Sammler-Seelsorge
Jörg Trüdingers An- und Verkaufladen Such&Find ist Rangierbahnhof, Plattenladen, Marktplatz, Bücherstube, Tiefgarage, Centralkino, Kinderzimmer, Uni für Autodidakten und Kontaktbörse in einem. Außerdem steht Such&Find für eine Art Gesellschaftsspiel mit folgenden Regeln: Die Spieler, Jörg Trüdingers Kunden, gehen in den verwinkelten Erdgeschoss-Räumen auf große Schatzsuche – sie kramen in ausgedienten Bananen-Kartons hingebungsvoll nach Märklin-Loks, wühlen in Mini-Schublädchen nach alten Bierdeckeln, Tankmünzen oder Briefmarken, stöbern stundenlang in Regalen voll Ordnern nach Auto-Katalogen, lesen einen Comic nach dem anderen an oder blättern die größte Vinyl-Single-Sammlung der Stadt durch. Auch ernst zu nehmende Lektüre der Heimatkunde oder Luftfahrtgeschichte ist angesagt und zwischendurch wird immer wieder geratscht, gefachsimpel oder gehandelt, bis die neue Trophäe schließlich stolz nach Hause getragen wird.
Trotz geballter Allround-Sammel-Leidenschaft schlägt das Sammlerherz des Chefs vor allem für alte Ansichtskarten und nostalgisches Spielzeug aus Stuttgart. In einer kleinen Holzkiste bringt er seine ganz persönlichen Schätze mit zum Interview-Termin, ein Satz selbst gesägter Holzhäuschen etwa, mit denen Stuttgarts Stadtzentrum mit Stiftskirche und altem Schloss nachgestellt werden kann, selbst gemachte Häuschen aus Zigarrenkisten für die Modelleisenbahn-Anlage oder ein spartanisches Pferderennen als Brett- oder besser Pappspiel. „Nach dem Krieg gab es eben wenig Spielzeug und die Leute wurden erfindungsreich. Heute sind Holzspielzeug-Unikate selten geworden, nicht zuletzt, weil die Spielzeugindustrie schnell und massenhaft Plastik-Produkte herstellte“, erklärt Jörg Trüdinger, der als Vierjähriger für sein erstes Sammlerstück seinen Bruder bestochen hat: Ein orangefarbener Mercedes C 111 mit Flügeltüren gegen eine sturmfreie Bude lautete der Deal, bei dem Jörg Trüdinger offenbar zum ersten Mal bewusst Jagdfieber gespürt hat. Mit 13 bot ihm ein Sammler das Fünffache von dem, was Klein-Jörg kurz zuvor für ein graues Modellauto bezahlt hatte und der Teenie merkte: Das alte Zeug kann man nicht nur sammeln, damit lässt sich auch Geld verdienen. Flohmärkte wurden sein zweites Zuhause und nach dem Studium war die Frage „Banker oder ein Beruf der mir Spaß macht“ schnell beantwortet: 1994 eröffnete mit Geschäftspartner Marco Cini im Heugsteigviertel die Sammler-Oase Such&Find und mindestens jeden Samstag ist immer noch Flohmarkt-Termin auf dem Karlsplatz. An Trüdingers Stand treffen sich nicht nur passionierte Sammler und Jäger sondern auch die gesamte Familie.
Während Geschäftspartner Marco Cini erst gar nicht sammelt – angeblich weil er „erwachsen“ ist – hat Jörg Trüdinger im Gegensatz zu vielen anderen passionierten Kollegen keine Probleme, sich von gekauften oder getauschten Stücken wieder zu trennen. „Sammeln ist nicht zuletzt eine Platzfrage“, meint der 42-Jährige lapidar schmunzelnd und hortet in der Privatsammlung eigentlich „nur noch außergewöhnliche Raritäten mit ganz persönlichem Wert“. Geschichten und Hintergründe der Gegenstände verführen ihn immer wieder zu ausgiebigen Recherchen.
Den Überblick übers Inventar behalten Jörg Trüdinger und Marco Cini übrigens keineswegs mit einer Rechnerdatenbank sondern einzig und allein im Kopf und auf Papier. Von der Kindergartengruppe bis zum Spitzenmanager finden wirklich alle Gesellschafts-Schichten den Weg in den sauber geordneten Kruschtel-Laden. „Mit Sammlerstücken zu handeln ist nicht nur vielseitig sondern oft auch sehr persönlich – die Gespräche mit den Kunden sind spannend und man bekommt tiefe Einblicke in die Schicksale der Leute“, so Jörg Trüdinger, der sich manchmal fast wie ein Pfarrer vorkommt. „Das ist schon merkwürdig, wenn man von langjährigen Stammkunden plötzlich den Nachlass sortiert oder wenn man weiß, ein Kunde verkauft gerade seine halbe Sammlung, damit er sich etwas zu essen kaufen kann. Oder Eltern bringen das Spielzeug ihres verstorbenen Kindes, das sie aus Trauer jahrelang nicht berühren konnten. Wieder andere freuen sich, dass sie für ihren ´alten Krempel´ so viele Euros bekommen und manchen müssen wir auch ganz klar sagen, dass sie sammelsüchtig sind“, bedauert Jörg Trüdinger. Trotzdem träumt er einen Traum, den angeblich fast jeder Sammler träumt: Einmal ein eigenes Museum zu besitzen. „In meinem würde ich Spielzeug ausstellen – nicht das teuerste sondern das ´wirklichste´, denn Märklin-Eisenbahnen konnten sich früher nämlich nur Großbürger leisten.“ www.suchundfind-stuttgart.de Foto: Such und Find