Still(l)eben

Von Grummelmama
Neben Impfungen, diveresen Schwangerschaftsthemen oder Genderdiskussionen gibt es noch ein großes Thema, das die mütterlichen Gemüter bisweilen stark erhitzt: Das Stillen. In Mütterforen und Gruppen wird darüber gestritten, gehetzt, es wird mit Fingern aufeinander gezeigt - und wie immer hat jede einzelne Mutter die alleinige und beste Meinung dazu. Ich möchte euch mal an meinen Stillerfahrungen teilhaben lassen. Wenn ihr mögt.
Um es vorwegzunehmen: Ich stillte beide Kinder jeweils nur maximal zwei Wochen. Danach gab es sowohl für die Maus als auch für das Mäuschen Pre Milch aus dem Fläschchen. Doch wie kam es dazu?
Als die Maus gerade geschlüpft war und wir noch erschöpft und verschwitzt im Kreisssaal entspannten, fingen die Probleme eigentlich schon an. Das winzige Baby, das laut Arzt "leicht dehydriert" war, wollte nicht recht andocken. Es fand die Brust, spielte etwas damit, aber so richtig Lust aufs Trinken hatte es nicht. Und damit begann mein Horror auch schon. Ich, total ohne Ahnung von nichts, zusammen mit einem trinkschwachen Baby in einer "stillfreundlichen" Klinik. Ich fühlte mich schrecklich. Die Belegschaft auf Station brachte mich um den Verstand. Ich legte an, es klappte nicht. Ich legte wieder und wieder an - und statt wirklicher Hilfe der Hebammen bekam ich nur Sätze wie "So werden wir Sie sicher nicht entlassen!" oder "Ich habe Sie noch kein einziges Mal stillen sehen, so wird das nichts!" zu hören. Das Baby schlief viel, zu viel, ich ließ es schlafen, statt es zu wecken. Dachte, wenn es Hunger hat, wird es schon selbst aufwachen. Dafür bekam ich Ärger. Ich lief zwei Nächte lang mit einem brüllenden Neugeborenen die Gänge der Klinik auf und ab, die Hebammen hetzten vorbei und niemand half uns. Ich saß stundenlang im Stillraum, legte immer wieder an und nichts klappte. Mit taten schon nach kurzer Zeit die Brustwarzen so weh, dass ich nur heulen konnte. Ich wollte einfach nur raus da.
Als ich dann zu Hause war und meine Hebamme mich betreute, beruhigte ich mich etwas. Zusammen versuchten wir alles, was möglich war. Verschiedene Anlegevarianten und Lagewechsel, ich bekam Mittelchen und Dingelchen für meine wunden Brustwarzen und zur Milchanregung - und als der Milcheinschuss da war, dachte ich, JETZT klappt es. Ich stillte permanent. Stunden am Stück. Die Maus saugte nicht richtig, nahm die Brustwarze nicht richtig in den Mund. Ich blutete, weinte - und bekam mit der Zeit regelrechte Angstzustände vor dem Moment, in dem das Baby aufwachen würde. Und es wachte auf, oft. Und es weinte. Fast nur. Da saß ich also, mit blutenden Brustwarzen vom Dauerstillen und einem Schreibaby. Mir ging es richtig, richtig schlecht. Ich bekam Depressionen und wollte gar nichts mehr. Dann stellten wir dank meiner Hebamme fest, dass nach einer Stunde des Stillens aus beiden Seiten nicht mal die Hälfte der Menge Milch kam, wie eine Seite hätte leisten müssen zu diesem Zeitpunkt. Und das war der Moment, an dem wir beschlossen, die Flasche zu geben. Und das erste Mal trank die Maus. Sie leerte ein ganzes Fläschchen (mit der für sie passenden Menge natürlich) und dann schlief sie 8 Stunden am Stück. Und sie weinte nicht mehr. Da traf mich die schreckliche Erkenntnis, die mir heute noch Tränen in die Augen treibt: Mein Kind hatte tagelang vor Hunger geweint. Ich hatte kein Schreikind, ich hatte ein kleines, hilfloses Baby hungern lassen. Und warum? Weil alles so aussah, als hätte ich genug Milch. Aber dem war nicht so.
