So, jetzt reicht’s.
Montag: Nach einigen Tagen in anderen Me(hr-oder-weniger-)tropolen in und um Deutschland, freute ich mich wieder darauf, in die schwäbische Landeshauptstadt einzuziehen. Amsterdam, Zürich, Genf, egal, am schönsten ist es doch daheim… Doch die Ernüchterung kam zügig als ich in den Bahnhof einfuhr. Der Kessel stand ordentlich unter Druck, von fern tönten schon Tröten und Parolen - und mir fiel prompt wieder ein, was ich die letzten Tage so erfolgreich verdrängt hatte: Du bist wieder daheim, in der Protest-Hauptstadt.
Zu allem Überfluss kontrollierten Polizeisperren die Zugvögel, ob sie noch Sinn und Verstand bei sich führten. Kein Wunder, dass kaum einer in den Bahnhof wollte (außer mir) und die meisten hastig Richtung Gleise stürzten. Fort, nur fort, dachte ich mir auch, denn das ganze Demonstrieren kommt bei mir einer Spätzle-Überdosis gleich. Man will einfach nicht mehr, trotz Soße, und es ist einem ganz gleich, ob die Demokratie nun empfindlich in den Bauch getreten wurde und sich waidwund am Boden krümmt.
Was ist da nur los? Können wir der Sache wirklich nichts Gutes mehr abgewinnen?
In den USA wird mit 21 die Volljährigkeit gefeiert, der Schwabe hingegen jammert, wenn die Stadt aus ihren architektonischen Kinderschuhen herauswächst und ordentlich Rabatz macht. Dabei liegt das Bauen doch sprichwörtlich in der Natur meiner Landsmänner. Ist das Häusle, das Europa da erbaut, dem schwäbischen Herz gar zu groß?
Wer erinnert sich denn heute noch an die Demonstranten, die meckerten, weil der Kölner Dom die freie Sicht auf das Bergische Land versperren würde? Junge – und das waren vielleicht Bauzeiten. Unter 600 Jahren ging da garnichts. Und der Louvre – 800 Jahre! Der Petersdom – im Endeffekt 1.400 Jahre*! Die Berliner Mauer hingegen, ein paar Tage. Da bleib ich dabei, was lange währt, wird endlich gut.
Wir halten mit zehn schlappen Jahren dagegen. Gut, das wird ja auch kein Kölner Dom, aber ein Wahrzeichen sicherlich. Fragt sich eben nur, was wir daraus machen.
Ich bin dafür, positiv zu bleiben, wie Kessel.TV das macht: Schlimmstenfalls lässt ein wenig Wasser das Anhydrit am Kesselboden in die Luft gehen und zack! haben wir den Baggersee, den wir schon so lange wollten. Stuttgart könnte zur Partyinsel werden, ein echtes Hippieparadies! Peace and Love für all die Demonstranten in Stuttstock!
Auch wenn ich nicht ungerecht sein möchte und es eigentlich bewundernswert finde, dass sich heute noch solche Massen für ein Thema stark machen, verstehe ich doch das Problem nicht so ganz. Oder sagen wir besser, die Argumente. Ein paar Bäume kommen weg, aber dafür werden andere und vor allem auch mehr gepflanzt. Es ist nur ein vergleichsweise sehr kleiner Teil des Parks, der Baustelle wird, dafür kommt später noch einiges an Park hinzu (ganz wichtig, meine Joggingstrecke bleibt erhalten). Und warum bitte Kopfbahnhof 21? Das will mir so gar nicht in den Kopf. Das Projekt soll das gleiche kosten und macht dafür im Endeffekt noch ein paar mehr Grünflächen für immer den Garaus. Wo sollen dann die ganzen Hasen hin? Und die Männer, die nachts einsam im Park stehen?
Aber wickeln wir die Bäume doch stattdessen mit Sperrband ein und zünden sie fast mit unseren Ewigen Lichtern an. Finden die Bäume bestimmt ganz super, in ihren letzten Tagen schon totgesungen zu werden, das ist ja gerade so, als würde man der eigenen Beerdigung beiwohnen.
Jawohl, ich bin dagegen! Einfach so kleine Bäumchen zu pflanzen, die dann eh bald sterben werden. Das ist doch makaber! Halbgare Wohlstandsdemonstranten, ihr.
Ah, was höre ich da aus den hinteren Reihen. Wegen der schönen Architektur? Hmm, jaja, klar, wer da ruft, dem guckt noch die Graffiti-Dose aus der hinteren Hosentasche raus, mit dem er die Schönheit des Gebäudes neulich ganz individuell interpretiert hat. Zu schade, nun verschwindet Deutschlands größte Graffiti-Leinwand. Unter dem künstlerischen Aspekt muss ich den Emonstranten allerdings recht geben.
