Studie zieht einseitige Schlüsse

Fotoquelle: medienwerkstatt-online.de

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Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (kfn) ver­öf­fent­lichte Anfang April das Ergebnis einer Studie zum Thema “Christliche Religiosität und elter­li­che Gewalt“. Wichtigstes Ergebnis: In evan­ge­li­ka­len Familien wer­den Kinder sehr viel häu­fi­ger geschla­gen als in katho­li­schen oder evan­ge­li­schen.

von Katharina Micada

Als Nebenergebnis wird erwähnt, dass sich in katho­li­schen und evan­ge­li­schen Familien eine inten­si­vere Religiosität eher hem­mend auf die Gewalttätigkeit der Eltern aus­wirkt. Doch die Zahlen spre­chen eine andere Sprache.

Das Forschungsinstitut kon­sta­tiert:
“In katho­li­schen Familien, in denen die Eltern keine Akademiker sind und in denen ein nicht reli­giö­ses Elternhaus vor­liegt, berich­ten 14,3 % der Befragten von schwe­rer elter­li­cher Gewalt; in Familien, in denen das Elternhaus sehr reli­giös ist, liegt der Anteil bei 11,8 %. Mit zuneh­men­der Religiosität geht die Erfahrung schwe­rer elter­li­cher Gewalt in katho­li­schen Familien also leicht zurück.” (S.7)

Anschließend wird behaup­tet, dass für evan­ge­li­sche Familien ein ähn­li­cher Zusammenhang fest­stell­bar sei, abge­se­hen von den nicht-akademischen Familien. Wirft man aber einen Blick in die ent­spre­chende Statistik (Abb.4), so wird klar, dass nicht nur in den nicht-akademischen, son­dern in allen evan­ge­li­schen Familien die schwere Gewalt mit zuneh­men­der Religiosität deut­lich zunimmt, näm­lich von 12,4 % (nicht reli­giös) auf 16,8 % (sehr reli­giös). In den nicht-akademischen Familien gab es dage­gen eine Steigerung in der aus­ge­üb­ten schwe­ren Gewalt von 13,4 % (nicht reli­giös) auf 16,9 % (sehr reli­giös). Da der Unterschied bei allen evan­ge­li­schen Familien 4,4 % beträgt, bei den nicht-akademischen Familien aber ledig­lich 3,5 %, muß dar­aus geschlos­sen wer­den, dass die Gewalt in evan­ge­li­schen Akademiker-Familien mit zuneh­men­der Religiosität noch stär­ker zunimmt als bei Nichtakademikern.

Gleiches trifft auf die katho­li­schen Akademikerfamilien zu, deren Gewaltverhalten bei zuneh­men­der Religiosität der­ma­ßen stark ansteigt, dass in der Gesamtstatistik ledig­lich ein Rückgang schwe­rer Gewalt von 1,7 % (im Vergleich zu 2,5 % bei den Nichtakademiker-familien) zu ver­zeich­nen ist.  Diese Tatsachen wer­den im Ergebnisbericht ver­schwie­gen.

Verschwiegen wird auch, dass das gesamte Ausmaß an Gewalt – also leichte und schwere zusam­men­ge­rech­net – mit zuneh­men­der Religiosität sowohl bei katho­li­schen Familien (von 57,3 % bei nicht­re­li­giö­sen auf 58,5 % bei sehr reli­giö­sen Familien) als auch bei evan­ge­li­schen Familien (von 58,2 % bei nicht-religiösen auf 61,1 % bei sehr reli­giö­sen Familien) zunimmt. Und das fast dop­pelt so stark bei evan­ge­li­schen (2,9 %) als bei katho­li­schen Familien (1,5 %).

