Eine Frage die viele Aperture-User beschäftigt und frustriert, ist, ob das Programm im Sterben liegt. Aus Cupertino gibt es ja leider wie üblich absolut kein Signal, ob und wann man mit einer vierten Version rechnen darf. Viele Anwender blicken mit Sorge auf die sich immer schneller drehenden Uhren und erscheinenden Versionen bei den Mitbewerbern und das Gefühl, man könnte längst ein totes Pferd reiten, ist kein angenehmes. Das geht auch mir so und ich erwähne das nicht zum ersten Mal.
Apples Geheimniskrämerei trug seit Mitte der 1990er Jahre zu Mythos und Hype um die Marke bei und half mit, das Unternehmen zu der Größe und Bedeutung heranwachsen zu lassen, die es heute hat. Über mehr als eine Dekade hinweg schaffte man es immer wieder mit innovativen Produkten große Coups zu landen – im Grund fast über drei Dekaden hinweg, denn man war ja bereits seit den 70ern innovativ und hat viele Trends vorweg genommen und geprägt.
Ich habe nie erwartet, dass solche Innovationskraft ewig halten würde. Ich erwartete, dass spätestens nach dem Ausscheiden des visionären Firmendiktators, Steve Jobs, Apple früher oder später zu einem normalen Konzern werden würde – so wie Sony, Samsung, IBM oder, um eine andere Branche zu zitieren, meinetwegen VW. Nicht weniger wirklichkeitsfern fand ich aber auch jene Propheten die Unkten, Apple werde schon bald nach Jobs Tod in den Abgrund stürzen.
Apple war vor 20 Jahren etwas Besonders. Das meine ich gar nicht unbedingt deshalb, weil das Unternehmen zu jener Zeit innovativer oder besser war als andere, sondern weil man als Apple-Anwender zu einer Minderheit von vielleicht 2% der Computer-Anwender gehörte. Natürlich ist es irgendwie cool einer solchen Minderheit anzugehören – ein Social Underdog zu sein. Die Coolness mag Ende der 1990er noch da gewesen sein, doch heute, wo sich wohl beinahe in jedem Haushalt ein Produkt mit Apfel-Logo findet, ist es längst nicht mehr cool. Apple ist gewöhnlich geworden.
Allen Android- und Windows-Usern, die mir jetzt Beifall klatschen, muss ich entgegen halten, dass es nicht wirklich cooler ist, den Marktführer zu nutzen – Linux-User sollen sich meinetwegen fühlen.
Für mich ist es OK, wenn Apple zum normalen Konzern wird. Ich nutze seit 20 Jahren ihre Produkte und bin weitgehend zufrieden damit. Ich werde jetzt nirgendwohin wechseln, nur weil es uncool geworden ist Apple zu nutzen. Ich fände es sogar hochgradig unvernünftig eine Plattform, die für mich gut funktioniert, zu verlassen, nur weil sie bei den Trendsettern nicht mehr so angesagt ist.
Apple ist also zum normaleren Konzern geworden und ich hoffe, dass das Unternehmen bald einsieht, dass die permanente Geheimniskrämerei einem normalen Konzern nicht mehr gut zu Gesicht steht. Ganz im Gegenteil. Konnte man mit dem Mythos des Geheimnisvollen den Weltmarkt erobern, solange es gelang die ohnehin schon hohen Erwartungen noch zu übertreffen, geht der Schuss heute nach hinten los: Die Erwartungen sind vor jeder Apple-Veranstalung unerfüllbar hoch und die Enttäuschung vorprogrammiert. Außerdem warten schon die Schwadrone der Neider und Gegner, die ohnehin seit Jahren alles was Apple macht mit Häme übergießen – die Leute, die das Tastaturlose iPhone damals ebenso als Totgeburt begrüßt hatten, wie das iPad (die Damenbinde) und heute Smart Phones und Notepads (Notiz-Binden) mit Android von Samsung nutzen.
Es würde Apples Kunden – den Nutzern von Software, wie Aperture, Final Cut oder iWorks – helfen, wenn sie wüssten, dass ihre Programme leben und man nicht durch ein Ende der Produktentwicklung in absehbarer Zeit dazu gezwungen ist, zu einem anderen Produkt zu wechseln. Schließlich müsste man beim Wechsel alles Erlernte und alle Erfahrungen mit dem Produkt über Bord werfen und im Falle von Aperture wäre alle Raw-Entwicklung umsonst gewesen, höchstens man friert die Entwicklung an dieser Stelle ein und exportiert alles als fertig entwickelte JPEG-Bilder. Doch dazu habe ich RAW nicht!
Allerdings glaube ich nicht, dass Aperture einem End of Life entgegen geht, sondern dass es im Gegenteil sehr vital ist. Dafür spricht, dass Aperture seit Veröffentichtung von Version 3 21 Updates erfahren hat, wovon 3.4 sogar eine komplett überarbeitete RAW-Entwicklungs-Engine enthalten hat – nicht zum ersten mal schreibe ich hier, dass ein ähnliches Update anderswo Upgrade geheißen hätte und zu bezahlen gewesen wäre. Im direkten Vergleich mit Lightroom steht Aperture mit seinen Updates sogar ziemlich gut da: Wenn meine Quelle nicht lügt hat Lightroom seit Version 3 2009 mittlerweile 11 Updates erfahren, wobei zwei davon – Version 4 und 5 – kostenpflichtige Upgrades waren, Aperture 21 kostenlose Updates!
