Wandelt man durch die sozialen Medien, stolpert man häufig über Kommentare, die man wohl dem Konzept der „Stutenbissigkeit“ zuordnen kann. In diesem Artikel möchte ich mich damit auseinandersetzen, warum es diese Frau-gegen-Frau-Dynamiken überhaupt gibt und wie man sie durchbrechen kann.
An dieser Stelle möchte ich nochmal darauf hinweisen, dass es sich hierbei um einen Kommentar handelt.
Stutenbissigkeit: Ein altbekanntes Phänomen
Wikipedia erklärt Stutenbissigkeit so:
„Die Stutenbissigkeit ist ein deutsches Geschlechterrollen-Stereotyp aus dem Mittelalter, das das Verhalten von Frauen als Akteurinnen in offenen Konflikten mithilfe einer Tiermetapher abwertet.
Im heutigen Sprachgebrauch verweist der Begriff auf geschlechtsspezifisch unterschiedliches Kooperationsverhalten, das zuweilen bei Menschen festgestellt wird.“
In dieser Definition stecken schon eine Menge Konzepte, auf die ich noch eingehen werde. Zunächst zum letzten Teil der Definition (ist hier Platz für einen Das-Pferd-von-hinten-aufzäumen-Wortwitz?): Die Fortsetzung eines uralten Verhaltensmusters in die heutige Zeit.
Ich möchte ein Beispiel nennen, bei dem mir das aufgefallen ist und das mich veranlasst hat, diesen Artikel zu schreiben. Eine Werbung des Sportbekleidungsherstellers Fabletics ist in meinem Facebook-Feed aufgetaucht. Auf dem Werbebild waren Beine und Pos von vier Damen in Sport-Leggins abgebildet, alle viere hatten einem anderen Figur-Typ (hinsichtlich des Themas Bodyshaming sehr vorbildlich, wie ich finde). In den Kommentaren unter der Werbung wurden allerdings nicht nur die Leggins oder die Firma diskutiert, sondern auch die Damen, die in den Hosen steckten. Von Kommentaren in Richtung „Wer so fett ist, sollte echt keine Leggins tragen“ über „Die eine hat ja einen knochigen Arsch“ bis „Ich finde die da ist am besten gebaut“ war alles dabei.
Darüber habe ich mich sehr gewundert. Woher kommt dieser Drang zum Vergleichen und Abwerten, das bei Frauen gegenüber Frauen „zuweilen festgestellt wird“? Darüber stellt sich natürlich auch die Frage: Warum agieren Frauen da anders als Männer?
Zicken und Machtstrukturen
Wikipedia nennt „Zickenkrieg“ als ein Synonym für „Stutenbissigkeit“ und definiert dabei gleich mal das Wort Zicke. Interessant dabei ist dieser Auszug:
„Mit der Abwertung als ‚Zicke‘ werden Frau folgende Verhaltensweisen zugeschrieben: überspannt, launisch, eigensinnig, selbstverliebt, spitz, neidisch, eifersüchtig, arrogant und/oder ungerecht sein.“
Dass diese Verhaltensweisen sich in einem Schimpfwort speziell für Frauen manifestieren, ist in einer Kultur begründet, die Mädchen und Frauen als passiv sieht, Jungen und Männer dagegen als aktiv und als Akteure in Konflikten. Die Attribute „eigensinnig“ oder „selbstverliebt“ werden bei Männern deshalb auch nicht so stark abgewertet, wie bei Frauen. Wissenschaftlich ausgedrückt klingt das so:
„Die Tabuisierung und fehlende Akzeptanz von Frauen (Mädchen) als legitimen Akteuren in Konflikten behindert zugleich eine Kooperation mit Frauen (Mädchen) auf gleicher Ebene oder auf Führungsebene. (…) Dies lässt sowohl für Frauen (Mädchen) als auch für Männer (Jungen) einen schwer zu lösenden Zwiespalt im Umgang mit Frauen (Mädchen) als machtvollen Akteuren sowohl in Konkurrenz als auch in Kooperation entstehen.“
(aus Désirée Waterstradt: Prozess-Soziologie der Elternschaft. Nationsbildung, Figurationsideale und generative Machtarchitektur in Deutschland, Münster 2015.)
