Stuttgart21: vom Filz hinter diesem Projekt

Heise.de veröffentlichte gestern einen interessanten Beitrag zum Thema "Stuttgart 21", der hier auszugsweise wiedergegeben wird. Unter anderem befasst sich der Autor Wolfgang Pomrehn mit dem "Filz", der hinter dem "Stuttgart 21" Projekt zum Vorschein gelangt.
Pomrehn macht aber bereits eingangs den Fehler, zu behaupten, daß sich "Union und Liberale immer mehr in der Gesellschaft isolieren." Das mag kurz gedacht der Fall sein, doch verheimlicht es die Tatsache, daß "Stuttgart21" ebenso ein Projekt der Grünen und der SPD darstellt. Es ist schlichtweg irrtürmlich anzunehmen, daß allein die Blockflötenparteien in den Schwatzbuden auf Bundes- oder Landesebene den Ton angeben. Nicht in einer Bananenrepublik und schon gar nicht in der Oligarchie, in der wir leben. Denn wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten oder es gäbe den nächsten Krieg in diesem Land.
Keinen Millimeter nachgeben 
Derweil zeigt sich die Bundesregierung vollkommen unbeeindruckt von dem wachsenden Unmut in breiten Kreisen der Bevölkerung. Die Änderungen des Atomgesetzes sollen noch diesen Monat durch den Bundestag gebracht werden. Die letzte Lesung ist schon für den 28. Oktober terminiert. Während man die Öffentlichkeit mit Integrationsdebatten, die eher Ausgrenzungsdebatten genannt werden sollten, beschäftigt, hat das Kabinett seine Entwürfe bereits ins Parlament eingebracht und will sie in den nächsten beiden Wochen durch die Ausschüsse hecheln. Eine breitere öffentliche Debatte ist trotzt der weitreichenden und langfristigen Folgen der vorgesehenen Beschlüsse nicht vorgesehen. 
Auch bei der Bahn ist man vollkommen unnachgiebig. Während CDU-Grande und Attac-Mitglied Heiner Geißler in Stuttgart vermitteln soll, schreibt die Bahn neue Aufträge aus. Weiteres Öl ins Feuer gießt der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus, indem er aller Geißlerschen Vermittlungsversuche zum Trotz erneut einen Baustopp ablehnt. 
Schlichter Geißler versucht nun, das "psychopathologisch aufgeladene Wort" Baustopp zu vermeiden und hingegen von einer "Bauunterbrechung" zu sprechen. Nach dem ersten Gespräch mit den S21-Gegnern gibt er sich relativ optimistisch, auch wenn die Vorschläge der Gegner mit denen der Befürworter des Projekts noch nicht ganz kompatibel seien. 
Nur die baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner machte ein winziges Zugeständnis. Seit Montag lässt sie ihre Mitgliedschaft im Beirat der Stiftung Lebendige Stadt "ruhen", wie das Handelsblatt schreibt. Das geschah nach einer Aufforderung des Vorsitzenden des Bundestagsverkehrsausschusses, Winfried Hermann (Grüne), der sonst die Unabhängigkeit der Entscheidung der Ministerin gefährdet sah. 
Auf der Internetseite der Stiftung wurden entsprechend flugs alle Spuren ihrer Tätigkeit für den Verein entfernt, obwohl die Vorwürfe natürlich, wie die taz ihren Sprecher zitiert, "völlig haltlos" und "niveaulos" sind. In der Mitteilung der Stiftung heißt es: "Die Stiftung "Lebendige Stadt" hat sich nie mit dem Projekt Stuttgart 21 und nie mit der davon völlig unabhängigen Bebauung rund um den Mailänder Platz in Stuttgart befasst." 
