Von der Britanniahütte auf einen Ski-Viertausender par excellence!
Irgendetwas reißt mich aus dem Schlaf. Ich kann nicht genau sagen was, aber es ist das ungute Gefühl, verschlafen zu haben. Im Halbdunkel taste ich nach meiner Uhr, führe sie wegen meiner Kurzsichtigkeit bis knapp vor die Nasenspitze und strenge meine Augen an, bis die unscharfen Zahlen Kontur annehmen. 06:15 Uhr. Wir sollten uns längst auf unserer Skitour aufs Strahlhorn (4.190 m) befinden.
Ich packe Toms Schulter und schüttle ihn kräftig – er ist genauso verwirrt wie ich. Über eine Stunde haben wir verschlafen. Oder konkreter ausgedrückt: wir wurden schlafen gelassen. Denn die Belegschaft der Britanniahütte hat vergessen, uns zum Frühstück zu wecken. Unsere übrigen sechs Zimmergenossen verzichten heute allesamt auf eine Tour und wollen länger liegen bleiben.
Wir eilen in den Frühstücksraum, in der Hoffnung, noch Kaffee und Müsli zu bekommen. Man ist einsichtig und entschuldigt sich für den Fehler. Kein Stuhl neben uns ist mehr besetzt. Das Klimpern von Karabinern, Eisschrauben und Pickeln ist verstummt. Wir sind die letzten in der Hütte und genießen die Stille.
Eine Stille, die uns auch draußen mit kühler Morgenluft ins Gesicht schlägt. Die anderen Skitourengeher sind bereits weit voraus. Fast sind wir dankbar über den stressfreien Morgen. Wäre da nicht die Tatsache, dass um 11 Uhr eine Schlechtwetterfront eintreffen soll. Wir wollten den Gipfel des Strahlhorns bei Sonnenstein erreichen – dazu müssen wir jetzt einen Zahn zulegen.
Die Britanniahütte oberhalb von Saas-Fee im Schweizer Wallis. Der perfekte Ausgangspunkt für mehrere 4.000er-Besteigungen.Verschlafen: Verspäteter Aufbruch zum Strahlhorn
Direkt von der Eingangstür der Britanniahütte fahren wir 150 Höhenmeter Richtung Allalingletscher ab. Als wir auffellen, ziehen die Bergdohlen über unseren Köpfen gerade die ersten Erkundungsflüge des Tages. Der Wind wird uns heute nicht auf den Gipfel tragen. Die knapp neun Kilometer im Aufstieg müssen wir uns Schritt für Schritt erarbeiten.
Vor uns breitet sich ein weites Gletscherbecken aus. Zäh schiebt die Gletscherzunge Eis und Schnee vom Adlerpass talwärts. Ihr Verlauf ist flach – nur zweimal fällt sie über sanft geschwungene Kuppen ab.
Morgenstimmung auf der Britanniahütte.Die Skitour auf das Strahlhorn ist eine der einfachsten 4.000er-Besteigungen der Schweiz. Für Anfänger ist das vergletscherte Horn bei guten Verhältnissen ein nicht zu schwieriger Einstieg in die hochalpine Welt der Westalpen. Ins Schnaufen kommst du hier höchstens wegen der Länge der Tour und der Höhenlage.
Die besten Verhältnisse erwischt man meist im Frühjahr. Die Britanniahütte erreichst du von Saas-Fee aus schnell über das Skigebiet. Sie ist der ideale Stützpunkt für weitere 4.000er-Touren wie das Rimpfischhorn, das Allalinhorn oder den Alphubel.
Skitour aufs Strahlhorn: Wir gegen die Südströmung
Der Weg führt uns am Fuße des Allalinhorns und des Rimpfischhorns auf den Adlerpass und von dort aus weiter zum Gipfel des Strahlhorns. Wenn die Schneeverhältnisse passen, musst du die Skier erst an einer kleinen Felsstufe wenige Meter unterhalb des Gipfels ausziehen.
Strahlhorn (links), Rimpfischhorn und Allalinhorn. Dazwischen der flache Allalingletscher.Nach der kurzen Abfahrt von der Hütte halten wir uns in Aufstiegsrichtung am rechten Rand des Gletschers. Neben uns ragt die steile Südostwand des Allalinhorns empor. Weiter vor uns das Rimpfischhorn, auf dem wir gestern bei traumhaftem Wetter stehen durften. Am Ende des Gletschers sitzt das Strahlhorn, das gerade von den ersten Sonnenstrahlen des Tages erleuchtet wird und seinem Namen voll gerecht wird.
Lang und flach ist der Aufstieg auf das Strahlhorn.Der Gipfel scheint ewig weit entfernt zu sein. Ich bin froh, dass ich mich für die Rennskier entschieden habe – fast ohne Widerstand gleiten die Rennfelle über die Schneeoberfläche, auf der sich in den letzten Tagen sogar ein paar Zentimeter Pulverschnee angesammelt haben.
Im flachen Gelände rutschen die Meter schnell dahin. Nur, wo wir die 1.400 Höhenmeter bis zum Gipfel einsammeln sollen, erschließt sich mir beim Anblick der Route vor uns nicht. Geht’s hier irgendwann auch bergauf?!
