteten die Menschen in geistigen Angelegenheiten in der Zeit des Fetrat. Das Zentrum der Bahira befand sich in Bosra, Syrien.
Gemäß den historischen Fakten, wie sie in der ersten Biografie Mohammeds aufgeschrieben wurden, dem ‚Sirat sayyidina Muhammad rasul Allah‘ von Ibn Hisham( gestorben 834), wurde Mohammed von dem Bahira seiner Zeit eingeweiht. Die Biografie enthält die Reise Mohammeds im Alter von 12 Jahren, als er mit seinem Onkel Abutalleh von Mecca nach Bosra ging. Somit ist Mohammed in die Eingeweihtenlinie von Jesus Christus eingeweiht worden.
Die Begegnung zwischen Mohammed und dem Bahira seiner Zeit ist in der Tat ein sehr bedeutsamer Moment in der Geschichte der Christenheit und in der Geschichte des Islam. Sie zeigt uns die Fortsetzung der Eingeweihtenlinie und der geistigen Erziehung vom Christentum zum Islam. In gnostischer Weise sind das Christentum und der Islam miteinander verbunden.
Der Koran sagt:
‚Wir haben die Verantwortung der geistigen Erziehung des Propheten in die hand bestimmter Menschen gelegt. Oh Mohammed, folgen ihrem Weg und ihrer Führung‘.
Und:
‚Unter den Menschen, die mit den heiligen Büchern verbunden sind; gibt es diejenigen, die den Pfad gehen und die Verse Gottes rezitieren.‘ (133. Sure 3)Und:
‚Zacharias, Johannes der Täufer(Yahya), Isaak, Elias stammen alle von denen die rechtschaffen sind. Ismael, Jonas, Lot wurden durch Uns alle edler geschaffen als andere Menschen, und auch ihre Väter, ihre Nachkommen und ihre Brüder. Wir führten sie alle auf dem rechten Weg. Wir verliehen ihnen das Buch, die Weisheit und die Prophezeiungen. Wenn (die unwissenden Leute) sie zurückweisen, werden Wir diese als Stamm bezeichnen, die ihren Wert nicht kennen. Sie sind von Gott (Allah) geleitet, also folgt ihren Weisungen.‘ (Koran An‘ Ram 85-90)
Diese Zitate zeigen, dass es eine Fortsetzung von christlicher Gnostik und islamischer Mystik gibt. Es gibt Miniaturen von der Begegnung zwischen Mohammed und dem Bahira seiner Zeit. Der Name des Bahira, der Mohammed eingeweiht hat, war Sergios. Als Mohammed 20 Jahre alt wurde, starb Sergios und wurde von einem neuen Bahira beerbt. Alsodann reiste Mohammed wieder nach Syrien, um den Pakt der Initiation mit dem Nachfolger seines Meisters zu erneuern.
Mohammeds Himmelsreise

