Stuttgart, du hässliche Stadt: "Tatort: Der Inder" über Stuttgart 21

Wenn man über den Tatort spricht, dann spricht man meistens über die Städte. „Am Sonntag kommt ein neuer Tatort aus Saarbrücken“, „Sonntag ist endlich mal wieder Wien an der Reihe“, „Der Münchner Tatort ist eh der Beste“ undsoweiter. Doch, eigentlich muss man sich schon die Frage stellen, warum überhaupt. Schließlich dienen die Schauplätze meistens nur als Bildbeschaffer. In Münster beispielsweise fährt Kommissar Thiel stets mit dem Drahtesel über den Prinzipalmarkt, in Köln aßen Ballauf und Schenk bis vor Kurzem am Ende jedes Falles eine Bratwurst am Rhein und im Debüt der neuen Berliner Tatort-Ermittler war der Showdown im BER angesiedelt. Hin und wieder gibt’s zwar noch ein wenig Lokalkolorit in Form von Akzent-sprechenden Gerichtsmedizinern oder Sekretärinnen, aber sonderlich viel wird aus dem Standort nie gemacht. Fürs Schaufenster, für schöne Lückenfüller-Sequenzen sind sie gut, für mehr nicht. Dabei beweist der Tatort „Der Inder“, dass es durchaus auch anders (gut) gehen kann.
Der Fall, der sich mit dem nun schon seit Jahren schwelenden Konflikt über Stuttgart 21 beschäftigt, missbraucht die Baden-Württembergische Landeshauptstadt nicht nur für nette Bilder. Er verwendet den wohl größten Streitpunkt der Stadt der letzten Jahrzehnte gleich mal als Aufhänger für einen hochbrisanten, hochpolitischen, leider auch etwas wirren Plot. Spannend und mutig sind die 90 Minuten allemal – besonders, weil der Tatort kein Blat vor dem Mund nimmt. Und auch sonst seinen Herkunfts-Ort nicht im besten Licht erscheinen lässt. Stuttgart, du Drecksloch!

Sport ist Mord! ©SWR


Der SWR hat ein gutes Händchen bewiesen, indem er für dieses schwierige Thema Niki Stein als Regisseur ausgewählt hat. Stein zeigte bereits mehrmals, das er ein guter Mann für explosive Sachverhalte ist. So entstand unter seiner Ägide beispielsweise 2010 der Aufsehen erregende Scientology-Streifen „Bis nichts mehr bleibt“. Sehr eindrücklich gelang ihm zu zeigen, was aus Familien wird, die an eine Sekte geraten. Und auch bei „Der Inder“ will er wieder viel zeigen, auf viel aufmerksam machen, das Thema nicht nur instrumentalisieren, sondern sich mit dem Thema auch wirklich beschäftigen – leider verhebt er sich. Die Story handelt vom erschossenen Staatssekretär Jürgen Dillinger (Robert Schupp), der in einen Bauskandal um das sogenannte Gleisdreieck verwickelt war. Auf dem Areal von S21 sollte ein riesiger Komplex entstehen, Architekt von Mayer (preisverdächtig: Thomas Thieme) entwickelte den Plan, ein dubioser Inder sollte investieren. Aber das klappte alles nicht, der Inder entpuppte sich als Betrüger, von Mayer wanderte daher ins Kittchen, der tote Staatssekretär vor den Untersuchungsausschuss. Dort gerade ausgesagt, wird er erst mit einem Farbbeutel abgeworfen und wenig später im Wald, als er sich gerade seine Joggingschuhe anzieht, erschossen. Von einem dubiosen Killer. Mittendrin statt nur dabei ist auch ein ehemaliger Ministerpräsident (ich hätte ihn nicht abgewählt: Ulrich Gebauer), windige Investoren, unbekannte Blondinen und viel Verworrenes...
Alles Zusammenhänge zu verstehen, das fällt einem echt nicht leicht. Zu verworren ist der Fall um Wirtschaftskriminalität, zu verschwurbelt erzählt Stein seine Geschichte. Die Szenen bauen nicht aufeinander auf, es gibt Rückblenden, es gibt Szenen, die erst später spielen, aber schon früh eingestreut werden, so entsteht ein Puzzle, dessen Einzelteile auch am Ende noch nicht so recht zu passen scheinen. Mutig ist das zwar, aber auch ziemlich riskant. Jogis bekannte högschde Konzentration ist für „Der Inder“ auf jeden Fall notwendig. Und auch ein wenig Schmunzel-Laune. Gebauer karikiert seine Figurköstlich. Es wird einsam um einen, wenn man abgewählt ist, sagt er. Und zu tun habe er nun auch nix mehr. Der arme; Gebauer hätte meine Stimme definitiv bekommen. Genauso wie Thieme, der einen Art Gefängnis-Paten mimt. Von den Wärtern kriegt er Cigarillos zugesteckt, er selbst wird von Lannert (Richy Müller) verhört – eines der besten Momente des gesamten Krimi-Jahres bislang. Reue empfinde er nicht, höchstens Schuld aufgrund seiner unlauteren Geschäfte mit dem Inder. Und in einem minutenlangen Monolog sagt er, was er von der Stadt hält. Stuttgart sei ein zubetonierter Talkessel und ein städtebaulicher Irrtum. Stuttgart 21 wäre etwas Gutes gewesen für dieses Drecksloch. So hat ein Tatort wohl noch nie über seine Stadt hergezogen.

Er hält Stuttgart für einen zubetonierten Talkessel: Architekt von Mayer (Thomas Thieme) ©SWR


Ansonsten bietet Stein viel Normales und Unnormales. Bootz (Felix Klare) hält Stuttgart 21 für gnadenlose Steuerverschwendung, Lannert findet natürlich das Gegenteil – jedenfalls anfangs. Bloggerinnen eines Blogs namens „Stargate“ mit über 500.000 Klicks pro Tag trinken natürlich Matetee, Ausschussvorsitzende von Untersuchungsausschüssen kennen Bootz zufälligerweise persönlich aus der Schule und der Gerichtsmediziner (Jürgen Hartmann) steht auf Goethe, Tarantino und die Staatsanwältin (Caroline Vera). Die Kommissare wandern derweil von einer Baustelle auf die nächste: Ob Polizeipräsidium oder Landtagsgebäude – ganz Stuttgart ist eine einzige Baustelle. Und ob Stuttgart 21 nun wirklich das Beste ist, was der Stadt passieren kann, da ist sich dann am Ende nicht einmal mehr Lannert sicher. 

©SWR

Fakt ist aber: Der ICE aus Frankfurt braucht jetzt immerhin 14 Minuten weniger für seine Strecke. Darüber kann man dann auch schonmal einen Tatort drehen.  
BEWERTUNG: 7,5/10Titel:Tatort: Der InderErstausstrahlung: 21.06.2015Genre: KrimiRegisseur: Niki Stein
Darsteller: u.a. Richy Müller, Felix Klare, Thomas Thieme, Ulrich Gebauer

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