Stuttgart 21: War der Juchtenkäfer Chefsache?

Stuttgart 21: War der Juchtenkäfer Chefsache?

© wikipedia.de

Mein gestriger Blogeintrag zu Stuttgart 21 scheint durchaus Interesse gefunden zu haben; jedenfalls hat er eine Reihe von bemerkenswerten Reaktionen ausgelöst, und eine davon lässt die Frage aufkommen, ob schon vor den bedauernswerten Vorkommnissen am 30.09.2010 der Juchtenkäfer und seine Verbreitung Gegenstand intensiver Diskussionen bis hinein in die einschlägigen Ministerien war. Der Juchtenkäfer als Chefsache?

Ich hoffe, ich habe bei Wikipedia den richtigen Käfer ausfindig gemacht: Eremit (Käfer) – Wikipedia. Dieser jedenfalls steht umfassend unter Artenschutz, denn er ist in fast allen Ländern durch Landes- und Bundesgesetze und auf europäischer Ebene durch die FFH-Richtlinie und die Berner Konvention geschützt, auch auf der Roten Liste gefährdeter Tiere Deutschlands findet er sich als Art 2 (stark gefährdet).

Wikipedia weist weiter darauf hin, dass laut der FFH-Richtlinien Gebiete, in denen das Tier vorkommt, als Schutzgebiete auszuweisen seien. Insbesondere seien die Brutbäume der Käfer zu schützen.

Nun, da ist der Aufhänger der baumschützenden Demonstranten in Stuttgart vielleicht doch nicht ganz so allein ein Vehikel, um ein als wirtschaftlich sinnlos gebrandmarktes Grossprojekt zu verhindern – und in jedem Fall ist eine Population der geschützten Juchtenkäfer ein gewichtiger Grund, deren Biotop nicht einfach nieder zu walzen – egal, ob man nun für oder gegen diesen unterirdischen Bahnhof ist.

Immerhin wird dem Artenschutz inzwischen auch europaweit ein beachtliches Gewicht zu gewiesen; zumal das europäische Artenschutzrechtrtenschutzrecht auch unabhängig von einem bereits vorliegenden Planfeststellungsbeschluss wirksam ist. Und laut Artenschutzrecht besteht nicht nur ein “individuenbezogenes“ Verbot der Verletzung bzw. Tötung von Tieren bzw. deren Fortpflanzungsstadien, sondern auch ein Verbot, die „Fortpflanzungs- und Ruhestätten“ zu schädigen oder zu zerstören, sofern sich dieses negativ auf den Erhaltungszustand der „lokalen Population“ auswirkt. Die Erheblichkeitsschwellen für Flächenverluste werden dabei im niedrigen einstelligen Prozentbereich der gesamten Fläche angesetzt.

Dementsprechend sind bei Eingriffen in Populationen streng geschützter Arten vielfach sogenannte vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen (CEF-Maßnahmen) zu treffen und deren Erfolg mittels Monitoring zu belegen – was aber beim an Uraltbäume gebundenen Juchtenkäfer naturgemäß eigentlich nicht leistbar ist. Da müsste man schon die Bäume ausgraben und samt Tieren an einen geeigneten Standort versetzen - natürlich mit Erfolgsgarantie…

Hohe Anforderungen, die hier bei dem Vorliegen einer Juchtenkäferpopulation zu erfüllen gewesen wären – und voraussichtlich gar nicht zu erfüllen waren.

Greifen wir nur eines der vielen Folgeprobleme heraus: der VGH Mannheim hat sich noch intensiv mit der Frage des Grundwassermanagements vor Ort zu beschäftigen, und da wird sicherlich die Frage eine Rolle spielen, wie sich die Verdoppelung der ursprünglich geplanten Grundwasserentnahmemenge auf die Baumbestände im Unteren Stuttgarter Schloßpark auswirken dürfte – und damit auf den Bestand der hier noch vorhandenen Kernpopulation des Juchtenkäfers in Stuttgart. Und da reden wir noch nicht einmal von den Bäumen, die in jedem Fall weg müssen, sondern von denjenigen,die außerhalb des Baufeldes von Stuttgart-21 stehen.

