german-foreign-policy.com, 17.05.2011
Berlin bleibt bei seiner harten Haltung gegenüber dem erneut von der Staatspleite bedrohten Griechenland. Athen werde nur neue Finanzhilfen bekommen, wenn es seinen rigiden Sparkurs abermals verschärfe, erklärte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble am vergangenen Donnerstag. In den Berliner Regierungsfraktionen verweigern sich immer mehr Abgeordnete auch dem Euro-Rettungsschirm; die Bundesregierung droht die notwendige Mehrheit zu verfehlen. Gleichzeitig treibt das deutsche Spardiktat Griechenland weiter in den ökonomischen Abgrund: Die Kürzungsprogramme führen zu sinkenden Steuereinnahmen bei drastisch steigenden Sozialausgaben, damit also zu einem steigenden Staatsdefizit und einem kompletten Scheitern des Stabilisierungsvorhabens. Eine Umkehr der dramatischen Abwärtsspirale ist nicht in Sicht. Die schwindelerregenden Perspektiven treiben die Euro-Skepsis an. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Frank-Walter Steinmeier erklärt, vor eineinhalb Jahren hätte er jeden für verrückt erklärt, der ein Scheitern des Projektes “Europa” nicht ausgeschlossen habe: “Inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher.”
Noch mehr sparen
Berlin bleibt bei seiner harten Haltung gegenüber dem erneut akut von der Staatspleite bedrohten Griechenland. Nur bei einer abermaligen Verschärfung des ohnehin schon rigiden griechischen Sparkurses sei Deutschland bereit, Athen weitere Finanzhilfen zu gewähren, erklärte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble am vergangenen Donnerstag im Bundestag: “Wir werden nicht ohne klare Konditionen zusätzliche Maßnahmen beschließen können”.[1] Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel schloss schnelle Finanzhilfen für das in einer heftigen Rezession versinkende Griechenland aus: “Ich bin der Meinung, dass wir die Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen erst ziehen können, wenn wir die Ergebnisse kennen,” erklärte sie unter Verweis auf den bevorstehenden Prüfungsbericht einer Expertenkommission aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission. Der Abschlussbericht dieser sogenannten Troika, der für Juni erwartet wird, soll die Fortschritte Athens bei der Umsetzung der maßgeblich von Berlin durchgesetzten drakonischen Sparprogramme beurteilen, die eine heftige Rezession in Griechenland ausgelöst haben.
“Kein Freibrief”
Bereits jetzt formiert sich innerhalb der Regierungskoalition eine breite Opposition nicht nur gegen weitere Kreditzusagen an Athen, sondern auch gegen die Beteiligung Deutschlands am neuen Euro-Rettungsschirm ab 2013. Bundestagsabgeordnete von CDU und CSU kündigten umgehend ihren Widerstand gegen abermalige Kreditzusagen an. “Es gibt von uns keinen Freibrief für weitere Hilfen”, drohte etwa der CSU-Finanzexperte Hans Michelbach. Bei der für den kommenden Herbst anvisierten Abstimmung über den geplanten dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM droht die Bundesregierung gar, die notwendige Mehrheit zu verfehlen. Inzwischen seien 40 bis 50 Bundestagsabgeordnete der Regierungsparteien nicht mehr bereit, dem Euro-Rettungsschirm zuzustimmen, erklärte der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler: “Der Rettungsschirm bringt gar nichts. Er verschärft nur die Verschuldungskrise in Europa. Irgendwann wird das auch uns erreichen.”[2] Ähnlich äußerte sich auch der CDU-Parlamentarier Klaus-Peter Willsch: “Ich werde dem nicht zustimmen.” Die schon seit Monaten anschwellende Euro-Skepsis innerhalb der Funktionseliten der Bundesrepublik [3] treibt den Fraktionsvorsitzenden der SPD, Frank-Walter Steinmeier, sogar dazu, den Fortbestand der Europäischen Union öffentlich in Frage zu stellen: “Vor eineinhalb Jahren hätte ich noch jeden für verrückt erklärt, der sagte, dass das europäische Projekt scheitern könnte. Inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher.”[4]
Griechischer Finanzbedarf
Das griechische Haushaltsdefizit wird sich dieses Jahr Prognosen zufolge wohl auf 9,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) summieren; die anvisierte Defizitobergrenze von 7,5 Prozent des BIP würde damit deutlich überschritten. Bei der Gewährung des ersten Kreditpakets in Höhe von 110 Milliarden Euro hatte sich Athen verpflichtet, die jährlichen Defizitobergrenzen nicht zu überschreiten. Die nächste Kredittranche in Höhe von zwölf Milliarden Euro ist im Juni fällig; sie ist für Athen existenziell notwendig, um die bis dahin auflaufenden Verbindlichkeiten in Höhe von 13,7 Milliarden Euro schultern zu können – andernfalls droht der Staatsbankrott. Der Umfang eines zweiten griechischen Kreditpakets wird insgesamt auf weitere 60 Milliarden Euro beziffert, die in den Jahren 2012 und 2013 in etwa je zur Hälfte aufgewendet werden müssten.
