Der Einstand für Hayao Miyazakis Sohn Goro kommt recht imposant inszeniert daher, auch wenn viele Die Chroniken von Erdsee als einen der schwächeren Filme des Studio Ghibli ansehen, so übt er doch gerade durch seine städtische und landschaftliche Gestaltung einen hohen Reiz aus.
Wenn der Film beginnt, finden wir uns in einer mittelalterlichen Kulisse am Meer wieder. Hier ragt ein hoher Torbogen in einer Stadt empor, an dem die Kamera bis hoch oben hinauffährt. Dort erscheint ein riesiger Palast in der Ferne, der Innenraum, eine ebenso umfangreich gestaltete Halle, in der ein erhabener Kronleuchter als Deckenschmuck fungiert. Die Regenten der Stadt sitzen um eine Tafel versammelt, besprechen sich über die Hungersnot im Lande, über die Armut der Bauern und einen Drachenangriff. Goro Miyazaki entführt uns in ein phantastisches Mittelalter-Setting, ohne die fantasievollen Gedankenspiele seines Vaters, sondern strikt an mittelalterlichen Mythen orientiert, vorzugsweise den Drachen.
Ein alter Mann erklärt vor den versammelten Mannen und uns als Zuschauern, dass beobachtet wurde, wie zwei Drachen sich gegenseitig bekämpft hätten. Ein Anzeichen dafür, dass die Dunkelheit an Macht gewinnt. Das muss verhindert werden. Auftritt des Protagonisten Prinz Arren, einem 17 Jahre jungen Burschen, der sich mit dem Magier Sperber (auch als Ged bekannt, je nach Synchronisation) anfreundet und deren gemeinsame Reise wir begleiten.
Doch der imposanteste Anblick bleibt die Küstenstadt Hort. So detailreich, unglaublich groß wurde dieses Panorama einer Stadt gezeichnet, gepaart mit epochaler Musik von Tamiya Terashima. In dieser Kulisse zeigt sich das schöne, bunte Treiben des Lebens ebenso wie der Sklavenhandel und die Armut. Hier sitzen Bettler und Drogenabhängige in der Gosse, hier tobt der Handel, immerzu ist Trubel. Es ist eine meisterwerklich geschaffene Großstadt.
Fernab dieser hektisch anmutenden Menschenmassen zeigt Die Chroniken von Erdsee auch das Gegenteil. Außerhalb dieser Stadt sind die Landschaften fast wie Gemälde gezeichnet. Von ihnen geht eine Ruhe aus, die sich auf die eigentliche Handlung überträgt. Sie wird mit aller Ruhe erzählt. Gemeinsam mit Sperber und Arren ziehen wir durch die Welt, erfahren ebenso langsam wie diese beiden Wanderer, was in der Welt von Erdsee vor sich geht: ein Zauberer hat das Tor zwischen der Welt der Lebenden und der Toten geöffnet und holt gegen Bezahlung Seelen aus der Unterwelt zurück.
Und so simpel diese Geschichte gestrickt sein mag, so geradlinig erzählt, so sehr gewinnt der Film doch gerade durch seine langsame Erzählung und die überaus detailreichen Zeichnungen an Profil, markieren einen eigenen Stil für Goro Miyazaki, der Thematiken und Motive seines Vaters übernimmt, sich aber auch selbst darzustellen weiß.
Die Chroniken von Erdsee mag manch einer als den schwächsten Film ansehen, aber eigentlich ist er einfach nur der am meisten unterschätzte Film des Studio Ghibli.
Die Chroniken von Erdsee
115 Minuten, freigegeben ab 6 Jahren
Regie: Goro Miyazaki; Drehbuch: Goro Miyazaki & Keiko Niwa
im Netz: Die Chroniken von Erdsee bei Universum Film
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