Beeindruckender Filz 
Hinter der Stiftung steht die ECE Projektmanagement GmbH & Co. KG, die im großen Stil im In- und Ausland Shopping-Center betreibt und baut. Unter anderem will sie auch auf dem freiwerdenden Bahngelände in der Stuttgarter Innenstadt tätig werden. Zusammenhänge mit Gönners vehementer Fürsprache für den neuen Bahnhof sind selbstverständlich rein zufällig. Ebenso zufällig wahrscheinlich wie die Mitgliedschaft des S-21-Architekten Christoph Ingenhoven im Stiftungsrat. 
Zu ihren ehemaligen Beiratskollegen gehört ansonsten auch der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster, der letzte Woche trotz der massiven Proteste nach einem Bericht der Esslinger Zeitung einem Konsortium aus ECE, Strabag und Bayerischer Immobilien GmbH grünes Licht für den Bau eines Komplexes aus Einkaufszentrum, Wohnungen und Hotel auf dem höchst umstrittenen Areal gegeben hat. 
Einsturz-Experten 
Überhaupt ist diese Stiftung eine überaus interessante Angelegenheit. Im Vorstand sitzt zum Beispiel der ehemalige Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma, der ja bekanntlich ganz besondere Erfahrungen mit lebendigen Städten gesammelt hat. Auch sein Nachfolger ist in den Stiftungsgremien vertreten. Das Stiftungskuratorium wird von ECE-Chef Alexander Otto geleitet. Dort trifft er sich zum Beispiel mit dem Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein Peter Harry Carstensen (CDU), mit dem er auch über die HSH-Nordbank geschäftlich verbunden ist, oder mit dem Bundestagsabgeordneten, Ex-Bundesminister und Hamburger SPD-Chef Olaf Scholz. 
Ebenfalls im Kuratorium der Stiftung "Lebendige Stadt" sitzt die Berliner Senatorin für Stadtentwicklung Ingeborg Junge-Reyer (SPD). Die Senatorin ist in der Bundeshauptstadt derzeit eifrig bemüht, noch vor den nächsten Abgeordnetenhauswahlen eine in der örtlichen Bevölkerung ziemlich unbeliebte Autobahnverlängerung durchzuboxen; gegen erheblichen Widerstand in der eigenen Partei wie auch des Koalitionspartners Die Linke. Drei Kilometer neuer Autobahn, die an ihrem Ende keine sinnvolle Anbindung haben wird, sollen 420 Millionen Euro kosten, während überall in der Stadt Jugendprojekte und andere Sozialeinrichtungen zusammengestrichen werden. 
Im Vorstand des erlauchten Vereins ist schließlich auch die ECE-Managerin Friederike Beyer vertreten. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde sie als die Lebensgefährtin des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten und jetzigen EU-Kommissar mit begnadeten Englischkenntnissen (Alles außer Hochdeutsch?) Günther Oettinger bekannt. 
Eine solche Frau arbeitet natürlich nicht für irgendeine Immobilien-Klitsche: Die ECE spielt ganz oben mit und gehört zum Otto-Konzern. Geleitet wird sie von Alexander Otto. Die Otto-Familie gehört nach dem Ranking des manager magazins mit einem gemeinsamen Vermögen von 8,5 Milliarden Euro zu den reichsten 10 Familien in Deutschland. 
ECE-Chef Alexander Otto saß bis zum Sommer 2009 unter anderem auch im Aufsichtsrat der HSH-Nordbank, der gemeinsamen Landesbank Hamburgs und Schleswig-Holstein, die von den dortigen Steuerzahlern mit Milliarden Zuschüssen und Garantien vor der Pleite gerettet werden musste, nachdem sie sich gründlich auf dem US-Immobilienmarkt verspekuliert hatte. Unter anderem hatte man Luxus-Projekte in Manhattan finanziert, die sich als große Geldverbrennungsöfen erwiesen. Auch die ECE gehört zu den Empfängern von HSH-Krediten: 205 Millionen Euro schoss sie für den Erwerb und Umbau eines Einkaufszentrums in der Hamburger Straße in Hamburg-Barmbek zu.
Wolfgang Pomrehn, heise.de

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