Der folgende Beitrag wurde bereits am 4. August 2014 für ohrfunk.de verfasst und dort veröffentlicht.
In den sozialen Netzwerken höre ich in den letzten Wochen immer wieder den Satz: Wir steuern auf einen dritten Weltkrieg zu. Es ist, als habe sich die Menschheit in erschreckender Parallele zum derzeit oft erinnerten ersten Weltkrieg wieder einmal dazu entschlossen, die Welt in Brand zu stecken und den Frieden aufzugeben. Wie kann das geschehen, wo wir doch alle behaupten, aus der Geschichte zu lernen, und wo wir uns doch gerade so intensiv an die Zeit vor 100 Jahren erinnern?
Als ich erstmals den Satz vom bevorstehenden dritten Weltkrieg las, tat ich ihn als Verschwörungstheorie und Panikmache ab. Doch dann habe ich ein wenig darüber nachgedacht. Was ist denn das Hauptmerkmal eines Weltkrieges? Ist es dazu notwendig, dass viele Nationen in einen einzelnen Konflikt offiziell und mit eigenen Soldaten verwickelt sind, oder genügt es nicht vielmehr, dass fast überall auf der Welt bewaffnete Auseinandersetzungen stattfinden, die zumindest ansatzweise eine gemeinsame Grundlage haben? VonIndonesien, den Philippinen und Afghanistan im osten, über die Länder der Levante bis hin nach Libyen und Marokko im Westen finden gewaltige Auseinandersetzungen statt. Immer, mal mehr mal weniger deutlich, vollziehen sich diese Kriege an der Grenze der westlich geprägten Staaten zur muslimischen Welt, oder an der Grenze zwischen noch armen und noch reichen Ländern. Zum Teil werden Kriege um Macht und Einfluss, um Religion und Großmachtträume geführt, doch eigentlich steht dahinter bereits der Krieg um Ressourcen, ums Überleben, um irgendeine Art von Wohlstand. In diese Konflikte ist fast die ganze Welt auch militärisch eingebunden, denn die Globalisierung der internationalen Auseinandersetzung durch UNO, NATO und EU macht vor kaum jemandem halt. Neuere Forschungen beschreiben die Zeit von 1914 bis 1945 als zusammenhängende Kriegsperiode, und ich glaube, da haben sie recht. Der erste Weltkrieg und sein Ausgang zog fast zwangsläufig einen weiteren Konflikt nach sich. Erst danach stabilisierte sich eine Art Weltordnung im spannungsgeladenen kalten Krieg, die anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts zerfallen ist. Seither taumelt die Welt in einen weiteren, lange schwehlenden Krieg hinein, von dem wir nicht wissen, welche Art von Weltordnung an dessen Ende steht. Insofern könnte man sagen, das wir schon seit knapp 25 Jahren in den nächsten Weltkrieg hineintaumeln, sei es nun der dritte, oder der zweite, wenn man die ersten beiden als eine Kriegsperiode betrachtet.
Viel wichtiger für mich ist aber die Frage, warum das geschieht? Erkennen wir nicht die Mechanismen, die Kriege auslösen und erhalten? Darauf geben mir gerade die Intellektuellen, die es wirklich wissen sollten, eine erschreckende Antwort. Der Feind meines Feindes ist mein Freund. An zwei Konflikten unserer Zeit wird deutlich, welche Kräfte es vermögen, Menschen zu mobilisieren und aus ihrer allgegenwärtigen Lethargie zu reißen.
Da wäre zunächst die Krise in der Ukraine. Seit Wochen schwappt von Deutschland aus eine ungeheure Welle der Sympathie nach Russland und trifft den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Es spielt keine Rolle, dass er Menschen in Straflager verschleppen lässt, dass er die freie Presse weitgehend unterdrückt, dass er immer noch einen schmutzigen Krieg in Tschetschenien führt, dass er die Ukraine mit prahlerischer Großmannssucht zerstückelt und die Rechte seiner eigenen, homosexuellen Bürger mit Füßen tritt. Wichtig ist nur, dass Putin gegen die NATO und die EU ist, und dass er den deutschen intellektuellen Linken daher vorkommt wie ein Fels in der Brandung des ausbeuterischen Kapitalismus, ein Held der Gerechtigkeit und Ehre, der Freiheit und des Friedens. Schuld an der Krise in der Ukraine seien einzig und allein die NATO und die EU, weil sie die Ukraine unterstützten, sagen sogar nahmhafte Politiker verschiedener Parteien. Abgesehen davon, dass an einem Konflikt selten eine Seite allein Schuld ist, wäre es diesen Leuten wohl lieber gewesen, man hätte die Ukraine sich selbst überlassen, Väterchen Putin hätte wohl schon für sie gesorgt? Wie viel Zynismus muss man eigentlich besitzen, um die Welt auf so einfache Formeln zu bringen? Kann man nicht gegen die Kriegs- und Militärpolitik von NATO und EU sein, ohne gleichzeitig ausgerechnet Wladimir Putin als Verfechter der Menschenrechte zu feiern?
Der zweite Konflikt, der mir zeigt, dass wir Menschen aus dem ersten und dem zweiten Weltkrieg nichts gelernt haben, ist der Gaza-Krieg. Natürlich handelt die israelische Regierung verbrecherisch und völkerrechtswidrig. Das bestreitet niemand. Es ist aber nur eine Seite der Medaille. Auch die Hamas handelt völkerrechtswidrig und perfide, zum Beispiel, indem sie Raketen in Schulen einlagert, die mit Geld der vereinten Nationen bezahlt sind, indem sie die Bevölkerung eines eigentlich reichen Landstriches ihrer Zukunft, ihrer Bildung und ihrer Infrastruktur beraubt, und indem sie Angst und Schrecken unter einfachen Menschen in Israel verbreitet, über die und deren Angst vor Raketen heute keiner mehr in Deutschland spricht. Und was tun die Deutschen? Sie gehen zu tausenden zu sogenannten Friedensdemos auf die Straße. Meiner Meinung nach ruft man auf Friedensdemos dazu auf, dass beide Seiten sich annähern, den Kampf einstellen und eine gerechte Lösung suchen. Auf den Friedensdemos in Deutschland fordert man hingegen laut und deutlich, Israel und die Juden zu vergasen. Für deutschlands Linke ist Israel, das von den USA unterstützt wird, der Feind, die arabischen Brüder sind die Opfer und bedürfen deutscher Solidarität. Letzteres finde ich in Ordnung, solange sich diese Solidarität nicht auf Terroristen beschränkt, ersteres halte ich für schwer erträglich und unmenschlich.
Lange habe ich geglaubt, in Deutschland wäre es inzwischen unmöglich, tausende zu Demonstrationen auf die Straße zu bringen. Gegen die Hartz-Gesetzgebung, gegen die Atomlobby, gegen die Datenspionage hat das alles nie funktioniert. Wenn man aber zum Hass auf Israel aufruft, wenn man die Vergasung von Menschen fordern kann, dann schaffen es die Linken plötzlich, Leute auf die Straße zu bringen. Dass man dieses Barbarentum dann auch noch als Friedens- oder Antikriegsdemonstration bezeichnet, ist der Gipfel der Unverschämtheit.
In einem solchen Klima wundert mich jedenfalls nicht, warum wir immer noch zu Kriegen fähig sind, und warum es immer noch so einfach ist, solche Konflikte anzuzetteln und anzuheizen.