Stellungnahme der GAM zur geplanten Einführung von Islamischem Religionsunterricht in NRW

Der Landtag Nordrhein-Westfalen will auf sei­ner Sitzung am 21. Dezember 2011 ein Gesetz zur Einführung von isla­mi­schem Religionsunterricht als ordent­li­ches Lehrfach (6. Schulrechtsänderungsgesetz) beschlie­ßen.

Die Gesellschaft für wis­sen­schaft­li­che Aufklärung und Menschenrechte (GAM) nimmt aus die­sem Anlass zum vor­lie­gen­den Gesetzentwurf (Drucksache 15/2209 vom 21.06.2011) wie folgt Stellung:

Der Gesetzentwurf steht auf töner­nen Füßen, da er auf einer ver­fas­sungs­mä­ßig frag­wür­di­gen Überg­angs­lö­sung in Gestalt einer will­kür­lich kon­stru­ier­ten „Ermächtigungsnorm“ ohne Vorliegen von recht­li­chen Voraussetzungen basiert. Zum einen feh­len die erfor­der­li­chen isla­mi­schen Instanzen als auto­ri­ta­tive Richtliniengeber im Sinne von staats­kir­chen­recht­lich qua­li­fi­zier­ten Religionsgemeinschaften. Zum ande­ren exis­tie­ren keine ver­fas­sungs­mä­ßi­gen Regularien, um die poli­ti­sche Willkürentscheidung der Landesregierung rechts­kon­form zu rea­li­sie­ren. Diese muss viel­mehr selbst ein­räu­men, dass die isla­mi­schen Organisationen, mit denen koope­riert wer­den soll, nicht allen for­mel­len und inhalt­li­chen Anforderungen ent­spre­chen, „die nach der Rechtssprechung von Religionsgemeinschaften ver­langt wer­den“ (S. 5).
Hinzu kommt, dass die Islamverbände in Deutschland nur eine Minderheit der aus isla­mi­schen Ländern zuge­wan­der­ten Personen ver­tre­ten, wie im Gesetzentwurf selbst anhand von Zahlen aus der Studie „Muslimisches Leben in Nordrhein-Westfalen“ dar­ge­legt wird.
Von wesent­li­cher Bedeutung ist aber nicht zuletzt das man­gel­hafte Bekenntnis der im Koordinierungsrat der Muslime zusam­men­ge­schlos­se­nen Verbände zum deut­schen Grundgesetz. (Für ortho­doxe Muslime ist die Bindung an den Koran sowie an die isla­mi­schen Vorschriften höher­ran­gig als die Bindung an säku­lare Normen und Prinzipien. Gemäß der Studie „Muslime in Deutschland“ aus dem Jahr 2007 stimm­ten 46,7% der Befragten der Aussage zu „Die Befolgung der Gebote mei­ner Religion ist für mich wich­ti­ger als Demokratie“. 33,6% befür­wor­te­ten die Todesstrafe und nach Auffassung von 65,5% der Befragten sollte der Staat Zeitungen und Fernsehen kon­trol­lie­ren, um Moral und Ordnung sicher zu stel­len. Es sind zumeist genau jene Muslime mit die­sem Einstellungsprofil, die Mitglieder und Funktionäre der Islamverbände sind.)

Mit der Installierung eines Beirats, der sich aus­schließ­lich aus mus­li­mi­schen Personen zusam­men­set­zen soll, dar­un­ter zwei mus­li­mi­sche Religionsgelehrte, tritt die Landesregierung NRW im Prinzip die Ausgestaltung der Inhalte des IRU sowie die Bewilligung der Lehrkräfte an die Islamvertreter ab. (Die Formulierung „das Einverständnis kann nur aus reli­giö­sen Gründen ver­wei­gert wer­den“, ist eine Leerformel, das es sich ja nur um reli­giöse Angelegenheiten/religiöse Lerninhalte sowie um die Beauftragung von Religionslehrern/innen/ han­delt.)
Vorgesehen ist damit die Einbeziehung von isla­mi­schen Interessenverbänden, dar­un­ter zwie­lich­tige Organisationen, in staat­li­ches Handeln. Das bedeu­tet kon­kret: Unkritische Kooperation mit kon­ser­va­ti­ven bis fun­da­men­ta­lis­ti­schen Islamverbänden; was im Endeffekt dar­auf hin­aus­läuft, deren reak­tio­näre Identitätspolitik (Formung ihrer Mitglieder im Sinne des ortho­do­xen Islam) staat­lich zu lega­li­sie­ren und zu för­dern. (S.2Art.1, Abs.2 (1)) . Verlangt wird nicht die Achtung des GG, son­dern nur die Achtung des (ana­chro­nis­ti­schen) Religions- und Staatskirchenrechts. (S. 3.)

