Stefan Zweig: Marie Antoinette

Wolfgang Krisai: Zeichnung einer anonymen Terracotta-Büste aus dem 18. Jh. im Musée Jacquemart-André, Paris.

Wolfgang Krisai: Zeichnung einer anonymen Terracotta-Büste aus dem 18. Jh. im Musée Jacquemart-André, Paris.

Auch die Lektüre dieses Buches – wie jene der Wolfdietrich-Biographie – hat etwas mit Salzburg zu tun: Mit der 5A besuchte ich dort das Ballett „Marie Antoinette“, das zu einem Potpourri unterschiedlichster Musik ein „Lebensbild“ der französischen Königin zu geben versuchte. Außerdem besuchten wir das Stefan-Zweig-Centre in der Edmundsburg auf dem Mönchsberg, und dort erzählte der Direktor, Dr. Klemens Renoldner, bei seiner Führung, er habe eine französische Historikerin gefragt, was man in Frankreich von Stefan Zweigs Marie-Antoinette-Biographie halte, und sie habe gesagt, man finde sie gut. Was also lag näher, als dieses Buch nun zu lesen? Ich lieh es mir aus, und jetzt ist es gelesen.

Stefan Zweigs Weise, eine Biographie zu erzählen, ist natürlich nicht mit der eines modernen Historikers zu vergleichen. Er schreibt nicht trocken und sachlich, sondern blumig und elegant, er versucht nicht, die Figur zu entzaubern, jedenfalls nicht im heutigen Sinn, sondern ihr jene Ehre zu geben, die ihr gebührt, ihre Fehler aber auch nicht zu beschönigen, wie dies royalistisch gesinnte Biographen früherer Zeiten offenbar getan haben. Außerdem gibt es immer wieder Passagen, in denen Zweig sich sozusagen in die „Seele“ der Heldin einzufühlen versucht, um sie als Charakter und Persönlichkeit verständlich zu machen.

Bildnis eines “mittleren Charakters”

Zweig sieht Marie Antoinette als einen „mittleren Charakter“, der zwischen gut und böse, zwischen privat und öffentlich, zwischen verspielt und ernsthaft angesiedelt ist – und gerade dadurch der welthistorischen Aufgabe, die sich ihr eröffnet hätte, nicht gewachsen ist. Als Fünfzehnjährige wird sie in eine politisch motivierte Ehe mit dem kaum älteren französischen Thronfolger gestoßen, und diese Ehe bleibt jahrelang kinderlos, weil der Dauphin sich vor einer Operation scheut, die ihm ermöglichen würde, Kinder zu zeugen. Erst energisches Zureden Josephs II. führt hier zum Entschluss und dann zu vier Kindern, von denen zwei früh sterben.

Der Dauphin und spätere König Ludwig XVI. ist ein äußerst schwacher Mensch, der sich zu keinem Entschluss aufraffen kann, am liebsten seinen Hobbys Schmiedekunst und Jagd nachgeht und seiner lebenslustigen Frau nichts bieten kann – außer unbedingter ehelicher Treue, denn für einen Seitensprung ist er viel zu träge.

Marie Antoinette ist das genaue Gegenteil dieses Mannes, sie ist lebenslustig, vergnügungssüchtig, verschwenderisch, ein Nachtmensch, der am liebsten auf Maskenbällen tanzt, sich dem Glücksspiel hingibt oder im privaten Schlösschen Trianon Schäferstündchen abhält. Mit ihrem natürlichen Charme gewinnt sie alle Menschen, mit denen sie zu tun hat. Dabei fehlt ihr völlig das Gespür für menschliche Qualitäten, was zur Folge hat, dass sie sich mit windigen Gesellen und intriganten Weibspersonen umgibt, die die leichtgläubige Königin für ihre eigenen Zwecke ausnützen. So „verliebt“ sich Marie Anoinette Hals über Kopf in die mittellose Gräfin Polignac, die bald die eigentliche Macht in Händen hält und skrupellos ihrer Familie zu neuem Reichtum und bedeutenden Ämtern verhilft.