Aus dieser Sicht kann man natürlich sehr leicht nachvollziehen, dass ein überfallartiges Abholzen der Bäume eine nicht unerhebliche „normative Kraft des Faktischen“ für sich hat – was plattgemacht ist, braucht ja nicht mehr geschützt zu werden, oder, wie wir Norddeutschen zu sagen Pflegen: „Was wech is, is wech…!“

Aber man mag es mir verzeihen, ich bin nun wirklich kein Käferfachmann, deswegen komme ich zurück auf die Frage: seit wann beschäftigten sich denn nun hochrangige Ministeriale (bis hin zu Ministern selbst) mit den kleinen Krabbeltieren?

Mir jedenfalls hat jemand, der es eigentlich wissen muss, erzählt, dass drei Tage vor dem 30.9.2010 in der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) in Karlsruhe grosse Aufregung herrschte: In den Morgenstunden hatte sich dort nämlich das Umwelt- und Verkehrsministerium des Landes Baden-Württemberg gemeldet und nachgefragt, was es denn mit dem Juchtenkäfer im Stuttgarter Schlosspark so auf sich habe.

Die zuständigen Mitarbeiter sollen über die Frage sehr verwundert gewesen sein, denn die Vorkommen des Juchtenkäfers auch direkt im Baufeld von Stuttgart 21 seien schon seit dem Jahr 2006 aus dem Artenschutzprogramm Baden-Württemberg bekannt. Und nun ist das Artenschutzprogramm kein Geheimpapier, seine Informationen werden jährlich an die Regierungspräsidien weitergeleitet, und daraus schliesse ich, dass mindestens im Regierungspräsdium Stuttgart spätestens Ende 2007 bekannt war, dass man vor Ort eine Population der stark gefährdeten Juchtenkäfer habe – und zwar in den Bäumen, die für das Grossprojekt Stuttgart 21 abgeholzt werden sollten.

Jetzt stellt sich mir eigentlich nur noch die spannende Frage, wie ging denn die Informationserteilung weiter, d.h., hat die oben erwähnte Landesanstalt diesen Anruf aus dem Ministerium „auf die lange Bank“ geschoben – oder zeitnah beantwortet? Und wenn man die (längst bekannten) Informationen eilig an das Ministerium weitergeleitet hat, sind sie dann dort versandet oder ebenfalls zeitnah an die anderen zuständigen Ministerien weitergeleitet worden – kurz: ist die Bürokratie in Baden-Württemberg so schlecht organisiert, um höchst wichtige Informationen nicht während des Verlaufs von 3 Tagen angemessen zu verteilen und angemessene Schlüsse zu ziehen – oder will man sich jetzt lieber nicht daran erinnern, was man Alles gewusst und vielleicht nachträglich verdrängt hat?

Nun, Stuttgart 21 war und ist in Baden-Württemberg Chefsache (und nicht dort, selbst unsere Kanzlerin war ja mal Befürworterin dieses Projekts – womit ich nicht behaupten will, dass Frau Merkel das immer noch ist, nachdem sie ja inzwischen eine bemerkenswerte Rolle rückwärts in der Atompolitik hingelegt hat) - und dann kann man durchaus überlegen, ob sie auch in den Tagen vor dem 30.09.2010 Chefsache war.

Dies aber würde dem Juchtenkäfer noch eine ganz andere Dimension geben, denn ich kann es nicht als Kleinigkeit empfinden, wenn Polizeiaktionen zum Schutz der Zerstörung einer europarechtlich streng und prioritär geschützten Art mit einem solchen Wissen angeordnet werden. Ich würde mir da doch intensive Aufklärungsarbeit in Stuttgart wünschen.


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