Mein Deutschkurs am Montagmorgen ist inzwischen auf vier Teilnehmer geschrumpft. Vorgestern hatte eine Teilnehmerin ein Vorstellungsgespräch, eine andere wartete eine Stunde lang auf ihren Bus und kam erst kurz vor Ende der Doppelstunde an, und der einzige männliche Teilnehmer ist sowieso recht unzuverlässig. Also war nur Caridad da, eine schon etwas ältere Dame, die Deutsch lernt, um sich mit ihren Enkeln unterhalten zu können. Während wir warteten, nutzten wir die Gelegenheit, um uns etwas über ihre Familie zu unterhalten. Dass die Tochter in Köln wohnt, wusste ich schon, denn die Übungen aus dem Lehrbuch, an denen wir gerade sind, spielen in Köln. Aber von ihrem Sohn hatte sie noch nicht erzählt. Er hat hier in Kuba Kernkraft-Ingenieur studiert, jetzt arbeitet er in Deutschland – bei E.on. „Aber er will dort aufhören, weil er es nicht gut findet, dass das Unternehmen politisch so viel Einfluss nimmt.“ Auf Kuba gibt es zum Glück weder Erdbeben, noch Tsunamis noch Kernkraftwerke. Trotzdem lässt mich das Thema in den letzten Wochen nicht los, schließlich bin ich auch Physiklehrer. Werden mich ehemalige Schüler irgendwann fragen, warum ich sie nicht ausreichend vor den Gefahren der Kernkraft gewarnt habe ? Über Tschernobyl haben wir immerhin im Unterricht gesprochen, aber damals glaubte ich noch, dass deutsche Atomkraftwerke grundsätzlich sicherer wären als sowjetische. Heute bin ich überzeugt, dass deutsche Atomkraftwerke nicht sicherer sind als japanische – Tsunamis gibt es in Deutschland zwar nicht, aber Situationen, mit denen deutsche Ingenieure vorher nicht gerechnet haben, kommen auch in Deutschland von Zeit zu Zeit vor.
Strom 1
Autor des Artikels : rsk6400
Zum Original-ArtikelErlebnisse eines deutschen Mönchs im Alltag auf Kuba.