Am Fuße des Rimpfischhorns wartet der erste etwas steilere Anstieg.Von Süden ziehen erste Schleierwolken auf – die Vorboten des Wetterumschwungs. Wir versuchen, das zügige Tempo zu halten. Durch die schnellen Schritte und das flache Gelände scheuert meine rechte Ferse unangenehm am Innenschuh. Lange ignoriere ich die schmerzende Blase. Aber nach vier Kilometern kann ich keinen Augenblick der Tour mehr genießen. Wir stoppen. Ich ziehe Schuh und Socke aus und klebe mehrere Schichten Tape über die offene, kreisrunde Stelle. Der Druckschmerz ist weg, der Spaß an der Tour zurück.
Tape – die Wunderwaffe gegen Blasen.Irgendwann geht’s doch bergauf
Das Allalinhorn tritt nach hinten ab, dafür erreichen wir jetzt die Ausläufer der Ostwand des Rimpfischhorns. Die Spur entfernt sich von der Wand und zieht jetzt in der Mitte des Gletschers Richtung Adlerpass hinauf.
Vor uns schlängelt sich der Gletscher über eine sanfte Kuppe, über die wir den Gletscherbruch umgehen, der direkt am Fuße des Rimpfischhorns lauert. Es geht bergauf. Endlich!
Die sanften Anstiege machen die Skitour aufs Strahlhorn auch für Anfänger attraktiv.Nach einem weiteren Flachstück – ja wirklich – dürfen wir die ersten Spitzkehren des Tages in den Schnee setzen. Diese 100 Höhenmeter hinauf auf den Adlerpass sind die einzigen, die technisch ein wenig anspruchsvoller sind und auf denen ich ein wenig außer Atem komme.
Unter der vermeintlich sicheren Schneeschicht lauern hier riesige Gletscherspalten. Spaltenstürze sind hier gar nicht so selten und darum ist die Gletscherquerung unbedingt in der Tourenplanung zu berücksichtigen. Selbst auf einer relativ einfachen 4.000er-Skitour wie jener auf das Strahlhorn.
Blick zurück. Im Hintergrund das Weissmies.Als wir den Adlerpass erreichen, trübt eine dünne Nebelschicht den Sonnenschein. Aus den Wolken segeln erste Schneeflocken vom Himmel. Ein beruhigendes Gefühl. Es ist fast windstill. Den Wettlauf gegen die Südströmung haben wir verloren.
Die meisten Tourengeher sind mittlerweile nicht mehr vor, sondern hinter uns. Der Gipfelanstieg liegt einsam vor uns. Vom Adlerpass ist unser Tagesziel aber immer noch einen Kilometer entfernt.
Am Strahlhorn ist uns kein Anstieg zu flach. Der Gipfel ist hier ganz nah.Einer strahlt immer
Die Skitour aufs Strahlhorn endet, wie sie begonnen hat. Flach. Der Vorteil: Wir können fast bis zum Gipfelkreuz auf Ski gehen. Unsere Blicke sind starr nach vorne gerichtet, denn die Bergwelt des Wallis entzieht sich unseren Augen. Wolken verschleiern all jene Gipfel, die gestern noch so spektakulär aus dem Nebelmeer geragt haben.
Zehn Meter unterhalb des Gipfels wird die Schneeauflage karger und eine kleine Felsstufe ragt aus dem vergletscherten Plateau. Wir schnallen die Skier ab, stecken sie in die dünne Schneeoberfläche und gehen die letzten Schritte zu Fuß.
Wir sind die ersten, deren Lächeln heute vom Strahlhorn ins Nichts strahlt. Dicke Schneeflocken umspielen uns wie ein Konfetti-Regen. Wehmut wegen der fehlenden Aussicht kommt nicht auf. Vielmehr freuen wir uns, den langen Aufstieg nun auf Skier abfahren zu dürfen. Davor bitten wir drei nachkommende Franzosen, ein Gipfelbild von uns zu schießen. Wir lachen über die Scherze des anderen, obwohl wir kein Wort voneinander verstehen.
Dann düsen wir den Allalingletscher hinab, bis wir den Gegenanstieg zur Britanniahütte erreichen. Die Abfahrt war für einen 4.000er okay. Mal schwingen wir durch Pulverschnee, mal stechen wir unsanft in einen Harschdeckel ein. Verhältnisse, mit denen man auf dieser Höhe rechnen muss.
Die Skitour aufs Strahlhorn ist perfekt für alle, die den Einstieg in die hochalpine Bergwelt wagen wollen. Oder ideal für jeden, der wie wir eine entspannte Frühjahrstour unternehmen will und einen Ausgleich nach anspruchsvolleren Begehungen sucht. Mit Skiern kann den Rückweg entspannt gestalten. Die Skitour aufs Strahlhorn hat mich wieder überzeugt, dass ich viele Hochtouren im Winter um einiges besser genießen kann.
Kurz vor Mittag sind wir zurück an der Hütte und machen uns in der warmen Stube einen gemütlichen Lesenachmittag.
Blick zurück zum Gipfel.Tourdaten zur Skitour auf das Strahlhorn
- Aufstieg: 1.550 Höhenmeter
- Abstieg: 1.550 Höhenmeter
- Länge: 17 Kilometer
- Schwierigkeit: technisch einfache, aber lange Hochtour; ZS+ nach SAC-Skala
- Beste Jahreszeit: März, April, Mai, Juni
- Ausgangspunkt: Britanniahütte, Saas-Fee, Wallis
Diese Ausrüstung war dabei
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