[ Anm. d. Red.: Der Emonstrant, eine ordinäre Abwandlung des ordinären Demonstranten zu einem heulenden Bündel Elend.]
Doch noch zum künstlerischen Aspekt: An allen Ecken wird gejammert. Hier, die Wagenhallen kommen weg! Ein gefundenes Fressen, die ganze Stuttgarter Kulturszene schreit empört auf. Doch, halt, was sagt der Gründer der Stuttgarter Wagenhallen selbst?
“Wir müssen nicht wegen Stuttgart 21 weichen, wir sind nur wegen Stuttgart 21 noch hier.”
Das möchte ich mir doch einmal auf der Zunge zergehen lassen. Die Enklave der Stuttgarter Kultur gibt es nur wegen des so gehassten S21? Gerade eben wurde der Mietvertrag um fünf Jahre verlängert.
Fakt ist aber, dass die Wurzel allen Übels einen kaum zu überbietenden Unterhaltungswert hat. Manchmal sinniere ich, ob das Ganze vielleicht doch nur ein gigantischer PR-Gag à la Orson Welles ist, um das verschlafene Schwaben-Städtchen in alle Medien zu bringen? Worüber würden wir uns denn sonst aufregen, wenn die S-Bahn mal ein paar Minuten Verspätung hat? O-Ton von der Haltestelle: ”Milljarde, MILLJARDE gäbet se für oi Projekt aus und netamol die Boh kommt penktlich!”
Jaja, das liebe Geld, das Lieblingsargument der Dagegenseier. Aber eben mal drei Millionen Kosten mit Demonstrieren verursachen. Find ich super. Wieviele Brunnen hättet ihr damit bauen können, oder afrikanische Kinder mit Buntstiften versorgen. Ne, echt, sehr durchdacht.
Das Argument hat es aber trotzdem in sich. Von 3,3 Mrd. (inflationsbereinigt) zu 5 und ein paar Zerquetschte (Peanuts!). Aber: Erwachsen werden war schon immer teuer, da muss auch Deutschlands kleinste Metropole (sinngemäß) blechen. Wer hat nicht schon Papas Auto eine oder zehn Beulen verpasst oder, wenn’s ganz dumm lief, kam auch noch die Kaution für ein wenig Grünzeug drauf. Haben sich unsere Eltern jemals beschwert? Okay, die Frage war rhetorisch. Aber im Großen und Ganzen finden sie uns doch immer noch ganz fein und sind stolz auf uns. Ich wette, irgendwann einmal läuft ein Alt-Demonstrant mit wehmütig schimmernden Augen (oder soll ich sagen: Alt-2011er?) mit seinem Kind durch den funkelnagelneu glänzenden Bahnhof und sagt: “Hier, mein Sohn, hat dein Papa mal einen Baum gepflanzt, um den Bau dieses Bahnhofs zu verhindern..” Und der Junge wird ihn angucken und denken: “Der spinnt doch, der Alte.”
Oder wollen wir einfach “mal dagegen sein”? Würde passen. Manchmal denke ich wirklich, der gemeine Stuttgarter steht morgens auf, denkt: “Oh, es ist schönes Wetter, lasst uns demonstrieren!”
Doch wer hier demonstriert, ist zu 80% garnicht betroffen, kommt aus der Umgebung oder ist gerade auf der Durchreise. Ich hingegen wohne direkt am Brennpunkt und darf mir mindestens zweimal wöchentlich anhören, wie Vuvuzelas zu Demonstrationszwecken weiterverwendet werden, wie lauthals protestiert und grottenfalsch gegrölt wird. Da bleibt doch kein Eichhörnchen mehr im Park, wenn da erstmal alle Schulklassen mit wehenden Bannern durchmarschiert sind.
Was wäre denn die Alternative? Abbrechen und zwei Milliarden in den Sand setzen, die Löcher zuschütten und Blümchen pflanzen? Den neuen Bahnhof einfach versteigern? (Fragt sich nur, wer die Versandkosten trägt)
Kapiert’s endlich, der Zug ist abgefahren. Können wir jetzt bitte, bitte anfangen, uns ein bisschen zu freuen und uns für Sinnvolleres einsetzen?
* Manche Bemerkungen der empört-verstörten Autorin sind nicht allzu ernst zu nehmen (natürlich war die kumulierte Bauzeit des Petersdoms etwas kürzer) und auf mangelnden Schlaf (verursacht durch schlafwandelnde Demo-Camper im benachbarten Park) und den leichten Wahnsinn, den ein gewisses Bauprojekt in ihren Synapsen auslöst, zurückzuführen.