Stuttgart 21: Wenn die Baumfällung rechtswidrig wäre…

Einige Zeitungen melden, dass die Baumfällung in Stuttgart am 01.10.2010, in dessen Verlauf es ja zu massiven Protesten und heftigem Einschreiten der Polizei kam, rechtswidrig gewesen sein könnte.

Als Beispiel mag der Artikel in der Stuttgarter Zeitung dienen (klick):

Stuttgart – Das Eisenbahnbundesamt hat unter anderem wegen des seltenen Juchtenkäfers bis zuletzt an der Baumfällaktion im Stuttgarter Schlossgarten gezweifelt. In einem Schreiben hatte die Behörde die DB Projektbau aufgefordert, ihr weiteres Vorgehen vor dem Fällen der Bäume aus Naturschutz-Gründen mit dem Regierungspräsidium Stuttgart, der Bezirksstelle für Naturschutz und Landschaftspflege Stuttgart und dem Bundesamt abzustimmen.

Eine Sprecherin der Bahn machte am Samstag jedoch deutlich: „Das Eisenbahnbundesamt hat keinen Stopp der Fällarbeiten verfügt.“ Wenige Stunden bevor am Freitagmorgen die ersten Bäume im Park gefällt wurden, habe es noch Gespräche gegeben, in denen nach dem Schreiben noch offene Fragen geklärt wurden. Der BUND bewertet die Aktion dennoch als illegal.

Im Brief des Eisenbahnbundesamtes vom Donnerstag, der auch der Stuttgarter Zeitung vorliegt, hatte es geheißen: „Im Zusammenhang mit den bevorstehenden Baumfällarbeiten im Schlosspark weise ich darauf hin, dass Sie mit den Baumfällarbeiten nicht beginnen dürfen, bevor diese konkreten Ausführungsunterlagen dem Eisenbahnbundesamt vorgelegt wurden.“

Die Begründung: Ein Gutachten habe ergeben, dass zum Schutz des schwarzen Juchtenkäfers einige Bäume im Mittleren Schlossgarten stehen bleiben oder beispielsweise Käfer samt Larven umgesiedelt werden müssten. Auch Untersuchungen zu Fledermäusen oder zur Hohltaube seien beim weiteren Vorgehen zu berücksichtigen. Das Bundesamt müsse über das weitere Vorgehen im Schlossgarten und am Südflügel bis zu diesem Freitag (8. Oktober) informiert werden, um mögliche Konflikte mit dem Naturschutz beurteilen zu können, heißt es weiter.

Nehmen wir einen kurzen Augenblick an, die Aktion wäre rechtswidrig gewesen, was wäre denn dann?

Dann wäre natürlich auch die Polizeiaktion rechtwidrig, denn die Demonstranten hätten ja nicht nur im Rahmen ihres Demonstrationsrechtes gehandelt, sondern sie hätten ja auch erlaubten Widerstand gegen eine rechtswidrige Aktion getätigt, die zu Gunsten von Privatinteressen und zu Lasten von Eigentum der Allgemeinheit ging.

Und damit wären sämtliche Handlungen der Polizisten rechtswidrig, es entfiele der Rechtfertigungsgrund für die Anwendung von körperlichem Zwang und natürlich auch für die Anwendung von polizeilicher Gewalt.

Und dann würde es darum gehen, wer wann wieviel gewusst hat, um zu unterscheiden, wer straffrei ausgeht, wessen Strafe zu mildern sei und wer die volle – dann unter Umständen auch strafrechtliche – Verantwortung zu tragen hat. Immerhin hätten wir dann tatbestandlich einen ganzen Strauss von Straftatbeständen über Nötigung und Bedrohung bis hin zu gefährlicher und schwerer Körperverletzung.

Aber das ist nur die eine Seite, die andere Seite wäre eine ganz fatale Darstellung unseres Staates, insbesondere dann, wenn die Behörden, die Ministerien oder sogar der Ministerpräsident vor der Aktion Kenntnis von dieser Rechtswidrigkeit gehabt hätten – oder auch nur einen vagen Verdacht: denn dann kehren sich die Ausführungen des Bahnchefs Rüdiger Grube, es handele sich ja nur um ein (letztendlich privates) Bahnprojekt, gegen das ein Widerstandsrecht nicht bestehe (Klick), gegen ihn und gegen die Politiker: denn dann hat der Staat seine Polizei für die Sicherung von Privatinteressen eingesetzt, und dies in Kenntnis (jedenfalls in der Befürchtung) des Umstandes, dass diese – jedenfalls zum Zeitpunkt der Polizeimassnahmen – rechtswidrig war. Kurz gefasst: der Staat schützt den Rechtsbruch eines Einzelnen und verletzt dabei eine Reihe von Grundrechten seine Bürger – Gesundheit, Freiheit, körperliche Unversehrtheit, Demonstrationsrecht.

Nun wäre dies ja nicht die erste Polizeiaktion in letzter Zeit, die im Nachhinein als rechtswidrig angesehen wurde (Klick). Aber immerhin, bei den Massnahmen in Heiligendamm anlässlich des G8-Gipfels, die das Verwaltungsgericht Schwerin am 12. Juli 2010 für rechtswidrig erklärte (Az: 1 A 836/07), wurde ja noch eine Veranstaltung der Bundesrepublik Deutschland geschützt. Dies könnte aber niemand der Handelnden in Stuttgart für sich reklamieren. Natürlich hat der Bau eines Bahnhofs auch gesellschaftlich relevante Bezüge, aber am Ende ist es, so der Bahnchef selber, nur ein Bahnhof…

Das kann also noch spannend werden… immerhin bringt sich die Polizei schon einmal in Deckung (Klick): So jedenfalls kann man die Äusserung aus den Reihen der Polizei-Gewerkschaft verstehen, nach der die Eskalation vorhersehbar war.

„Man kann nicht die Polizei losschicken, um den Platz freizumachen, und nicht gleichzeitig berücksichtigen, dass es zu Tumulten und einer Eskalation der Lage kommt“, sagte der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Joachim Lautensack, in Stuttgart. „Unter realistischen Gesichtspunkten hätte man nicht erwarten dürfen, dass das friedlich von statten geht.“

Ergänzung vom 04.10.2010:

Interessant wird das Schreiben des Eisenbahnbundesamtes jetzt noch in einem anderen Zusammenhang: es sieht inzwischen so aus, als wenn die Bauherrin, die DB Netz AG, und das Regierungspräsidium Stuttgart als zuständige Behörde das Verwaltungsgericht Stuttgart über dieses Schreiben nicht informiert haben. Dort lag am Donnerstag ein Eilantrag des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zum Stopp der Baumfällarbeiten vor, DB Netz AG und Regierungspräsidium bekamen Zeit bis Freitagmittag für Gegenäußerungen – und in der Nacht wurden Fakten geschaffen.

Nun will das Gericht der Frage nachgehen, ob entscheidungserhebliche Informationen im Verlauf des Donnerstagnachmittags dem Gericht nicht vorgelegen haben und es über den Eilantrag des BUND sofort entschieden und die Rodung möglicherweise verhindert hätte, wenn es die Zweifel des Eisenbahnbundesamtes gekannt hätte.

(Klick)


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