Stefan Zweig: Montaigne

Wolfgang Krisai: Der Turm Montaignes auf Schloss St. Michel de Montaigne. Farbstift und Tuschestift. 2014.Der biographische Essay ist eines der letzten Werke Stefan Zweigs (1891 – 1942) und wurde in dessen Nachlass gefunden. Die Ausgabe folgt dem Typoskript Zweigs, in das er handschriftliche Ergänzungen eingetragen hat.

Warum Montaigne?

Zweig begründet zunächst, weshalb er sich gerade jetzt, 1941, in der nicht nur für ihn, sondern für die ganze Welt schrecklichen politischen Situation des Zweiten Weltkriegs und der Naziherrschaft in Europa, mit einem Mann wie Montaigne befasst: Montaigne habe in ähnlich finsteren Zeiten gelebt, er habe zum Beispiel die Bartholomäusnacht erlebt, und er habe sich darin in vorbildlicher Weise bewährt: als unabhängiger Denker und Schriftsteller, der sich aus dem politischen Leben auf sein Landschloss St. Michel de Montaigne bei Bordeaux zurückgezogen hat. In den Religionskriegen sei er zwar zu seiner katholischen Religion gestanden, habe aber Toleranz gegenüber den Andersgläubigen vorgelebt.

Das Leben eines Selbstdenkers

Zweig schildert die Lebenstationen Montaignes (1533 – 1592) einprägsam: etwa die ambitionierte Erziehung zum Latein als „Muttersprache“ (durch einen nicht des Französischen mächtigen deutschen Lateinlehrers), seine politische Karriere als hoher Beamter in Bordeaux und dessen späterer Bürgermeister, seine eineinhalbjährige Reise nach Deutschland und Italien, vor allem aber seine Zeit als zurückgezogener Leser, Denker und Essayist in seinem berühmten Turm des heimatlichen Schlosses. Dort hat er im obersten Stockwerk seine für damalige Verhältnisse riesige Bibliothek mit über tausend Bänden untergebracht, dort lässt er an die Deckenbalken griechische und lateinische Sinnsprüche schreiben, die ihm beim peripathetischen Denkprozess (also dem Nachdenken im Gehen) Anregungen geben sollen, und dort entwickelt er aus zunächst ungeordneten Notizen nach und nach die neuartige Gattungsform des Essais.

Seine gesammelten Essais bringt er 1580 selbst zum Druck, und sie machen allgemein großen Eindruck. Noch zu Lebzeiten veranstaltet er eine zweite Auflage (1582), und seiner geliebten Wahltochter Marie de Gournay vertraut er die Aufgabe an, seine Essais in dritter, stark erweiterter Auflage (1595) herauszugeben.

Fremdsprachige Zitate

Zweig beherrscht als Bildungsbürger zumindest Englisch und Französisch perfekt, daher zitiert er natürlich ausgiebig in diesen Sprachen, und zwar aus Montaignes Essais und aus einer englischsprachigen Montaigne-Biographie, die ihm im brasilianischen Exil offenbar vorgelegen ist. Da bildungsbürgerliche Fremdsprachenkenntnis, insbesondere des Französischen, heute nicht mehr vorausgesetzt werden kann, hat der Herausgeber Übersetzungen der fremdsprachigen Zitate eingefügt, allerdings auf wenig glückliche Weise, nämlich in eckigen Klammern direkt in den Text hinter das jeweilige Zitat. Fußnoten hätten mir besser gefallen.

Das Bändchen ist eine gute Hinführung zu Michel de Montaigne, die meine Montaigne-Lektüre perfekt ergänzt hat.

Stefan Zweig: Montaigne. Hg. von Knut Beck. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 8. Aufl. 2014. 95 Seiten.

Bild: Es geht nicht anders, hier muss ich nochmals der Turm des Schlosses St. Michel de Montaigne einfügen, gezeichnet im Sommer 2014 bei der Besichtigung dieses bedeutenden Ortes.


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