Geister – Nathan Hill
Der Literaturprofessor Samuel Andresen-Anderson ist gelangweilt von seinem Leben. Seine faulen Studenten frustrieren ihn, trotz Vertrag mit einem Verlag wollen ihm keine Worte für einen neuen Roman einfallen. Nun droht Samuel eine Klage, weil der Vorschuss, der ihm bei dem Deal gezahlt wurde, längst ausgegeben und ein Buch nicht in Sicht ist. Erst als seine Mutter Faye, die ihn als Kind verlassen hat, den Präsidentschaftskandidaten Sheldon Packer mit Kieselsteinen bewirft und am Auge schwer verletzt, ergreift Samuel seine Chance: Samuel will alles über seine Mutter herausfinden und in einem Buch die Wahrheit ans Licht über den „Packer-Attacker“ bringen.
Nathan Hills Roman Geister erzählt detailliert die Geschichte zweier Personen: Von Samuel und seiner Mutter Faye, beide von Kindheit an beginnend. In diese zwei großen Handlungsstränge sind weitere, kürzere Episoden eingefügt. In ihnen geht es um Menschen, die nur kurz im Leben beider Protagonisten auftauchen, sie jedoch prägten. Zwischen den vielen Rückblenden und Zeitsprüngen wird die Geschichte Amerikas der vergangenen 50 Jahre fast spielerisch leicht erzählt. Zudem werden heutige gesellschaftliche Werte auf amüsante Weise, jedoch nicht ohne Kritik hinterfragt.
Trotz der vielen Figuren und Sprünge im Roman, behält man den Überblick. Vor allem wegen der einfachen Sprache ist im über 800 Seiten langen Wälzer ein roter Faden erkennbar. Das Erzähltempo passt sich wunderbar den Szenen an: Mal geht alles ganz schnell, als etwa der Online-Spieler Pwnage vor seinem Computer zusammenbricht, weil er schon seit 30 Stunden pausenlos spielt; mal verfolgt man die Handlung Minute für Minute, als etwa die Proteste von 1986 in Chicago in einer fast unerträglichen Zeitdehnung aus verschiedenen Perspektiven beschrieben werden. Das und die Episoden treiben die Spannung voran.
Doch Nathan Hills Stärken liegen besonders in der Gestaltung seiner Figuren. Die Charaktere haben Tiefe, ihre Handlungen sind nachvollziehbar, ihre Gedanken reißen beim Lesen mit. Und sie sind vor allem unberechenbar. Niemand ist derjenige, den er vorgibt zu sein. Denn darum geht es im Roman: Können Menschen sich ändern? Können wir zu dem Menschen werden, der wir sein wollen? Und wie weit gehen wir dafür? Lediglich das Ende ist ein wenig pathetisch und hätte kürzer ausfallen können. Doch angesichts der Figurenzeichnungen kann man es noch verzeihen.
„Denn wenn du die Menschen als Feinde, als Hindernisse oder Fallen betrachtest, liegst du unablässig im Krieg mit ihnen und mit dir selbst.“ (S. 853)
Geister ist ein großartiger Debütroman, der von seinen authentischen Charakteren und sprachlichen Gestaltungen lebt und unbedingt gelesen werden sollte.
Nathan Hill: Geister. Piper Verlag. 864 Seiten, 25 Euro.
Eine weitere Rezension findet ihr auf Letteratura.