Stefan Heym – "Auf Sand gebaut" – "Filz"

Stefan Heym – Auf Sand gebaut – Filz

Dieses Buch sind zwei Bücher.
Auf Sand gebaut ist 1990 erschienen, Filz im Jahre 1992. In beiden Büchern setzt sich Stefan Heym mit der aktuelleren Geschichte auseinander: der Zeit nach der “Wende”.

Die sieben Geschichten in “Auf Sand gebaut” zeichnen sich durch einen lockeren, fast humoristischen Ton (wie in “immer sind die Weiber weg”) aus und sind daher wunderbar zu lesen, trotz des doch recht ernsten Themas. Denn Heym nimmt kein Blatt vor den Mund und berichtet, wie die DDR in ihren letzten Tagen funktionierte. So gibt es eine Geschichte “Der Zuverlässigsten einer”, in der der Stasimitarbeiter Bobrich den Sturm auf die Zentrale in der Normannenstraße miterlebt und zu seinem Entsetzen erfährt, dass es auch eine Akte über ihn gibt. “Trotzdem ist meines Erachtens der Genosse Bobrich, Arno, des Glaubens, daß wir des Glaubens sind, er wäre der Zuverlässigsten einer.Seite 22
In diesem Ton geht es weiter, ob Heym von einem geheimen Abhörbunker im Wald erzählt, in dem ein “wie ein Oberförster aussehender Mann” einen Hänger belädt, oder berichtet, welch freundschaftliche Beziehung er zu einem seiner Bewacher aufbaut.

Dabei aber gibt es auch immer wieder solche Sätze, sie in wenigen Worten mehr über seine politische Haltung verraten, als andere in ganzen Parteiprogrammen:

VEB, Volkseigener Betrieb. Aber wer ist das Volk? In all den vierzig Jahren Republik, hat uns je einer erklärt, wer das Volk wirklich ist, bis das Volk dann anmarschiert kam auf der Straße und lauthals verkündete: Wir sind das Volk? Seite 81

Bildquelle: Wikipedia

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Ganz anders dann der Ton in “Filz” – in den 14 Texten, die ich eher der Publizistik denn der Literatur zuordnen würde, ist der Ton ein überaus ernster; einer, in dem man hört, dass hier Einer spricht, der regelrecht entsetzt darüber ist, was aus den Träumen und Hoffnungen des November 1989 wurde. Immer wieder erwähnt Heym in seinen Texten die Großdemonstration am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz. Hier, an diesem von (nicht nur) ihm als historischen Zeitpunkt erlebten Tag, waren die Hoffnungen am größten.

Er schreibt über die Enttäuschungen und den gefühlten Verrat an der Hoffnung; über die nicht legitimierte und aber grenzenlose Macht von Treuhand und Gauck-Behörde; diese Machtmittel der Sieger. Hier klingt Vieles wie das Gegreine eines Menschen, der die Welt nicht mehr versteht. Doch im Gegenteil zeigt sich Heym hier in einer absoluten Konsequenz, in seinem wirklich revolutionären Denken. Hier spricht einer (der Rufer in der Wüste), der immer versucht hat, die Menschen eines Besseren zu belehren und der daran glaubt, dass Belehrung notwendig und sinnvoll ist. Und der erleben musste, dass kaum etwas vor der Macht des Geldes und der verlogenen, sich als Konquistadoren gebenden Politik standhalten kann.

Es gibt in diesem Buch einen Text, “Erinnerungen” heißt er, den ich gern komplett abschreiben wollen würde. Heym berichtet, dass an dem Tage, als er am Grab Tucholskys stand und darüber nachdachte, weshalb dieser glanzvolle Publizist in den Selbstmord getrieben wurde; dass an diesem Tage in Hoyerswerder ein Asylantenwohnheim brannte.

Und dann habe ich mir die Filme angesehen, welche die unbestechliche Kamera aufgezeichnet von den Gesichtern dieser sächsischen Rambos, während der Aktion und danach, und ich dachte, wo hab ich die nur schon erlebt, und dann fiel mir ein: nur damals hatten die Kerle braune Mützen getragen und und braune, schlecht sitzende Hemden…

Und da war das liebreizende junge Mädchen, das blonde Haar eng anliegend am schöngeformten Schädel, und der Teint so makellos weiß – aber der Blick der blauen Augen, direkt gerichtet ins Objektiv, hart, hart, hart, und das Lächeln grauenerregend… wo war der Schäferhund, der zu ihr gehörte, und die Peitsche, die lederne Peitsche der KZ-Kommandeuse?” Seite149 f.

Heym hält sich dabei nicht auf an der Beschreibung dessen, was er sieht und persönlich empfindet; er analysiert die politischen Gründe, die, wenn schon nicht zu den Ereignissen führten, so doch die Vorbedingungen schufen und tolerierten.
Dieser Text hat mich unglaublich berührt; weil diese ganze Wut und Ohnmacht, mit der ich diesen Auswüchsen der Gesellschaft gegenüberstehe, sich genau in Heyms Text widerspiegelt. Und es ist das Wissen darin, ohnmächtig zu sein; ein politischer Don Quichotte zu bleiben.

Das Buch ist mit Zeichnungen von Horst Hussel illustriert. Zugegeben, ich mag seine Strichkrakeleien nicht sonderlich. Aber eine der Zeichnungen ist überschrieben mit einem Text, der Tucholsky adaptiert:

Jedes Volk, ob es greint oder grient, hat die Regierung, die es verdient. Seite 101


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