Unterm Strich hat Lightroom heute die Nase was Features angeht sicher vorne. Es gibt eine vollintegrierte Objektivkorrektur und die mit Lightroom 5 eingeführte Offline-Bearbeitung ohne Zugriff auf die RAW-Originale würde ich mir für Aperture auch wünschen. Was ich bei Apple allerdings begrüße ist, dass dem Anwender eben nicht jährlich eine neue Version aufs Auge und die Geldtasche gedrückt wird, auch wen 70 Euro für ein Upgrade ja wirklich nicht alle Welt sind. Da schlagen die zuletzt jährlich erschienenen Creative-Suite-Upgrades mit 500 bis 1000 Euro, bei einem Grundpreis von 2000 Euro und darüber, schon ganz anders zu Buche – für private Anwender, für die Geld nicht einfach keine Rolle spielt, nicht tragbar.
Nun kann man einwenden, warum denn ein Privater professionelle Software braucht. Weil man ein Programm wie Photoshop, Illustrator oder InDesign nicht einfach so nebenher lernt. Ich unterrichte diese Programme in einem Fortbildungszentrum und rate den Teilnehmern immer den Umgang damit zu üben. Nur: Wer kann es sich leisten Hunderte Euro jährlich in ein Programm zu investieren um im Job fit zu bleiben? Manche Leute müssen schauen, wie sie über die Runden kommen!
Für ein vitales Leben von Aperture spechen in meinen Augen die laufenden Updates des Programms – nicht nur in Form von RAW-Compatibility-Updates. Dann tauchten Aperture-Paletten während der letzten WWDC-Keynote mehrmals in Screenshots zu Produktpräsentationen auf – so etwas passiert nicht versehentlich mit einem Programm das im Sterben liegt.
Mir scheint Apple viel Wert darauf zu legen, dem Kunden wirklich etwas Neues zu bieten, wenn sie ihm ein neues Produkt verkaufen. Das zeigt für mich der nun angekündigte Mac Pro. Apple stand seit Jahren in der Kritik, weil ein solides Upgrade der Maschinen fehlte. Jeder andere Hersteller wäre dem Markt gefolgt und hätte mit ein bisschen Produktpflege den Kaufwillen der Kunden befriedigt. Apple liegt anscheinend doch mehr daran, den Kunden ein wirklich innovatives, neues Gerät zu liefern, als mit aufpolierten Kassenschlagern von gestern schnelle Kohle zu machen.
In diese Richtung gehen auch meine Gedanken Aperture betreffend: Anstatt sich jährlich eine neue Version mit ein paar netten Zusatz-Features bezahlen zu lassen, wird das Produkt, dort wo es notwendig ist, mit kostenlosen Updates gepflegt – und nach Aperture 3.0 war es notwendig, etwas an der Qualität der RAW-Entwicklung, bei Geschwindigkeit und Stabilität nachzubessern. Mit einem neuen Produkt, das zu bezahlen ist, wartet Apple so lange, bis die Innovationen marktreif sind. Dem gegenüber habe ich in den letzten Jahren zu viele marketingtechnisch spektakuläre und praktisch nicht zu gebrauchende Features gesehen, oder solche, die jetzt gut sind, aber zunächst, über Bezahl-Upgrades beim Kunden reiften.
Darüber hinaus ist in meinen Augen auch der offensichtlich nach wie vor gut laufenden Absatz von Aperture im Apple App Store ein guter Grund für Apple das Produkt am Leben zu halten. Das heißt, auch wenn Aperture bei Profis keinen guten Stand hat – weshalb auch immer – gibt es offensichtlich einen Markt für ein anspruchsvolles Programm zur RAW-Entwicklung am Mac abseits von Lightroom.
Doch warum ist Aperture 4 auch nach drei Jahren und Scharen abwandernder User noch immer nicht am Markt? Ein Grund könnte sein, dass Apple parallel an einer kompatiblen Version fürs iPad arbeitet.
Wie gesagt: Ich glaube Apple ist sehr bemüht innovative Produkte dann auf den Markt zu bringen, wenn sie reif sind. Deshalb dauert viele so lange. Man warf dem iPhone einmal vor, dass die Konkurrenz schon vorher Multitasking bot. Doch was ich damals davon las, war das Multitasking dieser Vorreiter beim Programmwechsel so zäh, dass sich ein schließen eines und öffnen eines anderen Programms am iPhone ohne Multitasking schneller gestaltete, als dort.
Derselbe Grund dürfte dahinter stecken, dass es noch kein Aperture fürs iPad gibt: Die Leistung der Geräte reicht noch nicht. Doch vielleicht ist das kommende iPad stark genug RAW-Daten flüssig genug verarbeiten zu können. Und wenn dem so ist, kann ich mir vorstellen, dass wir mit diesem iPad dann auch Aperture 4 sehen – am Mac und am iPad.
Das sind nur Gedanken wie es sein könnte. Vielleicht gibt es auch andere Gründe, weshalb Aperture 4 noch in Arbeit ist. Doch ich bin sicher, dass es kommt. Und ich kann mir vorstellen, dass es die Karten ganz neu mischt. Ich hoffe, dass Apple mich nicht enttäuscht. Was bleibt, ist die Ungewissheit wie nah oder fern ich mit meiner Einschätzung von den Tatsachen entfernt bin, und der Wunsch, Apple möge in Zukunft aufhören seine Kunden im Ungewissen stehen zu lassen. Dass Unternehmen innovative Neuentwicklungen geheim halten müssen, ist verständlich. Aber zu verschweigen, dass bestimmte Produkte am Leben sind – davon profitiert weder der Kunde noch Apple.