Steinbach und wie sie die Welt sah

Von Robertodelapuente @adsinistram
Im »Spiegel 19/2015« gibt es ein Interview mit Erika Steinbach. Kaum jemand regt sich darüber auf. Darin vertritt sie die Ansicht, dass der 8. Mai 1945 nicht nur ein Tag der Befreiung war. Wie sie darin argumentiert, macht deutlich, welcher Ewiggestrigen man politische Verantwortung übertragen hat und wie leichtfertig man so jemanden in einer solchen Stellung akzeptierte.
Vieles des Gesagten ist haarsträubend. Steinbach verglich den Terror- und Mordapparat der Nazis mit den Strukturen, die nach der Wachablösung entstanden. Sowjets, Amerikaner und Franzosen hätten nämlich auch Verbrechen begangen und Deutsche eingesperrt. Die Sowjets haben ja auch umgebracht und Kriegsgefangene verschleppt. Zugegeben, das war auch harter Tobak. Aber kann man die Vorgehensweise der Alliierten überhaupt mit dem Treiben der Faschisten gleichsetzen? Klar, die Amerikaner haben Verdächtige interniert. Aber sie haben sie niemals durch Arbeit vernichtet oder als Forschungsmaterial verwendet. Steinbach übersieht das elegant und behauptet, dass Befreiung bedeuten würde, endlich frei zu sein. Wenn man aber von einer Diktatur direkt in Gefangenschaft lande, dann sei das keine Befreiung. Denn dem Menschen sei völlig egal, von wem er unterdrückt würde. Aber auch das ist blanke Augenwischerei. Denn es macht sehr wohl einen Unterschied, ob ich ins Gas geschickt werde oder nur in eine Zelle.

Dass es nach dem Krieg sicherlich auch im Westen Momente gegeben hat, in denen Kriegsverbrechen geschahen, darf man nicht leugnen. So geht es zu in Kriegs- und Krisengebieten. Man kriegt das nie unter Kontrolle. Deshalb ist Krieg ja so unmenschlich. Er macht alle zu Wesen, denen die Menschlichkeit abhanden kommt. Nur sind diese Eskapaden manchmal Produkt der Szenerie. Die Nazis waren aber nicht Opfer von Kriegseindrücken, sondern haben diese Szenerie selbst aufgezogen. Wenn ich als GI einen Wehrmachtssoldaten in Rage erschoss, dann war das Angst und vielleicht auch Rache - wenn Menschen dauerhaft im Blut waten, kommen solche Reaktionen zustande. Aber Menschen auf einem Fließband zur Vernichtung zu bringen, das ist schon eine ganz andere Liga und überhaupt nicht vergleichbar. Das ist nicht mal ein Vergleich zwischen Äpfel und Birnen, sondern eher so einer zwischen Odenwälder Äpfel und Mondkratern auf dem Marsmond Deimos.

Am Ende des Lehrstücks sagt Steinbach dann, dass solange es noch Überlebende des Holocausts gibt, es schwerfallen wird, eine allgemeingültige Definition der damaligen Ereignisse zu erwirken. Direkter gesagt klingt das so: Diese Holocaust-Überlebenden machen ihrer Definition von den Befreiern, die nicht befreiten, einen dicken Strich durch die Rechnung. Sie könnten nämlich widersprechen. Und tun dies im Regelfall auch. Die Überlebenden mögen nicht immer einverstanden gewesen sein mit dem, was die Befreier getan haben. Aber sie fühlten sich trotzdem befreit und in Sicherheit. Bei aller Kritik an den Alliierten und ihrer (späteren) Politik muss man das anerkennen. Sie waren sicherlich auch überfordert mit den Massen ausgemergelter Gestalten, die ihnen begegneten und wussten nicht immer, wie sie reagieren sollten. In »Band of Brothers«, eigentlich eine Verherrlichung der Kameradschaft unter Soldaten, gibt es eine treffliche Szene, in der die US-amerikanischen Befreier die Gefangenen zurück in ein Lager drängen und die Tore schließen. Die ausgehungerten Gestalten erspähten Lebensmittel und hätten sie sich auf sie gestürzt und in sich hineingestopft. Aber ihre Körper wären kollabiert so unterernährt wie sie waren. Die Aktion wirkte unglücklich und die Gefangenen mögen kurzzeitig gedacht haben, dass da die Nachfolger der Nazis wüten. Aber exakt so war es dann eben nicht.
Steinbach vermengt einfach Ereignisse und Motive. Und sie hadert, weil die Überlebenden die Objektivität vermissen lassen und ihre steilen Thesen nicht so stehen lassen. Dieses Interview wurde veröffentlicht, aber kaum jemand nahm davon Notiz. Das ist einerseits gut, denn das zeigt, wie unbedeutend diese Frau mittlerweile geworden ist. Dass man jemanden mit solchen Ansichten den Polen vor die Nase setzte, ausgerechnet jenem Volk, das so fürchterlich gelitten hat unter der Herrschaft der Nationalsozialisten, zeigt aber nur, mit welchem Taktgefühl die deutsche Politik in Europas Porzellanladen stolziert.
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