Bevor das Mäuschen zur Welt kam, informierte ich mich eingehend über das Thema Stillen. Ich wollte es diesmal richtig machen, wollte alles versuchen, dass es klappt. Ich las Bücher, redete viel mit meiner Hebamme darüber, die mir dieses Mal einen schöneren Start verschaffen wollte. Ich war mir sicher, dass es diesmal klappen würde. Doch als das Mäuschen dann auf der Welt war - ein kräftiges, kleines Mädchen, das schon im Kreisssaal gierig trank - ging der Spuk von vorne los. Ich stillte stundenlang, die Brustwarzen bluteten wieder, ich weinte und hatte Schmerzen. Der Rekord lag bei vier Stunden am Stück. Ich saß im Bett bei 40°C Außentemperatur, an meiner Brust das Mäuschen und neben mir die Maus, mit der ich mir einen Zeichentrickfilm ansah. Und ich wechselte das Mäuschen vier lange Stunden lang von einer Brust zur anderen. Mir war schon alles egal geworden, ich spürte schon keine Schmerzen mehr, ich wollte nur, dass dieses Kind aufhörte zu heulen! Meine Hebamme musste zu diesem Zeitpunkt leider weg und ich bekam eine Urlaubsvertretung, die auf ihre Art und Weise versuchte zu retten, was ihrer Meinung nach noch zu retten sei. Und als wir alles versucht hatten, blieb mir nur noch die Wahl zwischen medikamentösen Versuchen - oder dem Fläschchen. Und ich wählte das Fläschen. Und die Hebamme war nicht begeistert. Aber mir war es egal. Und wieder trank das Kind sich satt. Und wieder wurde mir klar, dass ich ein hungriges Baby gehabt hatte. War ich denn blöd? Hatten wir alle Tomaten auf den Augen gehabt? Warum war mir das zum zweiten Mal passiert?
Und ich kann euch sagen, warum ich das Offensichtliche zum zweiten Mal nicht gesehen hatte: Weil man zum Stillen gezwungen wird. Und ja, ihr könnt jetzt alle auf mir herumhacken und mit den Köpfen schütteln. Es ist mir mittlerweile egal geworden. Mit der Maus musste ich mich noch ständig rechtfertigen in dieser Ökostadt, in der nichts anderes gilt als Tragetuch und Dauer- und Langzeitstillen. Niemanden interessierte es wirklich, warum mein Kind das Fläschchen bekam. Alle waren nur entsetzt, DASS es so war. Das war der Grund, warum ich auch beim zweiten Mal so krampfhaft (vielleicht ZU krampfhaft) versuchte, es zu schaffen - ohne Rücksicht auf Verluste.
Aber JETZT kann ich nur sagen: Es geht verdammt nochmal niemanden etwas an. Ich hasste das Stillen. Es tat weh, es machte mir Angst und es machte mich und meine Kinder unglücklich. Ich saß da, mit einer Abpumpmaschine auf beiden Brüsten und fühlte mich erniedrigt. Ich lief herum mit wunden Brustwarzen und fragte mich, was ich falsch gemacht hatte, wie ich so eine schlechte Mutter sein konnte, die es nicht einmal schaffte, ihre Kinder zu ernähren. Aber HEUTE ärgert mich das alles dermaßen. Ja, ich hasste das Stillen. Ich hasste den Gedanken daran, rund um die Uhr abrufbar sein zu müssen. Ich hasste diese Abhängigkeit. Ich hasste diesen Druck. Ich hasste es, in der Öffentlichkeit Stillmöglichkeiten finden zu müssen, ich hasste die Stilleilagen, die Flecken auf den Shirts, die Still-BHs. Ich hasste das alles.
Vielleicht hatte ich wirklich nicht genug Milch. Vielleicht hat auch mein Unterbewusstsein diesen Hass gespürt und daher die Milchproduktion eingestellt. Vielleicht war ich selbst daran Schuld gewesen.
Ich werde mir nur nie mehr von jemandem erzählen lassen, dass ich nicht genug probiert hätte, dass ich meinen Kindern das Beste vorenthalten hätte, was die Natur zu bieten hat oder ich eine schlechte Mutter war/bin, weil ich diese ganze Stillerei nicht ertragen konnte und wollte.
Ich hatte nach jeder Geburt ganz schlimme Wochen mit vielen Tränen, Schmerzen und Selbstvorwürfen. Ich hatte Angst vor dem Moment, in dem mein eigenes Baby aufwachen würde. Mir wurde zweimal ein Start ins Leben mit meinem Baby verwehrt, wie ihn andere Mütter haben - und ich finde dieses ganze Von-Oben-Herab-Geheuchel einfach nur zum Kotzen.
An alle seienden und werdenden Mamas da draußen: Stillen ist wichtig und toll und wahrscheinlich das Beste, was ihr euren Babys bieten könnt - aber: Ihr seid auch noch da. Macht euch nicht verrückt, lasst euch nicht vom Stillwahnsinn krank machen. Wenn es klappt, ist es toll. Wenn nicht, dann nicht. Findet euren eigenen Weg mit euren eigenen Babys und lasst euch nicht zu Dingen zwingen, die sich für euch falsch anfühlen. Denn sicher ist Muttermilch gut und wichtig für ein Baby, aber nicht um jeden Preis. Ein Baby braucht zuallererst eine Mama, der es gut geht und die sich um es kümmern kann. Und wer euch dann egoistisch oder nicht belastungsfähig oder gar eine schlechte Mutter nennt, der sollte euch einfach nur da vorbeigehen, wo die Sonne niemals hinscheint...