Steven Erikson - Der Goldene Herrscher & Im Sturm des Verderbens
Die Tiste Edur zwangen die Letherii auf die Knie. Mit goldenen Münzen übersät, furchtbar und unsterblich regiert Rhulad Sengar über das einstmals mächtige Reich Lether. Von seiner Knechtschaft durch den Verkrüppelten Gott in den Wahnsinn getrieben ist er blind für die subtilen Manipulationen der Letherii, die seinen instabilen geistigen Zustand skrupellos ausnutzen. Sie wiegen ihn in Sicherheit, schüren das paranoide Misstrauen seinem eigenen Volk gegenüber und verfolgen perfide Intrigen, die Rhulad und die Edur langsam entmachten sollen. Die Eroberung ist nicht mehr als schöner Schein; die Kinder des Schattens begreifen nicht, dass Lether in Wahrheit niemals von einer Person regiert wurde, sondern von den abstrakten Gesetzen des Profits. Unbeeindruckt von ihren neuen Herren führen die Letherii weiterhin eine verlogene, grausame Kampagne gegen die indigenen Stämme des Landes, um deren Gebiete an sich zu reißen. Doch die Verzweiflung der Stämme wendet das Blatt. Von der Ausrottung bedroht sammeln sie sich hinter dem legendären Krieger Rotmaske und stellen sich der letherischen Armee entgegen. Erstmals vereint schlagen sie zurück. Blutige Scharmützel fordern auf beiden Seiten zahllose Leben. Lether versinkt im Chaos, sodass die Ankunft einer neuen Bedrohung beinahe unbemerkt bleibt. An der Küste wurden fremde Segel gesichtet. Malazanische Segel...
Könnte sich das Schicksal von Steven Eriksons Universum in Lether entscheiden? Meine Intuition behauptet, dass diese Option im Rahmen des Möglichen liegt, denn es ist nicht zu leugnen, dass aktuell alle Pfade nach Lether führen. Ich habe den Eindruck, Stück für Stück lenkt der Autor alle Handlungslinien in diese Richtung; er versammelt seine zahlreichen Figuren und verhärtet die Fronten im Krieg der Götter. Diese Annahme vorausgesetzt, ist der zweigeteilte siebte Band von „Das Spiel der Götter", bestehend aus „Der Goldene Herrscher" und „Im Sturm des Verderbens", ein atemberaubend kluges Manöver, das den finalen Schauplatz vorbereitet und Lether selbst tiefer in die übergeordnete Handlung einbindet. Durch die umfangreichen Strömungen, die dieser Band präsentiert, ist das Reich der Letherii und Tiste Edur nun nicht länger isoliert, sondern der Mittelpunkt aller zugegebenermaßen äußerst komplizierten Entwicklungen. Es war eine Herausforderung, den roten Faden ausfindig zu machen. Mir schwirrte ein wenig der Kopf, da ich das Gefühl hatte, auf einem rasant rotierenden Karussell zu stehen. Alles ist in Bewegung, alles dreht sich. Figuren wirbelten durch mein Blickfeld, verschwanden und tauchten bei der nächsten vollständigen Umdrehung wieder auf. Dieser Part von Steven Eriksons fulminanter Geschichte weist mehr Blickwinkel und Perspektivwechsel auf als je zuvor, sodass es schwierig war, zu folgen und die zahllosen Charaktere auseinander zu halten. Es ist ein brillantes Feuerwerk individueller Interessen, Motive und Pläne.
Die Schilderung des Verhältnisses zwischen Tiste Edur und Letherii ist ein Geniestreich. Die bodenständigen Edur hatten nie eine Chance, die abstrakte kapitalistische Gesellschaftsordnung der Letherii, die der Struktur der realen Welt so ähnlich ist und mit Vorliebe besonders widerwärtige, machthungrige Persönlichkeiten hervorbringt, tatsächlich zu übernehmen, weil sie ihre Spielregeln nicht verstehen. Sie können sich nicht vorstellen, dass den Letherii Ehre, Stolz und Würde so gut wie nichts bedeutet und Falschheit, wenn schon nicht als Tugend, dann zumindest als probates Mittel im Namen des Profits angesehen wird. Es macht den Letherii nicht das Geringste aus, zu katzbuckeln, sich anzubiedern und gute Miene zum bösen Spiel zu machen, während sie weiterhin ihre eigenen Ziele verfolgen. Sie wittern die Schwächen der Edur - ihre naive Arroganz und ihre uneingeschränkte Loyalität für einen tragischen Wahnsinnigen - und nutzen diese schamlos aus. Sie führen ihre Eroberer vor. Die Edur verlieren den Krieg, obwohl sie die Invasion gewonnen haben. Ihnen fehlt der entscheidende Funken Fantasie in Sachen dreister Skrupellosigkeit. Deshalb gelingt es den Letherii, die Machtübernahme der Edur völlig auszuhöhlen.