Treten Frauen also entgegen aller Erwartungen aktiv auf, wird es für alle Beteiligten kompliziert. Um Titulierungen wie „Zicke“, oder eben Zuschreibungen wie „arrogant“ oder „selbstverliebt“ zu entgehen, versuchen viele Frauen lieber, der passiven Rolle zu entsprechen.
Anerkennung durch das Abwerten von anderen
Ein Teil der passiven Rolle ist auch die Erwartung an Mädchen und Frauen, ihre Anerkennung von anderen zu erhalten, und nicht selbst ihre Vorzüge in den Vordergrund zu stellen. Wer sich für hübsch hält oder seine eigenen Leistungen lobt, fällt dann schnell in das Zicken-Schema: eigensinnig, selbsterverliebt und arrogant.
Die Konsequenz daraus: Wenn Frauen sich nicht selbst aufwerten dürfen, werten sie andere ab. Und da ist sie dann, die Stutenbissigkeit.
Das kann ganz unterschiedliche Formen annehmen. Es werden Lebensweisen, Charaktereeigenschaften, das Gerechtwerden von Rollen oder die äußere Erscheinung diffamiert. Hier ein paar nette Beispiele von Facebook:
Aber was hilft? Wie kann man aus diesem Kreislauf „Ich kann/darf mich nicht selber wertschätzen, deswegen mache ich andere runter“ ausbrechen? Die Antwort ist: Radikale Selbstliebe.
Selbstliebe ist nicht Selbstverliebt
Selbstliebe oder Selflove ist ein Trend, der im Moment vor allem in feministischen Medien Auftrieb erhält. Der Gedanke ist, sich aus den alten, passiven Strukturen zu lösen und Anerkennung nicht nur von anderen zu erhalten, sondern sie sich selber zu geben.
Was Selbstliebe nicht ist:
- Arroganz. Denn bei Arroganz schwingt immer die Assoziation mit, dass man sich für besser als andere hält. Man kann natürlich verschiedene Menschen lieben – Familienmitglieder, Freunde den/der/die Partner – warum nicht auch zusätzlich sich selbst?
- Sich für Perfekt halten. Man kann Fehler haben und sich trotzdem lieben. Andere Menschen, die man liebt, liebt man schließlich auch trotz oder gerade wegen ihrer Fehler.
Die Effekte von Selbstliebe sind:
- Zu erkennen, dass man sich nicht mit anderen vergleichen muss, um zu sehen, was an einem selber gut oder liebenswert ist. Ich habe dazu mal einen Beitrag gelesen, der für mich wegweisend war:
- Andere zu akzeptieren. Denn wenn ich niemanden mehr abwerten muss, um mich selber zu mögen, kann ich die Vorzüge der anderen inspirierend und vor allem einfach schön finden.
Ich muss nicht mehr neidisch auf die Klamotten/Haare/Hautfarbe/Charakterzüge anderer sein. Ich muss nicht mehr hervorheben, wie mich der Lebensstil anderer Personen stört, um meinen Lebensstil als den Richtigen hervorzuheben (die ist küntslich/ die sieht aus wie ein Mann/ die ist schlampig/ die ist prüde/ die ist langweilig/ …) - Man selbst sein. Denn wenn ich mich selber liebe und nicht mehr auf die Anerkennung anderer angewiesen bin, kann ich genau das machen/sein/anziehen, was ich möchte.
Denken wir doch einmal darüber nach, was wäre, wenn Frauen sich gegenseitig unterstützen würden, anstatt sich niederzumachen. Lassen wir doch die Stutenbissigkeit als überholtes Konzept im Mittelalter, wo es hingehört.
Advertisements &b; &b;