Da die Installierung der Ausbildung von Lehrkräften für das Fach IRU Kosten ver­ur­sacht, wel­che von der Gemeinschaft der Steuerzahler, dar­un­ter zahl­rei­che Konfessionslose, auf­ge­bracht wer­den müs­sen, ist es absurd, die ent­spre­chen­den finan­zi­el­len Auswirkungen auf Unternehmen und pri­vate Haushalte zu leug­nen.

Religionsfreiheit kann ent­ge­gen dem Text des Gesetzentwurfs zum einen nicht gleich­ge­setzt oder kon­fun­diert wer­den mit der Erteilung von staat­li­chem Religionsunterricht in Form eines bekennt­nis­re­li­giö­sen Unterrichts. Insofern ist es auch nicht Aufgabe des welt­an­schau­ungs­neu­tra­len Staates oder sei­ner Untergliederungen, aktiv (eigen­in­itia­tiv) und ohne Mandat der Bevölkerungsmehrheit in Form eines Volksentscheides die fol­gen­schwere Einführung eines Bekenntnisunterrichts einer Zuwanderungsreligion zu betrei­ben – noch dazu, wenn deren Grundinhalte mit frei­heit­li­chen Grundrechten kol­li­die­ren. Indem Staatsorgane in die­ser Weise auf­grund intrans­pa­ren­ter Interessen aktiv und begüns­ti­gend zuguns­ten einer bestimm­ten Religionsgruppe agie­ren und sich ande­rer­seits sys­te­ma­tisch über die Interessen und Anliegen der Großgruppe der Religionsfreien und deren Recht auf nega­tive Religionsfreiheit hin­weg­set­zen, ver­sto­ßen sie mas­siv gegen da Prinzip der welt­an­schau­li­chen Neutralität.

Auch ist aus dem Grundgesetz kein Rechtsanspruch ableit­bar, dass Zuwanderer den Staat des welt­an­schau­lich und kul­tur­his­to­risch anders gepol­ten Aufnahmelandes dazu ver­pflich­ten oder anhal­ten kön­nen, ihre Religion staat­lich abzu­si­chern und in Form von bekennt­nis­re­li­giö­sem Unterricht zu för­dern.
Bei der Einführung von IRU auf Betreiben des Staates han­delt es sich dem­nach um eine rechts­freie politisch-ideologische Willkürentscheidung, die über keine aus­rei­chende demo­kra­ti­sche Legitimation ver­fügt.

Im Gegensatz zum Geist des Gesetzentwurfs muss in Deutschland die Säkularisierung bzw. die Trennung von Staat und Religion voll­en­det wer­den. Eine schul­po­li­ti­sche Realisierung die­ser Forderung hat die Kritische Islamkonferenz in ihrer Abschlusserklärung for­mu­liert:
§ 2: Ziel ist eine säku­lare Gesellschaft
1. Integration setzt Gemeinsamkeit vor­aus: Die staat­li­che Schule muss ein sol­cher Ort der Gemeinsamkeit wer­den und darf nicht nach den Vorgaben der Religionsgemeinschaften orga­ni­siert wer­den.
2. Die Abmeldung vom Biologie-, Sexualkunde-, Musik- oder Sportunterricht aus reli­giö­sen Gründen ist Ausdruck einer bildungs- und demo­kra­tie­feind­li­chen Einstellung und des­halb nicht zu dul­den.
3. Wir for­dern die kopf­tuch­freie Schule, um die Entwicklung von Mädchen und jun­gen Frauen im Sinne einer freien Selbstbestimmung jen­seits patri­ar­cha­ler Normen zu unter­stüt­zen.
4. Anstatt flä­chen­de­ckend einen bekennt­nis­ori­en­tier­ten Islamunterricht ein­zu­füh­ren, ist ein neues Schulfach „Religions- und Weltanschauungskunde” ange­zeigt, in dem die Herwachsenden neu­tral und sach­lich über die Grundinhalte der Religionen sowie der philosophisch-humanistischen Religionskritik und der säku­la­ren Ethik infor­miert und unter­rich­tet wer­den.“
Primäre Aufgabe des deut­schen Bildungssystems wäre es dem­nach, den Heranwachsenden gerade auch aus isla­mi­schen Herkunftsmilieus auf nach­hal­tige Weise die (euro­päi­schen) Werte und Grundnormen einer säkular-demokratischen Gesellschafts- und Lebensordnung zu ver­mit­teln und den ein­ge­schla­ge­nen Irrweg zu ver­las­sen, in Form einer reli­giö­sen Identitätspädagogik des­in­te­gra­tive Mentalitäten zu bestär­ken und zu ver­fes­ti­gen.

[Quelle]


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