Im Jahr 1993 dominierten die Dinosaurier aus dem "Jurassic Park" die Kinos, während an jedem Strand und vor jedem Kamin John Grishams "Die Akte" gelesen wurde. Nicht so erfolgreich, aber dem Erfolg auf der Spur war zur gleichen Zeit der amerikanische Autor Ronald B. Tobias mit seinem Sachbuch "20 Masterplots". Laut Tobias gibt es genau 20 Szenarien, aus denen Geschichten entstehen. Jedes Buch und jeder Film, ob über mörderische Riesenreptilien oder tödliche Justizverschwörungen, basiert auf mindestens einem dieser 20 Plots.
Die Einschätzung von Mr. Tobias teilen selbstverständlich nicht alle Experten. So benennt Christopher Booker im 2004 erschienenen Werk "The Seven Basic Plots" nur sieben Handlungselemente, auf denen alle Geschichten basieren, bei Georges Polti waren es 1944 ganze 36 Plots. Persönlich finde ich alle drei (und weitere) Masterplot-Thesen sehr interessant und lese sie gerne. Die 20 Masterplots von Ronald B. Tobias erscheinen mir als wirklich guter Kompromiss, der eine praktische Anleitung für Kreative ist.
Suche
Abenteuer
Das Abenteuer ist der draufgängerische Stiefbruder der Suche. Um die menschliche Entwicklung der Hauptfigur(en) geht es bei diesem Plot nicht oder zumindest sehr viel weniger. Im Mittelpunkt steht das Abenteuer an sich. Alles dreht sich um die Gefahren und Risiken, auf die sich Charaktere einlassen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
Verfolgung
Ein Guter jagt einen Bösen oder ein Böser jagt einen Guten. Beides funktioniert. Vor allem im Horrorgenre ist der Verfolgungs-Plot sehr verbreitet. Warum der grässliche Schurke in der Hockeymaske die hormongesteuerten Teenager verfolgt und umbringt, ist dabei meist nebensächlich.
Rettung
In der Regel braucht es für den Rettungs-Plot mindestens drei Positionen: den Bösen, den Guten und das Opfer, das der Gute aus der Gewalt des Bösen befreien muss. Freilich kann der Gegner dabei auch eine Naturkatastrophe wie eine Flut, ein Vulkanausbruch oder ein Tornado sein. Der Held muss das Opfer aus der Klemme holen, bevor es getötet wird oder auf andere Weise zu Schaden kommt. Mittlerweile ist das Opfer nicht mehr jedes verdammte Mal eine Frau und der Retter nicht zwangsläufig ein Mann.
Flucht
Statt auf Rettung zu warten, nimmt das Opfer bei diesem Plot die Sache selbst in die Hand und macht sich aus dem Staub. Die Flucht kann aus einer Gefangenschaft erfolgen oder vor einem Feind, der die Hauptfigur(en) gefangen nehmen will. Mitunter flieht der Protagonist vor dem Gesetz, das ihn zu Unrecht verurteilt hat.
Rache
Ein ehrenwertes Motiv ist die Rache zwar nicht, doch sie hat etwas sehr befriedigendes an sich. Statt die andere Wange hinzuhalten, schießt, schlägt, tritt und sticht hier ein Protagonist - alleine oder mit Unterstützung - zurück. Die Gründe für Rache sind vielfältig, nicht selten aber führt der Mord an einem geliebten Menschen dazu, dass ein Charakter rot sieht.
Rätsel
Rivalität
"Sei reizend zu deinen Feinden! Nichts ärgert sie mehr" befand der deutsche Komponist Carl Orff. Wenngleich er damit keineswegs unrecht hat, mögen es die unbeteiligten Zuschauer/Leser einer Rivalität wesentlich lieber, wenn sich die Kontrahenten hartnäckig bekämpfen. Das ist viel spannender und unterhaltsamer. Eine Rivalität zwischen zwei Protagonisten oder Gruppen kann verschiedene Ursachen haben: Beide wollen denselben Wettbewerb gewinnen, denselben Job haben, denselben Partner erobern, dasselbe Eigentum besitzen oder dieselbe Macht ausüben. Nicht jede Rivalität ist von Hass erfüllt und entwickelt sich gewaltsam. Gerade in Komödien äußert sich Rivalität häufig in kleineren Gemeinheiten und Streichen.
Underdog
Um einer Figur die Sympathien der Zuschauer oder Leser zu sichern, ist es ein bewährtes Konzept, sie zu einem klassischen Underdog zu machen. Der Underdog - im Deutschen meist Außenseiter genannt - beginnt die Story als chancenloser Verlierer und steht am Ende (fast immer) als Gewinner da. Der Underdog-Plot wird häufig mit einer Rivalität verbunden, nur dass hier der eine Kontrahent dem anderen zunächst haushoch unterlegen ist, sei es körperlich, geistig oder wirtschaftlich. Selbstredend erweist sich der Underdog dafür als ehrlicher, menschlicher und liebenswerter. Wenn das Publikum nicht auf der Seite des Außenseiters steht, hat der Autor etwas Grundlegendes verkehrt gemacht.