Privatisierungen
Der griechische Regierungschef Papandreou kündigte unterdessen in Reaktion auf die sich zuspitzende Finanzlage Athens an, die umfassende Privatisierungsoffensive zu realisieren, die auf Betreiben Berlins und Brüssels als griechische Gegenleistung zum ersten Kreditpaket festgeschrieben wurde. “Am Anfang waren Privatisierungen nicht unsere Priorität”, sagte Papandreou: “Jetzt stehen sie ganz oben auf der Agenda. Wir werden beweisen, dass wir in der Lage sind, unseren Schuldendienst mit einer Reihe von Entwicklungsprojekten zu bedienen”.[5] An die 50 Milliarden Euro sollen durch den Ausverkauf der griechischen Staatlichkeit erzielt werden.
Die Folgen des “Sparens”
Tatsächlich ist die verfahrene haushaltspolitische Lage Athens gerade das Resultat der drakonischen Spardiktate, die Berlin und Brüssel bei der Gewährung der Notkredite durchgesetzt haben.[6] Bei einer durch extreme Austeritätsprogramme ausgelösten Rezessionsspirale führen die staatlichen Sparmaßnahmen wie auch Steuererhöhungen aufgrund sinkender Binnennachfrage zu einem Wirtschaftseinbruch, der wiederum die Sparanstrengungen des Staates verunmöglicht, weil er die Steuereinnahmen vermindert und die Sozialausgaben in die Höhe treibt. Im Fall Griechenlands gingen beispielsweise im ersten Quartal 2011 die Steuereinnahmen um 5,1 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurück. Die Staatsausgaben explodierten im Jahresvergleich um 23,79 Prozent. Nach einem Jahr drakonischer Sparpakete im Umfang von mehr als 30 Milliarden Euro, die auf Weisung Berlins und Brüssels penibel umgesetzt wurden, verzeichnete Griechenland in den ersten drei Monaten 2011 das höchste Haushaltsdefizit seiner jüngsten Wirtschaftsgeschichte in Höhe von 8,9 Milliarden Euro. Damit stieg das griechische Haushaltsdefizit um 106 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum; damals wurde das Land noch nicht mit immer neuen “Sparpaketen” überzogen.
Einbruch
Die Mehrausgaben Athens sind zum guten Teil auf die rasant steigende Arbeitslosigkeit zurückzuführen, die im Februar 2011 bereits 15,9 Prozent erreichte – 0,8 Prozentpunkte mehr als noch im Januar 2011. Im Februar 2010 hatte die Erwerbslosenquote in Griechenland noch 12,1 Prozent betragen. Die Kürzungs- und Sparpakete ließen die realen Arbeitnehmerentgelte im Jahr 2010 um mehr als zehn Prozent absinken; dies führte zu einem Einbruch der privaten Konsumausgaben, der sich im vierten Quartal 2010 auf 8,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal beschleunigte. In Wechselwirkung mit den verminderten Staatsausgaben führten die privaten und staatlichen Nachfrageeinbrüche zu einer wirtschaftlichen Kontraktion von 4,8 Prozent im Jahr 2010. Eine Erholung der griechischen Industrieproduktion, die im vergangenen März um acht Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr einbrach und sich inzwischen nur noch auf dem Niveau der frühen 1990er Jahre bewegt, findet ebenfalls nicht statt. Und auch die Ursache der gegenwärtigen Schuldenkrise in der südlichen Peripherie der Eurozone, das durch Deutschlands Exportoffensiven ausgelöste Handelsbilanzdefizit, bleibt in Griechenland bestehen. Trotz des krisenbedingten Einbruchs der Importe beträgt das griechische Defizit in der Handelsbilanz auch in diesem Jahr noch mehr als zwei Milliarden Euro – pro Monat. Die weiterhin bestehenden griechischen Leistungsbilanzdefizite müssen per Schuldenaufnahme finanziert werden.
[1] Deutschland offen für neue Griechenland-Hilfen; www.tagesschau.de 12.05.2011
[2] 40 Abgeordnete gegen neuen Euro-Rettungsschirm; www.derwesten.de 13.05.2011
[3] s. dazu Die deutsche Transferunion
[4] Steinmeier zweifelt am Europawillen der Regierung; www.zeit.de 12.05.2011
[5] “Privatisierung hat Top-Priorität”; www.handelsblatt.com 14.05.2011
[6] s. dazu Aus der Krise in die Krise