Politisches Desinteresse provoziert die Revolution

Für ihre Untertanen interessiert sich die Königin nicht im mindesten, sie hat nie eine Reise durch Frankreich gemacht, sich nie etwas außerhalb ihrer Adelssphäre zeigen lassen, nie mit jemandem vom Volk gesprochen außer mit ihren Dienerinnen und Dienern. Politisches Interesse: gleich null. Völlig willkürlich überredet sie ihren willenlosen Gatten, diesem oder jenem ein Ministeramt zukommen zu lassen, und völlig bedenkenlos wirft sie das Geld zum Fenster hinaus.

Als dann die wirtschaftliche Situation im Land bedenklich wird, greift der König zu einer Notmaßnahme, die die Revolution heraufbeschwört: Er beruft die Nationalversammlung ein. Dort reißt der Bürgerstand bald die Macht an sich, 1789 kommt es zum Sturm auf die Bastille – und auf Versailles. Der König wird gezwungen, nach Paris zu übersiedeln. Ab diesem Zeitpunkt ist klar, dass er nicht mehr die letzt Macht im Staat hat. Man residiert in den Tuilerien und ist de facto unter Hausarrest. Die Nationalgarde bewacht den Palast und lässt niemanden hinein oder heraus, der nicht von der Nationalversammlung autorisiert ist. Bald jedoch wird durch den Charme der Königin diese Haft lockerer.

Getreue und Ungetreue

Schon 1789 verließen alle Hofschranzen und lieben Verwandten (die zum Teil gegen König und Königin intrigiert hatten und dies im Exil weiterhin taten, so das spätere König Ludwig XVIII.) fluchtartig Versailles, um sich im Ausland in Sicherheit zu bringen. Nur ganz wenige wirklich Getreue blieben, darunter jener schwedische Graf von Fersen, der der einzige wirkliche Geliebte der Königin war. Fersen organisiert für den 20. Juni 1791 einen Fluchtversuch der königlichen Familie, der aber so pomös inszeniert ist, dass die Flucht bald bemerkt wird und schließlich in Varennes hinter Chalons sur Marne ein unrühmliches Ende findet. Fersen ist auf Wunsch der Königin und „Befehl“ des Königs nicht mitgeritten – und wirft sich diese Feigheit bis zum Lebensende vor.

Bald nach der gescheiterten Flucht, 1792, wird die königliche Familie im „Temple“ eingesperrt, nun ist das schon eher eine wirkliche Haft. Am 21. Jänner 1793 wird Ludwig XVI. hingerichtet. Und als ein weiterer Fluchtversuch kläglich scheitert, macht man auch Marie Antoinette den „Prozess“, der natürlich, wie in solcher revolutionären Situation nicht anders zu erwarten, eine Farce ist. Man bringt sogar ihren eigenen neunjährigen Sohn dazu, seine Mutter des Inzests mit ihm zu bezichtigen. Sie wird zum Tod verurteilt, das war von vornherein klar, und am 16. Oktober 1793 guillotiniert.

Wenn Zweig die Geschehnisse zutreffend schildert, dann ist es kein Wunder, dass die französische Revolution ausgebrochen und Marie Antoinette hingerichtet worden ist. Ein Königspaar, das in diesem Ausmaß seiner Aufgabe nicht gerecht wird, muss geradezu den Aufstand provozieren.

Maria Theresias wirkungslose Mahnungen

Da halfen auch die zahllosen mahnende Briefe Kaiserin Maria Theresias an ihre Tochter Marie Antoinette nichts. Zweig zitiert daraus immer wieder. Auch der Berater Graf Mercy, der zwischen Maria Theresia und Marie Antoinette sozusagen den Verbindungsmann darstellt, kann die leichtfertige Königin nicht zum Umdenken bewegen.

Zweigs Biographie ist, wenn man die zum Teil etwas gesuchte Ausdrucksweise akzeptiert, eine durchaus anregende und interessante Lektüre. Obwohl sie vor mehr als 80 Jahren, nämlich 1932, erstmals erschienen ist.

Stefan Zweig: Marie Antoinette. Bildnis eines mittleren Charakters. Büchergilde Gutenberg, Wien, 1953. 569 Seiten.



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