Ein weiterer wichtiger Hinweis, der die Fortsetzung des gnostischen Aspektes des Welâyat, der geistigen Linie von Jesus zu Mohammed, findet sich in der himmlischen Reise des Propheten des Islam. Laut der Sure 17:1 wurde Mohammed in einer Nacht aus Mekka zu einer ‚Moschee‘ emporgehoben, um Zeuge mancher Wunder seines Schöpfers zu sein. Mehr steht über dieses wundersame Ereignis nicht geschrieben. In der Biografie Mohammeds und in anderen Geschichten wird diese himmlische Reise detaillierter beschrieben. In einer bestimmten Nacht erscheint der Heilige Geist in Gestalt des Erzengels Gabriel im Haus Mohammeds. Er lädt Mohammed ein, sein Haus zu verlassen und mit ihm eine Reise in seinem himmlischen Fahrzeug namens ‚Baruch‘ zu unternehmen. Mohammed wird auf eine lange Reise mitgenommen, die einen horizontalen und einen senkrechten Abschnitt beinhaltet. Der horizontale Teil ist die Reise von Mekka nach Jerusalem. Von Jerusalem führt die senkrechte Reise zum Thron Gottes. Während dieser senkrechten Reise kommt Mohammed zunächst in die 7 Schichten der Hölle und danach in die 8 Ebenen des Himmels. Dort trifft er auf die Gläubigen, die Heiligen, die Walîs und die Propheten. In der 8. Ebene hält Gabriel an und gibt Mohammed zu verstehen, dass es ihm nicht gestattet sei Mohammed weiter zu begleiten. Gabriel hat keine Erlaubnis weiter zu reisen. So reist Mohammed alleine in die 9, Ebene und gelangt zu Gott, der hinter einem Schleier hellsten Lichtes verborgen ist. Er spricht mit Gott und kehrt danach zurück.
Diese Reise wird ‚Mehrajh‘, die ‚Himmelfahrt‘ genannt.
Aber warum nimmt Gabriel Mohammed nicht gleich von Mekka zu Gott. Warum findet diese himmlische Reise in Jerusalem statt? Das ist so, weil Mohammed durch diese himmlische Reise in die Fußspuren von Jesus tritt. Schließlich schildert der Koran, dass Jesus von Gott in Jerusalem in den Himmel gehoben wurde und nicht am Kreuz zu Tode kam. Mohammeds Himmelsreise zeigt die Fortsetzung der geistigen Linie von Jesus zu Mohammed. Die Erklärung der himmlischen Reise wird nicht im Koran näher beschrieben, aber in den Hadithen (mündliche Überlieferungen, die gesammelt wurden) und in anderen Geschichten findet sie sich. Nach der Auslegung der Sufis begegnet Mohammed Jesus im 4. Himmel. Diese Auslegung findet sich zum Beispiel in dem Buch ‚Mafatih ole e`jaz fi shr e Golshan e raz‘, das von Scheich Mohammad Lahidji, einem Sufi Meister aus dem 9. Jahrhundert, stammt. Der 4. Himmel ist der Ort der Sonne. Die Sonne dreht sich im 4. Himmel. Dies ist der Ort, an dem Jesus lebt, wo er eine Quelle von lauterem Licht ist. Dort speist er das, was wir Sonne nennen, mit Licht. Vom Standpunkt der Sufis ist Jesus die Quelle des Lichts. Die Sonne am Himmel ist wie ein Mond in Bezug zu Jesus. Jesus ist die verborgene Sonne, die spirituelle Sonne.

Aly

Aly ist der Schwiegersohn von Mohammed, der 4. Kaliph und der erste Imam der Shiiten (656-661). Den Sufis zu Folge, hat ‚Aly‘  darüberhinaus eine völlig andere Bedeutung. Aly hat die selben Qualitäten, die der Koran Jesus zuschreibt. Aly ist der erste Walî nach Mohammed, aber er ist kein Prophet.
Das Wort/ der Name ‚Aly‘ wird im Koran auf unterschiedliche Weise verwendet. Manchmal ist es ein persönlicher Name, manchmal wird es wie ein Adjektiv, das eine bestimmte Qualität beschreibt, verwendet. Es findet sich im Koran zum Beispiel ein Vers über den Propheten Hezechiel. Er gilt als rechtschaffener Prophet. Im Koran steht geschrieben ‚Er ist Al-Aly (der Höchste und Herausragendste) und er ist Al-Azim (der Größte) (Koran 2:225).
Über die himmlische Reise von Idris (Hennoch) lesen wir im Koran, dass die letzte Ebene sich auf den ‚Namen und das Adjektiv‘ Aly bezieht. (Sure 19:56)
Das Wort ‚Aly‘ taucht 11-mal im Koran auf. 5-mal als Adjektiv oder Beschreibung und 6-mal als persönlicher Name. Wenn ‚Aly‘ als persönlicher Name gebraucht wird, können wir das als einen Namen Gottes betrachten. Als Beispiel dafür dient folgender Vers: 
‚Gott lenkt das ganze Weltall, was sehr einfach für Ihn ist, denn er ist Aly (der Höchste und Herausragendste) und Er ist groß‘.

Fazit

Für die Sufis hat Aly eine gänzlich andere Bedeutung als für die Theologen. Die Art der Auslegung des Korans und die Bedeutung, die sie den Überlieferungen beimessen, unterscheiden sich bei den Sufis grundlegend von der Koranexegese der Theologen. Wenn wir der Koranexegese der Theologen folgen, sind Islam und Christentum weit voneinander entfernt. Wenn wir aber der mystischen Auslegung der Sufis folgen, sind Christentum und Islam viel näher beieinander. Mohammed ist die Brücke zwischen Jesus und Aly. Durch Mohammed wird die geistige Linie der christlichen Gnostik im Sufitum fortgesetzt.

(Deutsche Übersetzung eines auf Niederländisch erschienen Artikels von Dr. Azmayesh, der in der Februar/März Ausgabe 2007 von Bres, abgedruckt wurde. Bres ist eine einflussreiche zweimonatlich erscheinende Zeitschrift über Spiritualität, die in den 60er Jahren gegründet wurde.)

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