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Nein, es ist keine Einsicht eingekehrt bei der BKK vor Ort, die Betriebskrankenkasse, die die Dräger & Hanse BKK übernommen hat und deswegen nun den Streit mit der Landesinnung für Orthopädie-Schuhtechnik Nord um einen neuen Vertrag zur Versorgung der Versicherten nach PG 31 führt ; und aufgrund dieser fehlenden Einsicht musste nun das Sozialgericht Lübeck am 05.07.2011 im einstweiligen Rechtsschutz einen Beschluss verkünden, um übergangsweise den Betrieben der Landesinnung Nord den Versorgungszugang bis zur Entscheidung in der Hauptsache – oder einer anderweitigen Entscheidung im Rechtsbehelfsverfahren – zu ermöglichen.
Letztendlich handelt es sich bei dieser Entscheidung um einen weiteren Etappensieg der Landesinnung Nord in ihrem derzeit einsamen Kampf gegen die Vertragswillkür der Kassen – während sich andere Landesinnungen wie zB. diejenige in Nordrhein-Westfalen lieber im vorauseilenden Gehorsam auf durch die Krankenkassen einseitig zu Lasten der Leistungserbringer vorgeschriebene Klauseln einlässt, die das Bundesversicherungsamt als rechtswidrig ansieht – und sich die Bundesvereinigung, der Zentralverband für Orthopädieschuhtechnik (ZVOS), in vornehmer Zurückhaltung übt.
Nun, der einsame Kampf der Landesinnung Nord wird ja nicht erst seit gestern geführt, und er muss geführt werden gegen die City BKK und die BKK vor Ort. Aber es ist zu vermuten, dass diese Auseinandersetzung bei vielen Krankenkassen mit sehr, sehr grossem Interesse verfolgt wird. Und deswegen verweise ich für den Hintergrund des derzeitigen Prozesses hierauf:
Aktuell erliess nun das Sozialgericht Lübeck eine weitere Entscheidung, die auch die BKK vor Ort dazu verpflichtet, die Betriebe der Landesinnung Nord zur Versorgung der Versicherten im Rahmen der PG 31 auch ohne Unterzeichnung eines Vertrages zuzulassen – also ohne Unterzeichnung eines Vertrages, der überdie GWQ plus und die AGOS begründet wurde, und der nun ohne weitere Verhandlungen mit der Landesinnung Nord einseitig den dort organisierten Betrieben auferlegt werden sollte.
Man mag es an dieser Stelle übrigens als eine besondere Randnotiz zur Kenntnis nehmen, dass auch in diesem von der Landesinnung Nord massiv bekämpften Vertrag – mal wieder – die „Interessen“Vertretung der OST im Lande NRW über die Arbeitsgemeinschaft Orthopädieschuhtechnik“ (AGOS) eine mehr als unglückliche Rolle spielt…
Die Begründung des Beschlusses orientiert sich an dem Beschluss des LSG Schleswig-Holstein, geht aber durchaus in seiner Prägnanz wohltuend darüber hinaus und fußt auf folgenden Grundsätzen:
- Der Anordnungsgrund sei gegeben, weil es der Landesinnung Nord nicht zumutbar sei, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, ob nun ein Schlichtungsverfahren zwschen ihr und der BKK vor Ort durchzuführen sei oder nicht. Sie, die Landesinnung, sei ohne eine Wiederherstellung der Liefermöglichkeit der von ihr vertretenen Betriebe nicht mehr in der Lage, die Interessen ihrer Mitglieder angemessen zu vertreten. Zur Begründung bezog sich das SG Lübeck auf das Rundschreiben des BVA vom 28.12.2010 und die dort angeprangerten mannigfaltigen Versuche der Krankenkassen, ihre Verhandlungsposition rechtsmissbräuchlich auszunutzen.Schliesslich habe der Leistungserbringer grundsätzlich ein Verhandlungs- und Beitrittsrecht zu einem Vertrag, nicht aber eine Beitrittspflicht ohne angemessene Vertragsverhandlungen.
- Besonders würdigte das Gericht den Umstand, dass sich die Mehrheit der Betriebe im Bereich der Landesinnung Nord solidarisch und einig zeigten: dieüberwiegende Mehrheit der Betriebe habe sich nicht in den Vertrag pressen lassen – Einigkeit, Zähigkeit und Mut machen also nicht nur stark, sondern können sogar erfolgreich sein.
- Das Gericht übersah übrigens nicht, dass diese Eilentscheidung ein Stück die Hauptsache vorwegnehmen würde – aber rechtfertigte dies mit nicht weniger als einem verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgut aus Art. 19 IV GG: anderweitig sei ein effektiver Rechtsschutz nicht erreichbar, und das Fehlen eines solchen sei der Landesinnung nicht zumutbar.
- Ein Anordnungsanspruch sei auch gegeben, da die vorliegende vertragliche Vereinbarung zwischen der Landesinnung Nord und der Rechtsvorgängerin der BKK vor Ort, der Dräger & Hanse BKK, regele verbindlich ein Schlichtungsverfahren für den Fall der Kündigung des Vertrages und eines anschliessenden Scheiterns von Vertragsverhandlungen. Und dabei sei es völlig unerheblich, wer die Vertragshandlungen habe scheitern lassen. Ebenso eindeutig sei es, das zwischen der Landesinnung Nord und der Kasse ein Vertrag – notfalls im Wege der Schlichtung – auszuhandeln sei und nicht einseitig diktiert werden könne.
Klare, eindeutige Worte des Sozialgerichts in Lübeck.
Denken wir einenAugenblick über die Folgen dieses Beschlusses nach:
- Die betroffenen Krankenkassen sollten nun endlich zurückkehren auf den Boden der Rechtsstaatlichkeit und sich dem vertraglich vereinbarten Procedere einschliesslich des Schlichtungsverfahren unterwerfen.
- Die Interessenvertreter der Leistungserbinger, konkret der ZVOS und seine strategischen Partner, sollten endlich aufhören, den Kopf in den Sand zu stecken und allenfalls Gesprächsrunden zu moderieren. Sie sollten anfangen, ihre eigentliche Aufgabe wahrzunehmen, nämlich die Interessen der Leistungserbringer zu vertreten und dabei Vertragsverhandlungen „auf Augenhöhe“ mit den Krankenkassen zu führen – oder zur Seite treten und die Verhandlungen denjenigen überlassen, die sich trauen, den Streit mit den Kassen um faire und angemessene Verträge zur Versorgung der Versicherten zu führen.
- Und dem Innungsverband für Orthopädie-Schuhtechnik Nordrhein-Westfalen und seiner „Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ AGOS wird dringend geraten, sich aus dem Vertragsgeschäft heraus zu halten, jedenfalls dann, wenn ihnen mal wieder Verträge zur anscheinend kommentarlosen Unterschrift vorgelegt werden, welche Klauseln enthalten, die für die Leistungserbringer mehrheitlich negativ und vom BVA als rechtswidrig bezeichnet worden sind. Nicht nur denjenigen, der zu spät kommt, bestraft das Leben.
- Und der AOK Rheinland/Hamburg sei gesagt, dass auch ihr Vertrag mit der Landesinnung Nord eine Schlichtungsklausel enthält – und die Betriebe, die in der Landesinnung Nord organisiert sind, werden den vom Innungsverband in NRW mit der AOK Rheinland/Hamburg genau so wenig klaglos akzeptieren, wie sie dies mit dem GWQ plus-Vertrag getan haben. Ernsthafte Vertragsverhandlungen wären also dringend notwendig.
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Der Beschluss des Sozialgerichts Lübeck im vollen Wortlaut: