Steuerflüchtlinge statt Bürgerkriegsflüchtlinge bekämpfen!

Von Hartstein

„…Gleichwohl stellen Flüchtlinge das Sozial- und Gesundheitssystem der Bundesrepublik auf eine harte Bewährungsprobe. Eine noch stärkere finanzielle Belastung als die momentan hierzulande Schutz suchenden Menschen bilden für Deutschland aber jene Wirtschaftsflüchtlinge, die ihm den Rücken kehren, um Schwarzgeld in Steueroasen wie Monaco, Luxemburg oder Liechtenstein anzulegen. Auch was dem Fiskus durch die Bilanzmanipulationen global agierender Konzerne jährlich an Einnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe entgeht, würde allemal die Kosten für die Aufnahme, Unterbringung und Verpflegung ausländischer Flüchtlinge in Deutschland decken. Deshalb müssen die zahlreichen Steuerschlupflöcher für Privilegierte endlich geschlossen und die Grenzen für Steuerflüchtlinge dichtgemacht, aber nicht die Fluchtkorridore auf dem Balkan und die Zugangsmöglichkeiten für Asylsuchende versperrt werden!

Diese auf den ersten Blick paradox erscheinende Gegenüberstellung verweist auf ein Wahrnehmungsdefizit, das von der extremen Rechten bis zur bürgerlichen Mitte in Deutschland reicht: Viel bedeutsamer als der üblicherweise hochgespielte Innen-außen-Gegensatz zwischen Einheimischen und Zuwanderern ist der Oben-unten-Gegensatz, von dem jener nur ablenkt und vermutlich auch ablenken soll. Wenn deutlich mehr Personen als bisher auf Transferleistungen angewiesen sind, müssen die Hilfesysteme gestärkt, mehr staatliche Mittel dafür bereitgestellt und Steuererhöhungen für wohlhabende und reiche Bürger enttabuisiert werden. Würde es Angela Merkel mit ihren Sätzen „Das Asylrecht kennt keine Obergrenze“ und „Wir schaffen das!“ ernst meinen, müsste sie schnellstens Abschied von ihrem fiskalpolitischen Dogma „Keine Steuererhöhung, und zwar für niemanden!“ nehmen.

Nur wenn Besserverdiener und Vermögende hierzulande mehr (oder überhaupt) Steuern zahlen, kann der Staat den Besitzlosen – deutschen ebenso wie ausländischen – wirksam unter die Arme greifen. Es geht dabei jedoch nicht um einen „Flüchtlings-Soli“, den alle Bürger/innen zahlen müssten, sondern um eine Reichensteuer, die den Namen auch wirklich verdient, also eine höhere Besteuerung von Gutbetuchten, Erben großer Vermögen und Spitzenverdiener. Wann, wenn nicht jetzt, genauer: im Zeichen einer Zuwanderungsdebatte, die sich primär um die – angebliche oder wirkliche – Mehrbelastung des Staatshaushalts durch „massenhafte Flüchtlingsströme“ dreht, soll die skandalöse Verteilungsschieflage hierzulande denn angegangen werden? Ein besseres Argument für die Notwendigkeit der Verwirklichung größerer Steuergerechtigkeit als den Hinweis, dass Gering- und Normalverdiener/innen keinesfalls für mittellose Flüchtlinge zahlen dürfen, wenn „Sozialneid nach unten“ vermieden und rechte Gewalt eingedämmt werden soll, Wohlhabende und Reiche aber viel stärker in die Pflicht für das sonst noch mehr auseinanderdriftende Gemeinwesen genommen werden müssen, gibt es nicht…“

Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln und ist Mitglied der dortigen Forschungsstelle für interkulturelle Studien (FiSt).

Quelle: http://www.nachdenkseiten.de/?p=27969#more-27969