Stuttgart 21: Lehrstück über demokratische Legitimierung

Der Stuttgart-21-Schlichter Heiner Geißler hat sich für einen Weiterbau des Projekts Stuttgart 21 ausgesprochen. Das war ein schlichter Spruch im wahrsten Sinne des Wortes.

Hat wirklich jemand ernsthaft etwas anderes erwartet? Schließlich gibt es für Stuttgart 21 eine Baugenehmigung. Das hat Heiner Geißler heute auch noch einmal betont. Um das herauszufinden, hätte es die Schlichtung allerdings nicht gebraucht. Auch der Schlichter hält es für richtig, das Bahnprojekt zu bauen. Also wird die Bahn den Stuttgarter Hauptbahnhof unter die Erde verlegen und an eine ICE-Neubautrasse nach Ulm anbinden.

Einen landesweiten Volksentscheid über das Milliardenprojekt schloss Geißler auch gleich aus. Allenfalls könnten die Bürger in Stuttgart zu einer Beteiligung der Stadt an einer möglichen Kostensteigerung befragt werden. Einen Kompromiss zwischen Stuttgart 21 und einem Kopfbahnhof könne es nicht geben. Da hat Geißler natürlich recht, wie sollte der auch aussehen? Ein paar Gleise über der Erde, ein paar unter der Erde und ein Bahnhof im Souterrain? Einen überirdischen Durchgangsbahnhof bauen und noch mehr Bäume dafür fällen? Gar Häuser einreißen? Da werden sich mehr Leute auf die Schienen legen, als bei den Anti-Castor-Demos, soviel ist mal sicher.

Ein teurer Abbruch der Bauarbeiten und dann eine komplett neue Planung mit ungewissem Ausgang erscheint derzeit tatsächlich wenig sinnvoll. Das Zugeständnis an die Gegner: Die beim Bau des Bahnprojekts frei werdenden Gleisflächen sollen nach den Worten Geißlers einer möglichen Grundstücksspekulation entzogen und einer Stiftung überschrieben werden. Darüber seien sich Gegner und Befürworter einig. Bei der Nutzung der Flächen müssten Ökologie, Familien- und Kinderfreundlichkeit beachtet werden, auch soll eine Frischluftschneise für die Stadt erhalten bleiben. Wenn das tatsächlich so umgesetzt würde, wäre das schon mal was.

photoPhoto:wuttke09

Das erinnert mich an die Pläne für das Tempelhofer Feld in Berlin. Der ehemalige Flughafen ist derzeit eine wunderbare Spielwiese für

der Berliner, weckt aber natürlich auch andere Begehrlichkeiten. So viele schöne Quadratmeter, die man mit spießigen Townhouses, häßlichen Einkaufszentren und noch mehr öden und blöden Büroflächen zubauen könnte, von denen es in Berlin eh schon mehr als genug gibt. Allerdings hat Berlin, was in und um Stuttgart wirklich knapp ist: Platz. Daher kann man den ganzen Müll auch wo anders hin bauen – und das passiert auch, ich sag nur Potsdamer Platz, Rummelsburger Bucht, Strahlau oder Schlachthofgelände Landsberger Allee.

So viel Flächen haben die Stuttgarter nicht. Insofern war und is

t Stuttgart 21 tatsächlich in erster Linie ein Immobilienprojekt, erst in zweiter Linie ein Projekt für neue Bahninfrastruktur. Wobei hier auch noch zu beweisen ist, dass die neue Infrastruktur tatsächlich besser und leistungsfähiger sein wird als die alte. Durchgangsbahnhof hin oder her, auf den paar Gleisen im Tunnel wird es voll, auch das lässt sich in Berlin studieren. Die Schlichtung sieht auch Änderungen bei den Fluchtwegen und Zugängen zum neuen Tiefbahnhof vor, die Verkehrssicherheit im Bahnhof selbst solle entscheidend verbessert werden. Hoffentlich hat man aus der Massenpanik in jenem Duisburger Tunnel gelernt.

Immerhin gibt es einen Kompromiss im Streit um die Abholzung der Bäume im Schlossgarten: Künftig sollen möglichst keine Bäume mehr gefällt werden. Falls dies noch nötig sei, müssten die Bäume verpflanzt werden. Geißler rechnet damit, dass beim Weiterbau des Bahnprojekts Stuttgart 21 auch die Proteste dagegen fortgesetzt werden. Deshalb müsse es phasenweise auch wieder Schlichtungsgespräche geben, die dann beispielsweise von Bischöfen moderiert werden könnten.

Jedenfalls wird es wirklich spannend, was mit den wertvollen Flächen im Herzen der Baden-Württembergischen Landeshauptstadt tatsächlich passiert. Zu den eigenartigen Immobilien-Geschäften der Bahn gab es vor ein paar Wochen einen wirklich sehr interessanten Artikel in der Jungen Welt, auf den ich an dieser Stelle noch einmal verweisen möchte.

Wer sich die Argumente der Gegner noch einmal geballt zu Gemüte führen möchte, kann auch zu „Stuttgart 21 – Die Argumente“ greifen, so heißt das Buch zum Protest, das bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist. Der Krimi-Autor Wolfgang Schorlau hat auf 250 Seiten die Argumente der Gegner zusammengetragen. Kernstück der Kritik dürfte der Aufsatz von Klaus Arnoldi sein. Arnoldi ist Vorstandsmitglied des Verkehrsclubs Deutschland und hat das Konzept K21 zum Erhalt des Kopfbahnhofes ausgearbeitet. Er erklärt sehr genau, was die Politik bei der Planung von Stuttgart 21 war und ist: „Die Planfeststellungsverfahren hatten nur ein Ziel: Stuttgart 21 durchzusetzen. In der Bürgerbeteiligung konnten nur noch Details zu Stuttgart 21 diskutiert werden.“

Arnoldi beschreibt zutreffend, dass es bei der demokratischen Legitimierung solcher Projekte genau um das Gegenteil dessen geht, was die Bezeichnung „demokratische Legitimierung“ suggerieren soll: Das Verfahren zur Planfeststellung ist nämlich da, um Baurecht zu schaffen. Um eine ernsthafte Abwägung von möglichen Alternativen geht es dabei überhaupt nicht. Die so genannte Bürgerbeteiligung ist immer nur die Garnitur, da können Bürger allenfalls noch Wünsche äußern, wo ein Blumenkübel aufgestellt werden kann, oder wie hoch der Zaun um das Hunde-Auslaufgelände neben dem Spielplatz sein soll. Das kenne ich auch aus den Bürgerbeteiligungsrunden bei irgendwelchen Stadterneuerungs-Projekten in Berlin. Bei Stuttgart 21 hat man die Bürgerbeteiligung im Grunde erst jetzt bei den Schlichtungsgesprächen eingeführt, was natürlich viel zu spät ist, um auch nur den Anschein zu wahren, dass die Interessen der Bürger tatsächlich irgendeine Rolle spielen. Deshalb ging es auch nicht ohne Zugeständnisse an die S21-Gegner ab, obwohl die sicherlich nicht glücklich sein dürften. Trotzdem ist das Ergebnis mehr als nichts – wenn auch nicht viel mehr.


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