Insofern stimmt die­ser Satz aus der Studie nicht:
“Während für katho­li­sche und evan­ge­li­sche Familien fest­ge­hal­ten wer­den kann, dass eine stär­kere Religiosität die Anwendung inner­fa­mi­liä­rer Gewalt ten­den­zi­ell unwahr­schein­li­cher macht, gilt für die frei­kirch­li­chen Familien, dass mit zuneh­men­der Religiosität die inner­fa­mi­liäre Gewalt steigt.”
Hier müsste auch deut­lich zwi­schen evan­ge­li­schen und katho­li­schen Familien unter­schie­den wer­den, denn die Ausgangsfrage hieß: ”Unterscheiden sich Katholiken, Protestanten und Angehörige der evan­ge­li­schen Freikirchen hin­sicht­lich der erleb­ten Erziehungserfahrung, ins­be­son­dere hin­sicht­lich der Erfahrung inner­fa­mi­liä­rer Gewalt?”

Es steht zu ver­mu­ten, dass es in evan­ge­li­schen Kreisen eine gegen Kinder gerich­tete Gewalttradition gibt, der Urvater Luther ganz wesent­li­che Impulse gege­ben hat. Diese Tradition scheint sich auch bei den evan­ge­li­ka­len Familien fort­zu­set­zen.

Das Ergebnis der Erwachsenenbefragung des KFN von 2011, die ähn­li­che Fragestellungen hatte, wird zitiert mit: “Bei den katho­li­schen und evan­ge­li­schen Befragten fin­det sich dage­gen kein Zusammenhang zwi­schen der Stärke der reli­giö­sen Bindung und den inner­fa­mi­liä­ren Gewalterfahrungen.”

Besieht man sich die Zahlen der ent­spre­chen­den Statistik genau (S.8, Abb. 5), so ist fest­zu­stel­len, dass umge­kehrt zum Ergebnis der aktu­el­len Studie die Gesamtgewalt in katho­li­schen Familien mit zuneh­men­der Religiosität ein­deu­tig zunimmt (von 43,7 % bei nicht oder etwas reli­giö­sen Familien auf 46,2 % bei sehr reli­giö­sen Familien), wäh­rend sie bei evan­ge­li­schen Familien nur gering­fü­gig ansteigt (46 % zu 46,6 %). Ein Unterschied von 2,5 % war den Kriminologen bei der aktu­el­len Befragung noch eine Erwähnung wert gewe­sen.

Die aktu­elle Studie kommt zu dem “über­ra­schen­den” Ergebnis, dass die Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen mit zuneh­men­der Religiosität abnimmt.
Viel mehr über­rascht wäre die Forschergruppe, wenn sie genau die­sel­ben Jugendlichen etwa 10-15 Jahre spä­ter nach ihrem Gewaltverhalten inner­halb der Kindererziehung befragte und fest­stel­len müsste, dass diese Eltern genau so gewalt­tä­tig sind wie andere Eltern bzw. mit zuneh­men­der Religiosität sehr wahr­schein­lich noch gewalt­tä­ti­ger.

Über­rascht waren die Forscher auch, dass Jugendliche mit frei­kirch­li­chem Hintergrund ten­den­zi­ell weni­ger gewalt­tä­tig waren, obwohl sie sta­tis­tisch gese­hen mehr fami­liäre Gewalt erlebt hat­ten. Erklärt wird die­ses Phänomen mit der stär­ke­ren sozia­len Kontrolle inner­halb die­ser Religionsgemeinschaften, der Angst vor Strafen bei Fehlverhalten und einem grund­sätz­lich ängstlich-angepassteren Verhalten.

Mit glei­cher Begründung lässt sich erklä­ren, warum evan­ge­li­sche und katho­li­sche Jugendliche laut die­ser Statistik ebenso weni­ger gewalt­be­reit sind, je reli­giö­ser sie sind. Das betrifft beson­ders die streng reli­giö­sen katho­li­schen Jugendlichen, die die nied­rigste Gewalttätigkeit auf­wei­sen. Im Katholizismus exis­tiert immer noch die Drohung von Höllenstrafen bei Fehlverhalten, die auf Jugendliche beson­ders abschre­ckend wirkt.

Katharina Micada

Die Studie läßt sich hier nach­le­sen.


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