STUTTGART MON AMOUR: Wenn ein Kaffeehaus stirbt

STUTTGART MON AMOUR: Wenn ein Kaffeehaus stirbt Es war schon ein wenig renovierungsbedürftig, und mittags roch es immer nach dem jeweiligen Tagesgericht, weil die Lüftung nicht funktionierte. (Das Mittagsangebot war seit 35 Jahren bei den Stammgästen sehr beliebt). Es gab die FAZ und die beiden Stuttgarter Zeitungen, aber keine Ruhe für die Lektüre, denn der harte Kern der Stammgäste unterhielt sich über Tische hinweg, und ein Hündchen bellte tagein, tagaus , nur sein Herrchen hatte nichts dagegen. Die Kultur des klassischen Wiener Kaffeehauses mit den flinken, und doch auf leisen Sohlen herbeieilenden Kellnern kennt man in Stuttgart nicht. Am ehesten entsprach einst noch das Café Schapmann auf der Königstraße in all seiner üpberladenen barock-schnörkeligen Pracht dem Ideal. Nachdem es indie Schloßstraße umgezogen war, verblasste der gute Ruf jäh. HEUTE: Im Café Schlossgarten sorgen weithergereiste Damenkränzchen für überbordende Stimmung (hier ist wenigstens das Personal dezent und gut geschult). Im Königsbau ist der Lärm aus der Küche dominierend, das Personal pflegt sich ungeniert laut zu unterhalten. Das Planie gibt sich französisch locker ohne einen Hauch von Heimeligkeit. Und im Café Schupp in Heslach, einem echten soliden Familienbetrieb mit bester Konditorware , hat die Mitteilungsfreude des Personals weite Übertragungswege von der Küche über das eigentliche Café bis in den Verkaufsraum zu überwinden. Im Kipp in der Schwabstraße standen die Menschen an Sonn-und Feiertagen Schlange: das Kuchenangebot jedenfalls hatte Format. Jetzt hat die Rentenversicherung den Gebäudekomplex an einen Investor verkauft. Wegen der Generalsanierung musste das Café mit dem spröden 50er Jahre-Charme weichen. Begonnen hat die Geschichte des Familienbetriebs, der über drei Generationen geführt wurde, bereits 1934, damals noch in der Büchsenstraße in Stuttgart-Mitte. Dort führte der Bäckermeister Friedrich Kipp das Café Colmar. Als der Krieg kam, wurde der Mann aus Vöhringen eingezogen und geriet in Gefangenschaft. Nach seiner Freilassung übernahm die Familie das Café Kübler an der Elisabethenstraße 28 direkt am Bismarckplatz. Von 1947 an führte Friedrich Kipp das Café und benannte es nach seinem Namen um. Als die Landesversicherungsanstalt 1954 an der Rotebühlstraße ihren Neubau fertigstellte , zog das Café an den Standort um, an dem es die letzten 58 Jahre seine Gäste bewirtet hat. In dieser Zeit holte Friedrich Kipp auch seinen Sohn Manfred zurück, der seine Wanderjahre in der Schweiz und in England zugebracht hatte. 1963 wurde der Konditormeister Teilhaber des Cafés und führte es bis vor sechs Jahren. Mit Manfred Kipp und in den letzten sechs Jahren dessen Sohn Thomas und seiner Frau standen gelernte Konditormeister in der Backstube und hinter der Theke, die ihr Handwerk verstanden. Wenn ein Kaffeehaus stirbt, dann verblassen auch alle Geschichten zu Erinnerungen. Ein paar Bilder bleiben...
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