Versuchung
Es war die Geschichte von Adam und Eva, die den Apfel ins Rollen gebracht hat. Seit sich Eva von der Schlange dazu überreden ließ, die verbotene Frucht zu kosten, gehört die Versuchung zu den bekanntesten Grundmotiven. Heute lassen sich die Menschen nur noch selten mit Äpfeln, dafür aber mit Geld, wertvollen Gütern oder der Aussicht auf Macht und Einfluss ködern. Es erfordert ein hohes Maß an Stärke, Loyalität und Selbstbeherrschung, um Versuchungen zu widerstehen.
Verwandlung
Schon in der antiken Mythologie finden sich zahlreiche Geschichten über Götter, die sich selbst oder wehrlose Menschen in Tiere, Pflanzen, sogar Fabelwesen verwandeln. Bei einer solchen Verwandlung vollzieht ein Charakter eine körperliche Veränderung, die große Auswirkungen auf sein Aussehen, seine Fähigkeiten sowie seinen geistigen und emotionalen Zustand hat. So eine Verwandlung in einen Zombie etwa bleibt selten ohne mentale Folgen. Allein schon die neuen Essgewohnheiten sind der Wahnsinn. Das Mysterygenre beschert uns besonders häufig Verwandlungen, die dauerhaft oder vorübergehend sein können.
Transformation
Im Gegensatz zur Verwandlung vollzieht sich die Transformation in erster Linie im Inneren eines Menschen. Aus einem Bösewicht wird ein Held oder aus einem Helden ein Bösewicht. Gleichwohl muss eine Transformation nicht immer so extrem sein. Auch die Wandlung eines Workaholics mit Allergie gegen Freizeitbeschäftigungen zu einem entspannten Familienvater ist ein Beispiel für eine Transformation.
Reifung
Die Reifung lässt sich oftmals mit dem Erwachsenwerden gleichsetzen. Eine zumeist jüngere Person durchläuft einen Prozess, der sie kindisches und verantwortungsloses Verhalten ablegen lässt. Ein Großteil der Teenie-Romane, die Leseratten über 20 Jahre nur zur Hand nehmen, wenn es im Umkreis von 2 Kilometern keine Zeugen gibt, nutzt den Reifungs-Plot.
Liebe
Verbotene Liebe
Nein, der Plot der verbotenen Liebe wurde nicht von William Shakespeare erfunden, doch mit "Romeo und Julia" hat er eine echte Mastervorlage geliefert. Jeder kennt und versteht das Prinzip einer Romanze, die nicht sein darf, weil irgendwelche Regeln oder Rivalitäten ein imaginäres Verbotsschild aufstellen.
Opfer
Zwar existieren durchaus einige literarische und filmische Werke, in denen Menschenopfer eine signifikante Rolle spielen, doch der Opfer-Plot verlangt nicht zwangsläufig die zeremonielle Hinrichtung auf einem Altar. In den meisten Fällen handeln Opfer-Geschichten davon, dass eine Person bereit sein muss, etwas aufzugeben, das ihr wichtig ist, beispielsweise die Karriere zum Wohle der Familie.
Entdeckung
Wenn ein Charakter etwas Neues über sich selbst oder andere erfährt, dann macht er eine Entdeckung. So simpel ist das, so viele Geschichten lassen sich darauf aufbauen.
Grenzerfahrung
Per Definition ist die Grenzerfahrung ein Erlebnis, das Körper und Verstand eines Menschen bis zum Äußersten belastet. Die Person stößt durch die Ereignisse an ihre physischen und psychischen Grenzen oder muss über diese hinausgehen. Je besser sich die Leser oder Zuschauer mit dem Charakter identifizieren können, desto mehr empfinden auch sie die Erlebnisse als eine Grenzerfahrung, die belastend für sie wäre.
Aufstieg
Fall
Es gibt wesentlich mehr Flugzeuge im Meer als U-Boote am Himmel. Auch wenn nicht alles, das hinkt, ein Vergleich ist, lässt sich sagen: Es geht leichter nach unten als nach oben. Der Fall-Plot zeigt uns Charaktere, die von der Erfolgsleiter purzeln, ob selbst- oder fremdverschuldet, und damit fertig werden müssen.
Literatur zum Thema
- Tobias, Ronald B.: 20 Masterplots - Die Basis des Story-Building in Roman und Film
- Booker, Christopher: The Seven Basic Plots: Why We Tell Stories
- Polti, Georges:36 Dramatic Situations