Das Inszenieren fieser Intrigen hat in Lether Tradition, davon können die indigenen Stämme ein Liedchen singen, die seit Generationen bis auf den letzten Tropfen ausgeblutet werden. Eine Rebellion war meiner Meinung nach längst überfällig, doch die festgefahrenen Fehden zwischen den einzelnen Stämmen verhinderten die dafür nötige Einigkeit. Erst der mysteriöse Rotmaske bringt sie zusammen, indem er den rechtschaffenen Hass der Stämme auf die Letherii bündelt und ihn in eine Waffe verwandelt. Demzufolge ist das Aufeinandertreffen der Stämme und der letherischen Armee schmutzig, brutal und gemein. Es fasziniert mich, dass Steven Erikson jeder Schlacht seines Epos eine eigene und unverkennbare Atmosphäre verleiht. Die Scharmützel in Lether sind nicht mit dem Kampf gegen den Pannionischen Seher, der Schlacht in Y'Ghatan oder der Rebellion des Wirbelwinds vergleichbar. Sie sind nicht austauschbar, sondern einzigartig, genauso wie es sein sollte. Der Autor beweist sein tiefes Verständnis für die verschiedenen Motivationen der kämpfenden Parteien und lässt diese subtil in seine Schlachtbeschreibungen einfließen. Als Leserin ist es stets ein Genuss, diese atmosphärische Präzision zu erleben.
Obwohl die Situation in Lether auf der intellektuellen, politischen Ebene definitiv sehr interessant und packend ist, erschienen mir Steven Eriksons Schilderungen doch ein wenig verkopft. In „Der Goldene Herrscher" wirkte die Handlung ausgesprochen ernsthaft; ein Gefühl von kompromissloser Dringlichkeit beherrschte die Lektüre und ließ nur selten Raum für entspannte Momente. Umso dankbarer war ich für die Ankunft der Malazaner in „Im Sturm des Verderbens", die meine These, dass Steven Erikson Lether als Setting für den finalen Showdown auserkor, wunderbar untermauert. Wenn man den Malazanern eines zutrauen kann, dann, dass sie mühelos Schwung in die Bude bringen. Ich glaube, es ist unmöglich, diesen wilden Haufen unvergleichlich lebendiger, nahbarer Figuren nicht zu lieben. Mandata Tavore und ihre 14. Armee lockerten die strenge Geschichte erfrischend auf und überzeugten mit Witz, Kodderschnauze und Herz. Emotionale Szenen gingen fast ausschließlich auf ihr Konto. Ich empfand sie als willkommene Abwechslung und fühle mich unter den malazanischen Truppen regelrecht daheim. Aber natürlich landen die Soldat_innen nicht zum Spaß in Lether. Die Mandata hat einen Plan. Ich bin nicht sicher, ob ich die Andeutungen korrekt verstanden habe - Tavore Paran lässt sich nur sehr ungern in die Karten schauen. Sollte ich richtigliegen, plant sie, sich dem Verkrüppelten Gott höchstpersönlich in den Weg zu stellen. Ich zweifle kein bisschen an ihr. Glaubt Tavore Paran, dass sie den Verkrüppelten Gott besiegen kann, vertraue ich ihr. Hui, ich bekomme eine Gänsehaut, denke ich an diese potentielle Konfrontation!
„Das Spiel der Götter" ist, wie ich nicht müde werde zu betonen, eine hochkomplexe und anspruchsvolle High Fantasy - Reihe. Vielleicht ist sie sogar das ambitionierteste Werk des gesamten Genres. Es war damit zu rechnen, dass diese epische Geschichte irgendwann einen Punkt erreicht, an dem es keine Kleinigkeit mehr ist, alle Figuren, Handlungsstränge und Details auseinanderzuhalten. Deshalb nehme ich Steven Erikson meine marginalen Schwierigkeiten mit „Der Goldene Herrscher" und „Im Sturm des Verderbens" nicht übel. Trotzdem hoffe ich, dass es mir im nächsten Band „Die Stadt des Blauen Feuers" und „Tod eines Gottes" leichter fällt, alle Komponenten souverän zu jonglieren und meinen Lesefluss aufrecht zu erhalten. Außerdem bete ich, dass der Verlag Blanvalet nun endlich aus den Puschen kommt und die letzten vier Bände auf den Markt bringt. Ich habe nur noch einen ungelesenen Doppelband im Regal. Der Veröffentlichungsvorsprung ist beinahe aufgebraucht. Bitte, ihr lieben Menschen bei Blanvalet, zwingt mich nicht, jahrelang auf das große Finale meiner konkurrenzlos liebsten High Fantasy - Reihe warten zu müssen.