Stigma in Gelb

Die Tour de France war noch nicht beendet, da las man schon vom möglichen Doping des voraussichtlichen Siegers. Spiegel Online wunderte sich über die Allmacht Froomes während des gesamten Rennens und zitiert einen Sportwissenschaftler, der mit "Manche sind cleverer als andere" undeutlich deutlich machte, was angeblich alle denken. Focus Online bezieht sich auf denselben Experten, fragte aber wesentlich undiplomatischer: "Designierter Toursieger gedopt?" Stern.de berichtet indes, dass das Team von Froomes Kontrahenten Contador zweifle, ob Froome sauber sei. Auch das Schweizer Medienportal Blick.ch fragt gleich ganz direkt: "Gedopt oder nicht?" Und die Frankfurter Allgemeine bezieht sich auf Le Monde und bringt den Begriff "Froomstrong" ins Spiel.

Hat sich der Sportjournalismus völlig vom Prinzip der Unschuldsvermutung verabschiedet? Glaubt er, dass mit vorauseilender Spekulation ordentlicher Journalismus zu machen ist? Moralische Beweislastumkehr, weil ein Radsportler zu schnell, zu kraftvoll, zu souverän war?
Diese Attribute sind übrigens Gerüchte, sind nicht auf Tatsachen gründende Vernebelungen. So omnipotent war Froome nämlich auch wieder nicht. Er fuhr nicht allen davon, wie man nun liest, er musste auf mancher Etappe etwaige Kontrahenten ziehen lassen. Froome hatte auch deutliche Augenblicke der Schwäche. Nur passen diese Augenblicke nicht in die Spekulation. Das Dopinggespenst braucht die völlige Dominanz zur Entfaltung seiner Absichten.
Stigma in GelbDie seltsam geleerten Siegerlisten, die Tour-Sieger, die nie die Tour gewannen, die durch die Disqualifikation anderer zu Siegern wurden, haben ein Klima erzeugt, in dem jeder Träger des Gelben Trikots a priori ein Dopingsünder ist, bis er die Öffentlichkeit vom Gegenteil überzeugt, bis ihn die Zeit vom Makel seiner Leistung reingewaschen hat. Ist das Gelbe Trikot nun das Symbol des Schnellsten oder doch nur noch ein Stigma? Die Berichterstatter scheinen sich darüber einig zu sein, dass es die Trophäe für das schnellste Cleverle ist, für den besonders findigen Betrüger, ein Preis auf Zeit, bis endlich bewiesen ist, was schon immer spekuliert wurde.
Kann sein, dass Froome gedopt hat. Nur warum spricht man schon jetzt von Doping, obgleich es keine Beweise außer die sportliche Leistung des Athleten dafür gibt? Die Unschuldsvermutung im Radsport erstickt an einem paranoiden Zeitgeist, der hinter jedem Parforceritt Doping wittert. Eine Presse, die kritischen Bericht mit der Bedienung von Spekulation und generellen Argwohn verwechselt, kommt über den Status gut bezahlter Tratsch- und Waschweiber nicht hinaus.
Solange es keine Anhaltspunkte, keine Belege für Doping gibt, sollte man darüber schweigen. Wenn aber die gute Leistung schon als Beleg gilt, dann entfesseln Journalisten einen inquisitorischen Esprit. Dann ist Leistung schon verdächtig und der Sieger schon ein Dopingsünder, bis es ihm gelingt, alle vom Gegenteil zu überzeugen. Froome hätte jetzt aber einfach nur ein grandioser Fahrer zu sein. Das wäre nur fair. Alles andere ist Hexenjagd und ungefähr so journalistisch, wie es die üblichen Verdächtigungen der Else Kling waren.

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